Reise nach Transsilvanien
Susanna Koeberle
18. enero 2018
Im Städchen Sighisora scheint die Zeit stillzustehen. Bild: Susanna Koeberle
Eine Reise nach Transsilvanien zeigt die lebendige Handwerkstradition der dort ansässigen Roma und führt auch die komplexen Probleme vor Augen.
Transsilvanien: Die ungewöhnliche Destination evoziert erst einmal Bilder aus Filmen wie «Tanz der Vampire» oder «Bram Stoker’s Dracula». Doch das Ziel dieser Reise ist es nicht, der Spur der Vampire zu folgen und in Legenden-Nostalgie zu schwelgen. Es geht um ein ernsteres Thema: um die Lebensbedingungen der dort wohnhaften Roma-Bevölkerung. Wir begleiten die beiden Wiener Designer Nadja Zerunian und Peter Weisz auf einem ihrer Besuche zu Roma-Handwerkern. Vor vier Jahren wurden sie von der «Erste Stiftung» angefragt, beim Projekt einer rumänischen Organisation mitzuwirken. Das social inclusion-Projekt der von Roma gegründeten NGO «MBQ» (Mesteshukar ButiQ) bezweckt, das Handwerk der in Rumänien ansässigen Roma durch einen Austausch mit Gestaltern zu fördern.
Die Aufgabe besteht darin, für die traditionellen Erzeugnisse der Roma eine moderne Formensprache zu entwickeln. Der Verkauf der gemeinsam erarbeiteten Stücke in einem Laden in Bukarest soll auch helfen, Berührungsängste und Vorurteile seitens der Rumänen abzubauen. Ihre erste Reise nach Transsilvanien war für die beiden Designer ein Schock. Die Armut der Roma-Population, die Ausgrenzung dieses Volkes, das immerhin 10 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmacht, ergriff und erschreckte sie. Doch das handwerkliche Knowhow, das sie vorfanden und das von Generation zu Generation tradiert wurde, war beeindruckend. Nachdem sie für diese Kooperation offene Handwerker gefunden hatten, kam das Projekt ins Rollen. Nach mehr als drei Jahren lassen sich die Resultate sehen.
In Copsa Mare stammen viele Häuser aus dem 18. Jahrhundert. In Siebenbürgen wohnten lange Zeit Sachsen. Bild: sk
Unser Flug führt von Zürich über Wien nach Sibiu, eine Stadt im Zentrum von Rumänien. Nach einer Stunde Autofahrt erreichen wir Copsa Mare, unsere erste Station. Erst am nächsten Morgen zeigt sich, dass zumindest eine der Klischee-Vorstellungen über diese Gegend zutrifft: Man hat das Gefühl in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Das Dorf, das inmitten einer idyllischen Landschaft liegt, ist geprägt durch die Architektur der Sachsen, die während vielen Jahrhunderten hier in Siebenbürgen (wie das Gebiet auch heisst) lebten. Viele der bunt bemalten Häuser stammen aus dem 18. Jahrhundert. Die Patina der gealterten Wände ergibt wundersam gemusterte Oberflächen. Einzelne Bauten wurden sorgfältig restauriert und bieten Touristen stilvolle Unterkünfte; vor allem um zu reiten, kommen Besucher in diese Gegend.
Ein Haus der Kalderasch Sippe. Häufig ist nur die Fassade so prunkvoll. Bild: zvg
Zu Besuch bei den Kupferschmieden
Von hier aus geht es weiter zu einer Kalderasch-Familie. Die Kupferschmiede gehören zu den wohlhabenderen Roma-Untergruppen. Dennoch leben viele am Existenz-Minimum. Die meisten Häuser besitzen kein fliessend Wasser und keine Heizung. Und in Transsilvanien sind die Winter kalt. Mit dem Kupferschmied Victor und seinem Vater Itzok arbeiten die beiden Designer Nadja Zerunian und Peter Weisz schon länger zusammen. Sie waren so begeistert von Victors Talent, dass sie von ihm auch Arbeiten für ihr eigenes Label «zerunianandweisz» fertigen lassen. Die Einfahrt zum einfachen Ziegelstein-Haus ist mit einem aufwändig geschmiedeten Tor versehen. Man zeigt gerne, was man kann. Im Gegensatz zu anderen prunkvoll verzierten Häusern (häufig ist nur die Fassade so), die wir im näheren Umkreis zu sehen bekommen, ist das Haus der Familie Caldarar (traditionell heissen die Kupfertreiber immer Caldarar) rudimentär gebaut. Die Stube ist mit einer rosa geblümten Tapete versehen, die Küche ist ein abenteuerlicher Mix von Materialien und Farben.
Der Grossvater und seine Enkelinnen. Bild: sk
Bunt sind auch die Kleider der Kalderasch-Frauen. Sie tragen stets Rot. Nicht immer gerne, wie wir von einer der Töchter erfahren, die uns ihre Leggings unter dem rot gemusterten Rock zeigt. Untereinander spricht die Familie Romanes, die Sprache der Roma, die mit Sanskrit verwandt ist. Diese variiert allerdings je nach Gegend stark, da die Roma in ganz Europa herumkamen und häufig Begriffe des Aufenthaltlandes in ihre eigene Sprache einfliessen liessen. Alle Familienmitglieder sprechen auch Rumänisch. Die beiden Männer zudem Italienisch, da sie früher mehrere Jahre in Italien als Pferdehüter arbeiteten. Viele Roma müssen, um Geld zu verdienen, im Ausland Arbeit suchen. Junge Roma wollen häufig nicht die Berufe ihrer Väter erlernen, denn sie möchten weiterkommen, Neues lernen, in der Jetztzeit leben. Eine Ausbildung zu machen, wird ihnen aber nicht selten von der eigenen Familie verwehrt (vor allem den Mädchen); zu gross ist die Angst, dass die junge Generation sich dadurch von den Traditionen entfernt. Hier setzt auch «MBQ» an: Der Austausch soll den Handwerkern neue Perspektiven aufzeigen. Und ihnen den Stolz auf ihr Können wiedergeben.
In der Werkstatt ist es kalt. Bild. sk
In der Werkstatt ist es kalt. Victor und Itzok ziehen zum Arbeiten die traditionellen Hüte an, welche die Kalderasch von anderen Sippen unterscheidet. Das Misstrauen gegenüber anderen Berufen (und damit auch Sippen) ist gross, man bleibt unter sich – eine Form der Abkapselung, welche die vertrackte Lage noch komplizierter macht. Doch auch für Roma, welche den Weg der Assimilation wählen, ist es nicht einfach. Deswegen verschweigen auch viele Roma ihre Herkunft.
Für die Erarbeitung der Stücke mussten die Designer zuerst herausfinden, was überhaupt möglich ist. Die vorhandenen, traditionellen Werkzeuge sind für bestimmte Abläufe und Formen gemacht. Zudem wollten Zerunian und Weisz bei den Wurzeln des Handwerks bleiben, es ging darum, die bestehenden Typologien zu verfeinern, ihnen einen zeitgenössischen Ausdruck zu verleihen.
Die Holzschnitzer leben in ärmlichen Verhältnissen. Bild: sk
Hoffnung auf Veränderung
Eine andere Welt treffen wir bei den Holzschnitzern an. Das Haus der Familie ist winzig, in der engen Werkstatt haben kaum drei Leute Platz. Die Armut ist deutlich spürbar. Die Holzschnitzer-Familie ist aufgeschlossen, man arbeitet im Team. Der älteste Sohn macht eine Ausbildung auf einer technischen Schule, das erlauben die Eltern – in der Hoffnung wohl, dass die nächste Generation besser über die Runden kommt (Holzschnitzen ist weniger lukrativ als Kupfertreiben, das erleichtert paradoxerweise eine Assimilation). Ob er jemals Arbeit finden wird, ist fraglich. In der Nicht-Roma-Bevölkerung herrschen starke rassistische Vorurteile gegenüber den Roma, was die Integration erschwert. Die Initiative von «MBQ» ist ein möglicher Ansatz zur Lösung eines immensen Problems, das übrigens auch ausserhalb von Rumänien existiert. Nicht nur in Osteuropa, auch in unseren Breitengraden ist das Bild der Roma-Kultur durch Negativschlagzeilen geprägt.
«The Gate of Kiss» von Constantin Brancusi in Târgu Jiu. Bild: sk
Einen eindrücklichen Abschluss der Reise bildet der Ausflug zum Freiluft-Skulpuren-Ensemble von Constantin Brancusi in Târgu Jiu. Der rumänische Künstler, der als Kind in der Ortschaft gelebt hatte, schuf drei grosse Werke sowie Sitzgelegenheiten für eine Allee. Die 1938 fertig gestellten Arbeiten ehren die Helden des Ersten Weltkrieges. In der kommunistischen Ära galten die Werke als Auswüchse bürgerlicher Kunst. Erst nach vielen Jahren wurde Brancusi als Künstler auch in seinem Heimatland wiederentdeckt und die Werke daraufhin restauriert. Das Überdenken von verkrusteten Werturteilen sollte dringend auch im Falle der Roma geschehen.