Immersive Reise oder Spiel mit Klischees?

Ulf Meyer
8. julio 2021
Die Fassade des Schweizer Pavillons ist ein spiegelnder Trichter. (Foto © Präsenz Schweiz)

In Venedig läuft gerade die 17. Architekturbiennale. Die Beiträge, aber auch die Ausstellung an sich – ihr Konzept, ihre Finanzierung, ihre ökologische Vertretbarkeit und vieles mehr – werden eifrig und kontrovers diskutiert. Während sich die Aufmerksamkeit der internationalen Architekturszene einmal mehr auf die Lagune richtet, wird im fernen Dubai ab Oktober die Expo 2020 nachgeholt – auch sie musste Corona-bedingt verschoben werden. Und auch wenn es an der ersten Weltausstellung im arabischen Raum überhaupt wohl weniger intellektuell zu und her gehen wird, spielt Architektur wiederum eine wichtige Rolle: Sie ist wesentlicher Bestandteil der Selbstdarstellung der Teilnehmerländer.

Auch die Schweiz wird im Herbst dabei sein. Das Büro OOS (Christoph Kellenberger und Andreas Derrer) aus Zürich hat den Wettbewerb um den Entwurf des Schweizer Pavillons gewonnen und darf den Schweizer Auftritt gestalten. Nun lassen sich die Qualitäten seines Konzepts «Belles Vues» überprüfen: Der Pavillon ist fertiggestellt und wird am 1. Oktober offiziell eröffnet werden. Bis Ende März nächsten Jahres werden Millionen Neugierige die Expo besuchen. 192 Länder nehmen an der Weltausstellung teil. Den Zürcher Architekten ging es, so erklären sie, darum, die Kernaussagen des Schweizer Auftritts «in Raum und Erlebnis zu übersetzen». Und das sind – völlig überraschend – die Schönheit der Alpen, Schoggi und Technologie. 

Im Inneren warten eine abstrahierte Bergwelt und ein künstliches Nebelmeer auf die Besucher*innen. (Schnitt © OOS AG, Bellprat Partner, Effektschmiede)

Natürlich wird auch mit lokalem Formenrepertoire gespielt, wie es als Geste an das Gastgeberland an Weltausstellungen häufig geschieht: Der Pavillon sei «einem Beduinenzelt nachempfunden», heisst es, weil er aus einem Gerüst und teilweise aus Textilien besteht. Entscheidender als das Material ist aber die «promenade architecturale» im Inneren: Ein Wanderweg «in drei Akten» wird den Besucher*innen im Haus geboten. Jeder «Akt» steht für ein «typisch Schweizerisches» Thema. 

Das Szenographie-Studio Bellprat Partner aus Zürich hat die Schau zusammen mit dem deutschen Büro Effektschmiede (Köln) entwickelt. Die Landschaftsarchitektur ist eine Gestaltung des Teams von Lorenz Eugster, ebenfalls aus Zürich. Sie nimmt Bezug auf ausgetrocknete Flussbetten in der Wüste, umgeben von Dattelpalmen. Es ist eine Interpretation der arabischen Wadis (Trockentäler) mit Schwemmhügeln und Vegetationsgruppen.

Die Schweizer Flagge soll sich an der Fassade des Pavillons spiegeln. (Visualisierung © OOS)

Besagte Route nimmt die Besucher*innen mit auf eine immersive Reise in die Schweiz mit dem Titel «Reflections». Sie werden nicht nur in eine Erkundung der Landschaften eintauchen, sondern sollen auch «Innovationen der Schweiz» entdecken und die «Dualität von Landschaft und Technologie» erleben.

Architektonisch betrachtet ist der Kubus des Pavillons zur Eingangsseite hin wie ein reflektierender Trichter geformt. Dies erinnert formal entfernt an das Schaulager von Herzog & de Meuron auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein. Der Vorteil: Schon beim Anstehen vor der verspiegelten Fassade unterhalten die Gäste erste Impressionen. Denn aus der Schweizer Flagge wurde ein roter Teppich entwickelt, der sich in dem Kaleidoskop spiegeln soll. Wie angenehm der Aufenthalt vor der Spiegelfläche in Dubais gleissender Sonne wird, lassen wir an dieser Stelle dahingestellt. Im zweiten Akt begegnen Besucher*innen «Panoramen der Natur». Durch künstlichen Nebel hindurch werden sie bergauf stapfen, bevor schliesslich die künstlerische Interpretation eines Bergpanoramas auftaucht. Die Idee mit dem Nebel erinnert an die Expo 02 in der Schweiz, besonders das «Blur Building» von Diller & Scofidio in Yverdon-les-Bains. Der dritte Akt beleuchtet das urbane, kreative Umfeld in der Schweiz. Hier geht es um die Bereiche Bildung, Forschung, Innovation und Wirtschaft. Die Reise endet in einem Raum mit arabischen Sitzmöbeln, wo Süssigkeiten aus der Schweiz gereicht werden.

Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Dachgeschoss

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