Hagar Qim and Mnajdra Heritage Park Conservation and Interpretation Project
Architektur schützt Architektur
6. enero 2011
Walter Hunziker Architekten haben kürzlich eine archäologische Schutzbaute und ein Besucherzentrum auf der Insel Malta fertiggestellt. Walter Hunziker wählt zwei Zeichnungen und vier Fotos und beantwortet unsere vier Fragen.
Hagar Qim Shelter
Wie würden Sie den durchlaufenen Entwurfsvorgang beschreiben?
Die intensive Auseinandersetzung mit dieser autorenlosen, genuinen und schwer entzifferbaren Baukunst, die – älter als die Pyramiden von Ägypten – rund 2000 vor Christus ohne Grund und Nachfolge verschwand, war für mich ein bewegendes Erlebnis. Unvermittelt fühlte ich mich in Tuchfühlung mit den Anfängen der Architekturgeschichte, sozusagen im Kapitel null des Geschichtsbuchs, das – wie der indische Architekt Charles Correa einmal gesagt hat – alles erklären würde, wenn es entzifferbar wäre.
Das Projekt hat eine anspruchsvolle Planungs- und Bauphase durchlaufen, wegen seiner landschaftlich empfindlichen Lage an der Südküste Maltas und ihren fragilen, zum Unesco Weltkulturerbe gehörenden Tempelanlagen. Sie musste vor allem im Hinblick auf ihre landschaftsverändende Wirkung mehrmals optimiert werden.
Situation Heritage Park
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Eine bauliche Intervention im Sinne einer zeitgemässen Signatur kam in dieser Landschaft nicht in Frage. Es ging von Anfang an um Architektur zum Schutz von Architektur im Rahmen der Unesco Richtlinien für Stätten des Weltkulturerbes. Zudem ist der Ort seit mehr als 6000 Jahren durch die stärkste denkbare Interpretation besetzt, durch die nach astronomischen Achsen ausgerichteten und sorgfältig in die Topografie eingebetteten Tempelanlagen. Das Wettbewerbsresultat hat gezeigt, dass trotz dieser rigorosen Einschränkung der Gestaltungsfreiheit ein breiter Lösungsfächer möglich ist. Respekt vor Landschaft und Ort, Eigenständigkeit, aber keine Grenzverwischung mit dem wertvollen Bestand waren unsere Devisen.
Die Hochbogenkonstruktionen mit den bis in die Horizontebene auslaufenden Membranflächen zeichnen die Feintopografie der Küstenlandschaft mit dem allgegenwärtigen Meereshorizont nach. Die Schutzbauten überformen gewissermassen die Sichtachsen der Tempelanlage und treten in ihrer Materialisierung (Stahl, Textilien) nicht in Konkurrenz mit der mineralischen Qualität des maltesischen Steins. Unter den Membrandächern erscheint die brüchige Megalitharchitektur der Tempelbauten in einem geheimnisvollen Licht. Mit Hilfe von digitalen Geländemodellen dieses Küstenabschnitts wurde der Lichteinfall bei Sonnenwende und Tag- und Nachtgleiche sichergestellt. Konzept und Bauprozess waren darauf ausgerichtet, den landschaftlichen Eingriff und die technischen Einwirkungen auf die höchst sensible Nahumgebung möglichst gering zu halten.
Das über einem bestehenden Parkplatz errichtete, vom Meer her nicht sichtbare Besucherzentrum verfolgt bewusst eine ganz andere Strategie. Vergleichbar mit einem kartografischen Raster bleibt die Grundriss- und Aufrissgeometrie möglichst rational in Quadranten gegliedert. Die abstrakt wirkenden Volumen sind auf Sockelpartien aus lokalem Bruchsteinmauerwerk aufgesetzt, welche den Übergang zur organischen Qualität der Landschaft übernehmen.
Grundriss Besucherzentrum
Haben aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die Bauträgerschaft oder die Bedürfnisse der späteren NutzerInnen den Entwurf entscheidend beeinflusst?
Während früher vor allem der Schutz von Kulturdenkmälern und Landschaften im Vordergrund stand, kombiniert die Unesco heute – nicht zuletzt im Hinblick auf den modernen Tourismus – den Schutzgedanken (preservation) immer mit einer Bewusstseinsbildung (interpretation), meist in der Form von Besucherzentren.
Die Megalithkultur stellt einen wichtigen Teil der kulturellen und nationalen Identität der maltesischen Bevölkerung dar. Die Tatsache, dass die Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabenen Tempelanlagen zu ihrem eigenen Schutz überdacht werden sollten, provozierte während der Planungs- und Bauzeit heftige Reaktionen gegen das Projekt. Die unermüdliche Überzeugungsarbeit von Heritage Malta, der nationalen Denkmalpflege zeigt heute ihre Wirkung. Die Besuchenden werden im Visitor Centre auf den Rundgang vorbereitet und sie betrachten die geheimnisvollen Tempelanlagen unter den gigantischen Schutzdächern mit mehr Respekt, als sie dies früher taten.
Besucherzentrum
Wie bezieht sich das Bauwerk auf Eure anderen Entwürfe und gliedert es sich in die Reihe Eurer Werke?
Wir arbeiten gerne entlang der Seitenlinie des gemeinhin gültigen Architekturverständnisses, besonders dort, wo Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen ins Spiel kommen. Bei Friedhofanlagen sind es Fragen um Leben und Tod, beim Theater geht es um die Wirklichkeit und die Vorstellung, bei Standseilbahnen ist die seltsame Verbindung von horizontaler und vertikaler Ausrichtung prägend. Aufgrund der Tatsache, dass heute fast alles technisch machbar ist, erleben wir ein fast uneingeschränktes Diktat der Form in der Architektur. Das Malta Projekt hat uns wieder näher an das ursprüngliche Wesen der Form gerückt – durch die Natur gegeben. Für die Schutzaufgabe braucht es nur eine wenige Millimeter starke Haut und etwas, was die Haut in dieser windexponierten Landschaft in Position hält. Heutige High Tech Membranstrukturen zeigen einen minimalen Material- und Gewichtseinsatz, der auf der anderen Seite durch eine entsprechend hohe, «immaterielle» Ingenieurleistungen kompensiert wird. Die Urform des Zeltes folgt nicht zuletzt der Anforderung nach Reversibilität der Schutzbauten.
Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Kritiken!
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Mnajdra Shelter
Hagar Qim and Mnajdra Heritage Park Conservation and Interpretation Project
2010
Zurrieq, Malta
Auftragsart
Internationaler offener Wettbewerb
Bauherrschaft
Maltesische Regierung, vertreten durch Heritage Malta; Reuben Grima, Curator World Heritage Sites
Architektur
Walter Hunziker Architekten AG, Bern; Walter Hunziker
Fachplaner
Spezialingenieur Membranstrukturen: Michael Kiefer, Radolfszell (D)
Bauleiter
Örtliche Bauleitung, Ingenieurarbeiten Hoch- und Tiefbau, aoM Partnership, Alex Torpiano, Malta
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Generalunternehmer Membranstrukturen: Canobbio Spa, Castelnuovo Scrivia (I)
Urheber der Fotos
Architekt