Die Nationalbibliothek als Forum

Manuel Pestalozzi
18. enero 2023
Der denkmalgeschützte Bau der Nationalbibliothek in Bern steht architektonisch für eine Schweizer Spielart der Neuen Sachlichkeit. (Visualisierung: © Christ & Gantenbein)

Die Schweizerische Nationalbibliothek ist ähnlich wie auch das Nationalmuseum ein Kind des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ihre Aufgabe besteht darin, Schweizer Druckerzeugnisse wie Bücher, Plakate oder Zeitschriften zu sammeln und zu ordnen. Ihre Arbeit nahm sie im Jahr 1895 auf – in einer Vierzimmerwohnung in Berns Altstadt. 1899 erfolgte der Umzug ins neu erbaute Bundesarchiv im Kirchenfeldquartier, das rechts der Aare liegt. Doch bald reichten die Räumlichkeiten nicht mehr aus, und so wurde 25 Jahre später ein Wettbewerb für ein eigenes Gebäude lanciert. Als Bauplatz diente eine Parzelle hinter dem Kirchenfeld-Gymnasium im Bildungs- und Museumsquartier Kirchenfeld. Von den Architekten wünschte man sich damals ein Gebäude mit einer dem Zweck entsprechenden Gestaltung, wobei jeglicher Luxus vermieden werden sollte – schliesslich handelte es sich um einen Verwaltungsbau.

Der Bibliotheksbau der Architekten Alfred Oeschger, Emil Hostettler und Josef Kaufmann übernahm die Symmetrieachse des älteren Gymnasiums Kirchenfeld. Er fasst mit dem Schulbau einen Grünraum. (Situation: © Christ & Gantenbein)

Siegreich aus dem Wettbewerb hervorging schliesslich das Projekt der Architektengemeinschaft Alfred Oeschger (1900–1963), Emil Hostettler (1887–1972) und Josef Kaufmann (1882–1962). Ihr in den Jahren zwischen 1929 und 1931 realisierter Bau orientiert sich an der Symmetrieachse des benachbarten Gymnasiums. Er besitzt dieselbe Ausdehnung wie die Schule und fasst mit jener einen hofartigen Grünraum. Doch die Nationalbibliothek wurde sowohl konstruktiv als auch hinsichtlich ihrer gestalterischen Ausformung nach den Prinzipien der Architekturmoderne entworfen. Manche Zeitgenossen sprachen sogar von einer avantgardistischen Architektur. Heute würde man sie aufgrund der angedeuteten Bandfenster, der zurückversetzten Walmdächer und des expressiven Beton-Bücherturms wohl eher als bodenständige und solide Spielart des Bauens der Neuen Sachlichkeit bezeichnen.

Bereits seit vielen Jahren steht die Nationalbibliothek unter Denkmalschutz. Nun aber soll sie generalsaniert werden. Dazu wurde ein Studienauftrag ausgelobt. Denn die Aufgabe der Bibliothek wird künftighin nicht mehr nur in der Aufbewahrung von Schriften bestehen. Vielmehr soll das Haus zu einem modernen Kultur- und Wissensort werden, der den Austausch und die Begegnung von Menschen und Institutionen ermöglicht und einen offenen, zeitgemässen und einfachen Zugang zu Informationen über die Schweiz bietet. Diese Vision eines «Forums» soll fortan das Programm bestimmen.

Der Bücherturm soll dereinst auch für Veranstaltungen nutzbar sein. (Visualisierung: © Christ & Gantenbein)

Die Jury entschied einstimmig, der Eidgenossenschaft, vertreten durch das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), das Projekt «NATBIB» eines Generalplanerteams unter der Leitung von Christ & Gantenbein und Drees & Sommer zur Weiterbearbeitung zu empfehlen. Die Juror*innen urteilten, den Projektverfassenden sei es überzeugend gelungen, die hohe Qualität des bestehenden Gebäudeensembles zu erhalten. 

Sicher konnten Christ & Gantenbein bei ihrem Vorschlag von den Erfahrungen profitieren, die sie bei der Sanierung des Landesmuseums in Zürich gesammelt haben. Doch bei der Nationalbibliothek bietet sich die Chance, das Innenleben des Bestandsbaus gemäss der Vision eines Forums neu zu denken. Zu den wesentlichen Merkmalen des Projekts gehört dementsprechend zum Beispiel die Nutzung des historischen Bücherturms als attraktiver Treffpunkt für die Besucher*innen. Zukünftig können dort auch Veranstaltungen stattfinden.

Eine Ausstellung mit allen eingereichten Projekte läuft noch bis zum 29. Januar im Kornhausforum Bern. Die Galerie am Kornhausplatz 18 ist jeweils dienstags bis freitags von 12 bis 17 Uhr, donnerstags von 12 bis 20 Uhr sowie am Wochenende von 11 bis 16 Uhr geöffnet.

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