Wohnheim Sonnenburg
Verdichten
28. abril 2011
GLVDR haben kürzlich ein Wohnheim in Weinfelden fertiggestellt. Eva Lüdi wählt drei Zeichnungen und drei Fotos und beantwortet unsere fünf Fragen.
Gartenstrasse
Was hat Sie an der Bauaufgabe am meisten interessiert?
Das Wohnheim Sonnenburg stellt Wohn- und Arbeitsplätze für sozial benachteiligte Personen zur Verfügung. Die Aufgabe des Ende 2007 durchgeführten Architekturwettbewerbs konzentriert sich auf die Reorganisation und Erweiterung des bestehenden Betriebes auf räumlicher und logistischer Ebene. Uns interessiert im Speziellen der Ansatz einer möglichst kompakten Lösung, welche auf funktionaler Ebene als ein Haus betrieben werden kann, sich auf räumlich gestalterischer Ebene aber der rationalen Grossform mit Heimcharakter entzieht.
Die grundsätzliche Entscheidung, die gesamte Anlage im Süden der Amriswilerstrasse zu konzentrieren und das bestehende Gebäude Amriswilerstrasse 32 zu erhalten führt für die betroffenen Parzellen zu einer bewusst hohen Dichte und zur Notwendigkeit, einen Gestaltungsplan auszuarbeiten. Bei der Setzung der Neubauten kann dank diesem Verfahren von Rahmenbedingungen ausgegangen werden, welche ein präzises Reagieren auf das morphologische Umfeld und die Spannung innerer Dichte erlauben.
Situation
Wie würden Sie den durchlaufenen Entwurfsvorgang beschreiben?
Der Entwurfsvorgang wurde von einer starken Wechselwirkung zwischen Morphologie, Aussenraum, Fassadenzeichnung, Materialwahl, innenräumlicher Organisation, Raumprogramm, betrieblichen Anforderungen und schliesslich der Umsetzbarkeit geprägt. Bereits im frühen Entwurfsstadium haben kleine gestalterische Entscheidungen eine starke Abhängigkeit zum Gesamtentwurf und dessen Kohärenz. Diese Dichte und Verflechtung hat den Entwurfsvorgang besonders beeinflusst, das Hin und Her zwischen dem grossen und dem kleinen Massstab – der Urbanismus im Detail, das Detail im Urbanismus.
Speisesaal
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Mit der Anzahl, der Artikulation und der Setzung der neuen Bauten wird auf den städtebaulichen Kontext reagiert und die vorhandene Struktur von kleinen bis mittelgrossen Solitären ergänzt. Die homogene Streuung der Volumen und die Durchlässigkeit der Aussenräume bleiben bestehen.
Die Neubauten sind an der Peripherie der Parzellen situiert und spannen mit den bestehenden Werkstätten einen zentralen Raum mit Dorfplatzcharakter auf. Im Norden werden die bestehenden Fassadenfluchten aufgenommen und der vorhandene Strassenraum gestärkt. Die Anlage wird sowohl mit introvertierten Räumen, als auch mit den für die Bewohner wichtigen Öffnungen zum Quartier und Strassenraum ausgebildet, sie ergänzt Vorhandenes und schafft Neues. Als Grundlage für die Positionierung und Ausbildung der unterschiedlichen betrieblichen Funktionen gilt der Vorsatz, innerhalb des Ensembles eine Vielzahl von differenzierten Innen- und Aussenräumen anzubieten.
Grundriss Erdgeschoss
Haben aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die Bauträgerschaft oder die Bedürfnisse der späteren NutzerInnen den Entwurf entscheidend beeinflusst?
Grundsätzlich sind wir davon ausgegangen, dem Bewohner ein Zuhause zur Verfügung zu stellen, welches sich möglichst stark von der herkömmlichen Heimtypologie absetzt. Entsprechend ist die Ausgangslage auf architektonischer Ebene der konventionelle Wohnungsbau. Der Vorschlag, die vier geforderten Wohngruppen in zwei Gebäuden unterzubringen, verstärkt diese Tendenz. Mit der Massstäblichkeit der neuen Volumen und den räumlich artikulierten Grundrissen wird im Innen- und Aussenraum die Stimmung und Qualität einer Wohnsiedlung umgesetzt.
Beide Neubauten werden über identische, zum gemeinsamen Hof orientierte Treppenhäuser erschlossen. Diese liegen ausserhalb des beheizten Volumens und bieten dank ihrer grosszügigen Gestaltung und Ausrichtung die Möglichkeit zum Verweilen und Beobachten. Die vier Wohnungen verfügen über acht bzw. sieben Zimmer, ein Fumoir, gemeinsame Nasszellen, ein Wohnzimmer mit Loggia sowie eine offene Wohnküche. Sämtliche Bewohnerzimmer sind gemäss den Vorgaben des Bundesamtes für Sozialversicherungen BSV in ihrer Grösse, Proportion und Ausstattung gleich ausgestaltet. Sie verfügen alle über ein Lavabo, welches zur Erhaltung der Wohnlichkeit in einem Wandschrank in der Aussenfassade integriert ist. Die Zimmer sind allesamt zur Parzellenperipherie orientiert und bieten den Bewohnern eine optimierte Diskretion. Die Gemeinschaftsbereiche und Nebenräume orientieren sich zum Innenhof.
Schnitte
Wie ist das Verhältnis des Entwurfs zum vollendeten Bauwerk? Gab es bedeutende Projektänderungen oder veränderte ein Lernprozess das architektonische Ziel?
Die im Wettbewerb getroffenen städtebaulichen und funktionalen Entscheidungen werden bis zur Realisierung beibehalten und präzisiert. Das klar definierte Kostendach, sowie aus dem Planungsprozess generierte Projekterweiterungen wie zum Beispiel die zusätzlich geforderte Tiefgarage, bedingen jedoch kostenspezifische Optimierungen.
Auf die ursprünglich vorgesehene Klinkerfassade mit offenem Verbund muss aus ökonomischen Gründen verzichtet werden. Um die kompakte Erscheinung der solitären Volumen zu erhalten, wird die ökonomische Variante einer verputzten Ausssendämmung umgesetzt. An Stelle des offenen Verbunds treten die in Stahlbeton gefertigten Filter. Sie dienen als Sichtschutz für die hofseitigen, zum Teil ebenerdigen Nasszellen und übernehmen gleichzeitig die Funktion starker Stimmungsträger. Das Thema der vorfabrizierten Betonelemente wird auch im Zusammenhang mit der Ausformulierung der Treppehäuser, Loggien und Raucherzimmer aufgegriffen. Die Gestaltung der Lochfenster zeichnet sich durch ein bescheideneres Vorgehen aus. Die Thematik der starken Fensterleibung wird zwar aufgenommen, beschränkt sich aber auf den Einsatz von unterschiedlichen Putzstrukturen und Farben. Vor allem für die Fassadenbereiche der Zimmergruppen kann mit einfachen Verschiebungen der Rahmen in der Horizontalen der aus dem rigiden Zimmerraster generierte Widerholungseffekt der Fensteröffnungen aufgelockert werden.
Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Kritiken!
Hof
Wohnheim Sonnenburg
2010
Weinfelden TG
Bauherrschaft
Wohnheim Sonnenburg, Weinfelden
Auftragserteilung
Offener Wettbewerb mit Präqualifikationsverfahren
Architektur
GÄUMANN LÜDI VON DER ROPP Architekten SIA, Zürich
Mitarbeit Wettbewerb: Sandra Flohr, Nathan Barnhart
Mitarbeit Planung: Nicole Reichardt, Nadja Peter
Fachplaner
Landschaftsarchitektur: fischer landschaftsarchitekten bsla, Richterswil
Bauingenieur: A.Keller AG, Weinfelden
Elektroingenieur: IBG Graf AG Engineering, Weinfelden
HLKS-Ingenieure: 3-PLAN Haustechnik AG, Kreuzlingen
Bauphysik: Studer + Strauss AG, St.Gallen
Bauleitung
Für HRS: Bruno Dietrich, Weinfelden
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeisterarbeiten: Wanzenried Bau AG, Weinfelden
Elemente in Beton: Häni Bau AG, Dettighofen
Fenster: 4B Fenster AG, Dietikon
Aussendämmung: Wanzenried Fassaden AG, Weinfelden
Schreinerarbeiten: Brüschweiler & Schadegg, Weinfelden
Innentüren: Meier Schreinerei, Weinfelden
Gipserarbeiten: Gipsergeschäft Kradolfer, Weinfelden
Gebäudekosten BKP 2
8.65 Mio
Gebäudevolumen
10'800 m3
Kubikmeterpreis
800.--CHF/m3
Energiestandard
Minergie
Fotos
Jürg Zimmermann, Zürich