Werbung für das Mittelalter

Susanna Koeberle
26. enero 2022
Die Arbeit «Guido» (2021) der walisischen Künsterin Bethan Huws erleuchtet die Krypta des Grossmünsters. (Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Tschudi und der Künstlerin, Foto: Charles Duprat)

 

Ein farbiges Leuchten aus der Tiefe lockt zurzeit Besucher*innen des Zürcher Grossmünsters in die unterirdische Krypta. Und wer schliesslich den Gewölberaum betritt, wird von drei grossen Lichtskulpturen empfangen. Ihr vibrierendes Neonlicht versetzt einen gleich in eine Art Angespanntheit, die auch die Sinne schärft. An einem Ende des Raums sehen wir sechs lebensgrosse Figuren, die in einen Kampf verwickelt sind. Man erkennt, dass die Gruppe in drei Paare gegliedert ist. Augenfällig ist auch die schematische Darstellung, die sogleich eine Brücke zwischen dem mittelalterlichen Bau und dem modernen Leuchtmittel schafft – wobei Neon streng genommen schon wieder der Vergangenheit angehört, da heute für den Normalgebrauch in der Regel LED verwendet wird. Die Künstlerin wählte nach einer ersten Besichtigung der Örtlichkeit zwei historische Reliefs aus und verwendete diese als Vorlage für ihre Arbeit. In dem Kirchenbau finden sich mehrere figürliche Reliefs, darunter auch das sogenannte Guido-Relief in der südlichen Arkadenreihe. In Bethan Huws’ Übertragung wird die gewaltsame Szenerie durch ihre Vergrösserung akzentuiert, denn leider gehören kriegerische Auseinandersetzungen auch fast tausend Jahre nach Fertigstellung dieses Sakralbaus immer noch zu unserer Realität. Durch die Verwendung des Materials Neon, das wir sonst aus der Welt der Werbung kennen, werden zwei gegensätzliche und zeitlich entfernte Welten miteinander in Verbindung gebracht. 

 

Die Arbeit der Künstlerin erinnert uns daran, dass Gewalt und Krieg bis heute existieren. (Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Tschudi und der Künstlerin, Foto: Charles Duprat)

 

Die Synapsen beginnen zu arbeiten. Als Betrachter*in muss man allerdings die Details oder die Ikonografie der historischen Referenz gar nicht unbedingt kennen. Denn auch Kunsthistoriker*innen deuten das Relief ganz unterschiedlich. Licht ist ein universelles Symbol, das betont auch die Künstlerin in einem Interview, das sie in diesem Zusammenhang der Online-Zeitschrift reformiert gab. Mit ihrer Arbeit wolle sie quasi Werbung machen für die wunderschönen mittelalterlichen Reliefs. Auf ihrem Rundgang durch die Kirche haben weitere Darstellungen ihre Aufmerksamkeit erregt, etwa verschiedene Tiere wie ein Hase aus der Krypta oder ein menschenfressendes Monster. Eine der drei Skulpturen besteht aus drei übereinander geschichteten, liegenden Neonbildern, die eben Tiere darstellen. Sie leuchten in einem bestimmten Rhythmus auf, sodass das Auge beim Entziffern der ruhelosen Bilder ständig Neues sieht. Als Nutzer*in von digitalen Medien kommt einem diese Dynamik vertraut vor ... 

 

Die dritte Arbeit, «Monkeys», zeigt eine Doppelgruppe von Affenpaaren. (Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Tschudi und der Künstlerin, Foto: Charles Duprat)

 

Bethan Huws ist mit grossem Engagement an die Aufgabe herangegangen und hat viel Zeit und Energie in die Umsetzung dieser ortsspezifischen Arbeit investiert, wie ihre Schweizer Galeristin Elsbeth Bisig Tschudi von der Galerie Tschudi erzählt. Typisch für ihre Arbeitsweise ist ihre Faszination für Handwerk, sei es für die Steinmetzarbeiten oder auch für das Herstellen der Neonröhren, das sehr aufwendig ist und grosser Expertise bedarf. Die Künstlerin arbeitet seit einigen Jahren mit diesem Medium und konnte in der Schweiz schon verschiedene permanente Kunst-und-Bau-Arbeiten realisieren, etwa die zweiteilige Schrift «A WORK OF ART WITHOUT EMOTION IS NOT A WORK OF ART» / «ARE YOU SURE?» am Kunst Museum Winterthur. Das Interesse für Neon gründet auch auf ihrer vertieften künstlerischen Auseinandersetzung zum Beispiel mit dem Werk von Marcel Duchamp oder demjenigen von Bruce Nauman. 

Auch das Mittelalter hat es der walisischen Künstlerin angetan; sie sei zudem mit einer religiösen Kultur aufgewachsen, sagt sie in oben genanntem Interview. Ethik und Moral sind ihr auch losgelöst von ihrem religiösen Kontext ein Anliegen, das spürt man als Betrachter*in ihrer subtilen Kunst. Mittels unterschiedlicher Medien beobachtet und untersucht Huws unsere Welt, ohne jemals den Mahnfinger zu erheben. Ihr geht es häufig darum, unseren Blick zu lenken. Ihre Installation im Grossmünster sei auch eine Reverenz an das besondere Licht und die Kunst in dieser Kirche – die zudem weit nachhaltiger seien als ihre Neonarbeiten. Die Fenster von Sigmar Polke und Augusto Giacometti gehören zu den bedeutenden Kunst-und-Bau-Arbeiten der Limmatstadt. Bethan Huws’ Intervention reiht sich in diese Tradition und schreibt sie fort. Bis Ende Februar können wir die Installation noch physisch erleben, danach wird sich ihr Widerschein in unseren Köpfen fortpflanzen.

 

Affen galten im Mittelalter als Sinnbild des Teufels sowie der Todsünde Vanitas. (Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Tschudi und der Künstlerin, Foto: Charles Duprat)

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