Elias Baumgarten sprach mit Verena Konrad über die Arbeit des Vorarlberger Architektur Instituts
Kulturarbeit
3. octubre 2019
Verena Konrad (Foto: Darko Todorovic)
Architekturvermittlung ist so arbeitsintensiv und fordernd wie wichtig; die Architekturszene, ja die ganze Baubranche profitiert. Doch was gehört eigentlich dazu, Professionist*innen, Politiker*innen, Beamt*innen, Bauherr*innen und interessierten Laien gleichermassen eine attraktive Diskursplattform zu bieten? Ich bin ins österreichische Dornbirn gereist, um Verena Konrad, die Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts (vai), zum Gespräch zu treffen. Inmitten der neusten Ausstellung «Inhabiting» zur Architektur von Lacaton & Vassal (zu sehen noch bis zum 5. Oktober 2019) gab sie Einblick in die Arbeit des vai.
Elias Baumgarten: In Österreich kümmern sich unter anderem gemeinnützige Vereine mit grossem Einsatz um die Architekturvermittlung und die Förderung zeitgenössischer Baukultur. Das Vorarlberger Architektur Institut (vai) ist dabei das jüngste Architekturhaus. Seit 1997 besteht der Trägerverein, etwas später kam eine gemeinnützige GmbH hinzu. In der Architekturszene seid ihr sehr präsent und werdet in ganz Österreich und sogar im Ausland – gerade auch in der Schweiz – stark wahrgenommen. Wie kommt das? Was macht die Qualität des vai aus?
Verena Konrad: Wir haben ein lokales Verständnis von Kulturarbeit. Das vai soll die Homebase sein für alle, denen die Entwicklung der Baukultur in Vorarlberg am Herzen liegt. Wir möchten eine Schnittstelle sein und verschiedene Professionist*innen aus Baubranche und Kulturarbeit, aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft zusammenbringen. Das vai ist eine Diskursplattform. Unser Ziel ist, aktuelle Entwicklungen zu benennen, zu besprechen und zu analysieren. Ausdrücklich nicht möchten wir mit erhobenem Zeigefinger umherlaufen und die Leute belehren. In möglichst einfacher und verständlicher Sprache geben wir Wissen weiter beziehungsweise machen es zugänglich.
Zudem: Wir sind für alle da. Wir bringen die Debatte um Architektur und Baukultur zu allen Menschen, Laien sind uns ebenso willkommen wie Fachleute. Das vai ist kein elitärer Ort.
Foto: Darko Todorovic
Für alleEB: Architekturvermittlung an alle – auch viele andere Architekturforen und -museen haben dieses Ziel ausgegeben. Und das ist gut so: Die Architekturszene kann von einer gesteigerten Wertschätzung und einem grösseren Verständnis in der Bevölkerung nur profitieren. Viele Ressentiments und Ängste können so abgebaut werden. Zugleich wissen wir mittlerweile aber auch, dass es nicht leicht ist, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Welche Massnahmen ergreift ihr also konkret? Wie lockt ihr Normalbürger*innen an?
VK: Die gebaute Umwelt betrifft jeden Menschen ganz direkt. Das ist unser Ansatz und von diesem Umstand gehen wir aus. Trotzdem ist es manchmal nicht einfach, Architektur in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Das liegt an vielen Faktoren. Kulturelle Anliegen bekommen generell wenig Aufmerksamkeit in den Medien. Wir setzen nicht auf das Spektakel, sondern arbeiten leise und konzentriert. Auch das läuft der Logik einer von PR durchsetzten Medienlandschaft entgegen. Kultur ereignet sich. Unsere Arbeit agiert und reagiert prozesshaft. Wir versuchen thematisch und über die Wahl der Formate Angebote zu machen, die auf unterschiedliche Weise unsere Inhalte zugänglich machen und bereiten unsere Themen auch für verschiedene Zielgruppen auf. Gut funktionieren immer wieder unsere Wechselausstellungen. Hier machen Personen, die schlicht aus kulturellem Interesse kommen, mehr als 50 Prozent des Publikums aus. Wir bemühen uns, hinsichtlich der Themen viel Abwechslung zu bieten, um ganz verschiedenen Menschen mit unterschiedlichsten Interessen einen Grund zum Kommen zu geben.
Dann beobachten wir in Österreich – wie übrigens auch in Deutschland – jüngst vermehrt Bürgerinitiativen zu städtebaulichen Themen. In unserer Filterblase wird das bisweilen belächelt, manche sprechen auch schnell abfällig von Wutbürgern. Wir hingegen sehen das als Chance und versuchen solche Gruppen einzubinden. Wir hoffen, aus oft hoch emotionalen sachorientierte Diskurse machen zu können. Dies funktioniert allerdings nur, wenn (wieder) über Partikularinteressen hinausgedacht wird. Und schliesslich ist uns das Publizieren besonders wichtig. Wir haben eine Kooperation mit der Tageszeitung Vorarlberger Nachrichten auf die Schiene gebracht: Jeden Sonntag zeigen und besprechen wir darin in sehr einfacher Sprache ein Projekt. Das bereitet uns immer wieder aufs Neue grosse Freude, auch wenn das Ausarbeiten der vielen Beiträge dem Team einiges abverlangt.
EB: Ein ähnliches Angebot macht ihr einmal monatlich mit «Architektur vor Ort»…
VK: Jede Architekt*in wird bestätigen, dass Bauplatz und Kontext entscheidend für den Entwurf sind. Darum organisieren wir regelmässig Ortsbesuche und besichtigen Bauten. Die Gestalter*innen und Fachplaner*innen erklären dabei zusammen mit Bauherrschaft und Nutzer*innen ihre Projekte. Auch dieses Angebot erfreut sich weit über die Architekturszene hinaus grosser Beliebtheit.
Wichtig ist mir noch eines: Wir bemühen uns intensiv um junge Menschen. Wir veranstalten zum Beispiel Workshops an Schulen und organisieren mit verschiedenen Partnern Ferienprogramme. Zu vielen Ausstellungen gibt es ausserdem spezielle Vermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche. Uns geht es dabei nicht in erster Linie darum, künftige Architekt*innen anzusprechen. Kinder und Jugendliche sind die Bauherr*innen von morgen. Sie sind wichtig für die künftige baukulturelle Entwicklung. Wir wollen sie für diese Aufgabe sensibilisieren und mit ihnen Betrachtung und Verbalisierung von Architektur und gebauter Umwelt üben sowie Entscheidungsstrukturen erkennbar machen – das geht teilweise schon fast in den Bereich politischer Bildung über.
Zu Gast bei Baumschlager Hutter Partners (Foto: Darko Todorovic)
Besichtigung des Bürohauses «2226» (Foto: Darko Todorovic)
EB: Gerade, wenn du von Jugendlichen sprichst, spielen auch Kosten eine Rolle. Überhaupt zeigt sich, dass die Bereitschaft, für kulturelle Angebote tief in die Tasche zu greifen, oft nur mässig ausgeprägt ist.
VK: Darum ist unser Programm kostenlos – von wenigen Ausnahmen wie Exkursionen abgesehen. Ermöglicht wird dies durch Gelder, die wir von der öffentlichen Hand und unseren Sponsoren erhalten oder die uns in Form von Mitgliedsbeiträgen zufliessen.
EB: Ich stelle mir vor, das Schöne und zugleich Fordernde an deinem Job ist indes, gemeinsam mit dem Team die inhaltliche Ausrichtung zu bestimmen; zu entscheiden, was gezeigt wird und welche Themen verhandelt werden sollen.
Ab dem 25. Oktober 2019 werdet ihr die Schau «BASEhabitat» präsentieren. Sie thematisiert die soziale Verantwortung von Architekt*innen. Aktuell ist noch die Ausstellung «Inhabiting» zur Architektur von Lacaton & Vassal zu sehen. Sie rückt kostengünstiges, doch qualitätsvolles Wohnen in den Fokus. Und zu Beginn des Jahres habt ihr «Legislating Architecture» von Brandlhuber+ und Christopher Roth gezeigt. Es scheint, dass euch die soziale und politische Dimension von Architektur besonders interessiert.
VK: Wir sehen drei Themenkomplexe, die in Vorarlberg – wie eigentlich in ganz Mitteleuropa und weit darüber hinaus – danach drängen, diskutiert zu werden. Zum ersten ist das der Bereich Ökologie, der aktuell stark in den Fokus der politischen Debatte gerückt ist. Das Thema hat in Vorarlberg Tradition. Wir koppeln es ab von tagespolitischen Ereignissen, der Fokussierung auf Energieeffizienz oder der Propagierung bestimmter Baumaterialien. Vielmehr verhandeln wir die grossen Fragen dahinter.
Urbanisierung ist ein zweiter wichtiger Punkt, dem wir uns widmen. Das Vorarlberger Rheintal ist der viertgrösste Ballungsraum in Österreich. Mobilität, Freiraumgestaltung und (leistbares) Wohnen bestimmen das hiesige Architekturgespräch. Und obwohl die Wirtschaft in Vorarlberg stark ist und stetig im Wachsen, müssen wir uns leider mit dem Thema Armut auseinandersetzen – insbesondere hinsichtlich älterer Menschen und Frauen.
Drittens widmen wir uns immer wieder dem Thema Freiraum und haben in jüngerer Vergangenheit auch den Fokus auch Landschaftsarchitektur gelegt.
Sehr wichtig ist mir, dass wir grundsätzlich immer versuchen, zwischen lokaler und globaler Perspektive zu wechseln. Auch wählen wir alternierend mal einen theoretischen, dann wieder einen praktischen Zugang.
Foto: Angela Lamprecht
Arno Brandlhuber trägt im vai vor. (Foto: Angela Lamprecht)
EB: Du hast ältere Menschen und deren Wohnbedürfnisse angesprochen – dieses Thema brennt euch besonders unter den Nägeln. Habt ihr dazu ein Projekt in der Pipeline?
VK: Ja, wir haben derzeit eine Veranstaltungsreihe zu diesem Thema. Entstanden ist das Projekt aus einer Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt, dessen Ausstellung über gemeinschaftliches Wohnen wir übernommen haben. Es gibt allerorten einen Mangel an günstigem Baugrund. Daraus resultiert eine Verknappung von leistbarem Wohnraum. Vielfach entstehen Wohnbauten – auch hier in Vorarlberg – als reine Spekulationsobjekte. Wir erwarten, dass in der Folge – wie schon in den 1980er-Jahren geschehen – gemeinschaftliche Wohnformen stark Konjunktur bekommen. Wie aktuell waren damals nicht nur ökologische oder soziale Überlegungen Triebfedern, sondern es gab auch handfeste ökonomische Gründe. Es gibt in diesem Bereich heute zahlreiche Initiativen, die wir mit grossem Interesse beobachten. Dabei ist uns aufgefallen, dass dieses Thema auch viele ältere Menschen interessiert. Vielen wird ihr Wohneigentum im Alter allmählich zur Last. Gemeinsam mit Connexia, Vorarlbergs grösstem Pflegedienstanbieter, und der Aktion Demenz haben wir daher das Projekt «Wohnen und Leben im Wandel» lanciert. Wir fragen nach den spezifischen Wohnbedürfnissen älterer Menschen beziehungsweise nach generationengerechten Wohnformen.
EB: Gerne würde ich etwas springen: Vorarlberg hat eine überaus hochstehende Baukultur. Viele blicken mit grösster Wertschätzung ins Ländle. Dabei sind Ausbildungsangebote dort eher dünn gesät. Es gibt lediglich eine Fachhochschule. Inwiefern kann man sagen, ihr füllt einen Teil dieser Lücke?
VK: Wir engagieren uns im Bereich Forschung und Lehre stark, ohne jedoch selbst zu forschen. Dafür sind wir zu klein, das ist nicht unser Profil. Aber wir kooperieren mit Forschungseinrichtungen, sind Themenstifter*innen und vermitteln Erkenntnisse aus den Wissenschaften weiter.
Zum Beispiel arbeiten wir im Zuge des Weiterbildungsprogramms «überholz» mit der Kunstuniversität Linz zusammen. Statt stumpfem Frontalunterricht sind dabei Theorie und Praxis eng miteinander verzahnt. Für die Zukunft ist der Aufbau eines europäischen Hochschulzentrums am Bodensee angedacht. Beteiligt sind an dem Projekt sämtliche Schulen rund um den See – und wir auch.
Ich möchte allerdings klarstellen, dass Vorarlbergs Erfolg was das Bauen anbelangt auch massgeblich vom Handwerk getragen wird. Der tertiäre Bildungsbereich spielt dabei eine nachgeordnete Rolle. Es gibt eine Vielzahl von starken Familienunternehmen, die Wissen von Generation zu Generation weitervermitteln. Mittlerweile haben sie sich stark geöffnet, sind international gut vernetzt und manche arbeiten in Forschungsprojekten auch mit Hochschulen zusammen. So wird Wissen in der Breite verfügbar. Wir lernen zusammen und voneinander.
EB: Doch wie kommt es, dass das Handwerk hier in so guter Verfassung ist? Wenn ich mit Architekt*innen aus anderen Regionen und Ländern spreche, insbesondere aus Deutschland, klagen viele, sie könnten kaum noch gute, fachkundige Handwerker*innen für ihre Projekte finden.
VK: Auch auf die Gefahr hin, dass es platt oder verkürzt klingt: Wir haben hier eine immense Wertschätzung für das Handwerk. Die gesellschaftliche Anerkennung ist gross, viele haben ein Faible für gut gemachte, wertige Dinge. Das gilt für Möbel zum Beispiel genauso wie für Gebäude. Darum sind Menschen etwa im Bregenzerwald so stolz, Handwerkerin oder Handwerker zu sein. Ich denke, das ist die Basis von alldem: Menschen können nur Höchstleistungen erbringen, wenn sie sich gesehen, wertgeschätzt und wichtig fühlen. Das motiviert ungemein und treibt zu einem unermüdlichen Streben nach Verbesserung an.
Vielleicht hat das Ganze aber auch mit der in Vorarlberg ausgeprägten Vermengung von ländlichen Charakteristika und urbaner Dichte zu tun. Wir werden es bald herausfinden: Für das kommende Jahr bereiten wir gerade einen grossen Kongress vor, der sich thematisch um rurale und städtische Entwicklung drehen wird.