Romana Castiglioni, Alexia Sawerschel und Besa Zajmi sprachen mit Elias Baumgarten über die Entwicklung ihres Büros und ihre neusten Erfolge.
Gekommen, um zu bleiben
16. enero 2020
Von links nach rechts: Besa Zajmi, Alexia Sawerschel und Romana Castiglioni (Foto © Studio Barrus)
Vor einem Jahre haben Romana Castiglioni, Alexia Sawerschel und Besa Zajmi den «Foundation Award» gewonnen, den vielleicht wichtigsten Preis für Schweizer Nachwuchsarchitekt*innen. Wie geht es ihnen heute? Konnten sie ihren Weg erfolgreich weitergehen? Hat ihnen die Auszeichnung geholfen, sich zu etablieren? Wir haben sie in ihrem Büro in Zürich besucht und befragt.
Elias Baumgarten: Vor einem Jahr habt ihr den «Foundation Award» gewonnen. Wie haben sich die Dinge seither für euch entwickelt? Konntet ihr von der Auszeichnung profitieren?
Alexia Sawerschel: Es läuft gut für uns! Wir haben vor wenigen Wochen gemeinsam mit Manetsch Meyer Architekten unseren ersten Wettbewerb gewonnen! Es ging dabei um die Gestaltung eines Pflegeheims der Stiftung Rosenpark in Gersau am Vierwaldstättersee. Jetzt sind wir an der Überarbeitung unseres Projekts «Seidensänger». Solche Kooperationen mit erfahrenen Kolleg*innen sind für uns als junges Büro sehr wichtig, und ich denke, der «Foundation Award» hat uns bei vielen auf den Radar gebracht.
Besa Zajmi: Lukas Meyer kenne ich ursprünglich noch von der ETH Zürich, er war mein Assistent, als ich dort studiert habe. Er hat uns herzlich zum «Foundation Award» gratuliert und wenig später zur Zusammenarbeit eingeladen.
Im Februar 2019, kurz nach dem «Foundation Award», wurde ich vom Tagblatt aus Gossau interviewt. Im Herbst dann wurden wir zum Wettbewerb um die Gestaltung eines Einzelkindergartens in der Stadt eingeladen. Das war eine grosse Ehre für uns, schliesslich durften nur vier weitere Büros teilnehmen. Andere müssen viel länger warten, ehe sie eine solche Chance bekommen. Schlussendlich haben wir den zweiten Platz belegt.
Auch toll ist, dass wir vermehrt Anfragen bekommen, an Ausstellungen teilzunehmen und Vorträge zu halten. Zum Beispiel wurden wir ins Architekturforum Thun eingeladen, um am 5. Februar 2020 über unsere Arbeitshaltung zu sprechen. Zudem dürfen wir vom 18. März bis zum 5. April 2020 im Zentrum Architektur Zürich (ZAZ) ausstellen – im Rahmen der Schau «Frau Architekt». Und auch an der Swissbau sind wir in diesem Jahr präsent. Solche Auftritte sind nicht nur wertvoll, weil sie uns zusätzliche Sichtbarkeit verschaffen, sondern vor allem auch weil sie uns zwingen, unsere Haltung und Arbeit zu reflektieren und uns zu positionieren.
Romana Castiglioni: Wir versuchen uns indes auch durch Präqualifikationen zu kämpfen. Bisher wurden wir bereits bei einigen selektiven Wettbewerben zugelassen.
Gemeinsam mit Manetsch Meyer Architekten gewann Studio Barrus 2019 den Wettbewerb um die Gestaltung eines Pflegeheims der Stiftung Rosenpark in Gersau. (Modellfoto © Studio Barrus)
Das zweistöckige Restaurant soll ein wichtiger Treffpunkt innerhalb des Heims werden. (Zeichnung © Studio Barrus)
Grundriss 2. Obergeschoss
Materialkomposition (Collage © Studio Barrus)
EB: Ihr habt also schon einige Erfahrungen mit Wettbewerben gesammelt. Wenn ihr darüber sprecht, merkt man gleich, ihr seid mit Freude und Leidenschaft bei der Sache. Das Wettbewerbswesen steht in der Schweiz wie im gesamten D-A-CH-Raum aber auch in der Kritik. Wie bewertet ihr die Lage? Welche Erfahrungen habt ihr bisher gemacht?
RC: Für uns sind Wettbewerbe die beste Möglichkeit, an Aufträge zu kommen und bekannter zu werden. Sie sind eigentlich die einzige Option, wenn man nicht gerade eine Familie oder Bekannte hat, die einen beauftragen!
BZ: Grundsätzlich sehen wir das Schweizer Wettbewerbswesen sehr positiv, wir profitieren enorm von ihm. Aber die Abläufe sind nicht immer ideal. Die Jurierung geht zum Beispiel oft zu schnell. Es gibt Fälle, in denen über 80 Teams abgeben, doch die Beurteilung dauert gerade mal einen Tag. Man fragt sich schon, wie das geht. Mir fehlt da ein wenig die Wertschätzung für die viele Arbeit, die wir Architekt*innen uns machen. Und oft wüssten wir auch gerne genauer, woran es gelegen hat, dass wir nicht gewonnen haben. Mehr Feedback wäre sehr wertvoll, dann wüssten wir eher, wie wir uns verbessern können.
AS: Sehr kritisch ist, dass die Abgaben immer umfangreicher werden und sich die Bewertungskriterien mehr und mehr hin zur Wirtschaftlichkeit verschieben; alles soll schon durchgeplant und -gerechnet sein, man braucht bereits früh ein grosses Team an Fachplanern. Ich verstehe zwar gut, dass Bauherr*innen ihr Budget im Auge behalten müssen – alles andere wäre unverantwortlich –, doch darf darüber nicht vergessen gehen, dass trotzdem architektonische Konzepte im Fokus stehen sollten. Eigentlich sollte man mit der Grundidee gewinnen. Konkurrenzverfahren sollten künstlerische Ideenwettbewerbe sein, wie Kathrin Aste im Interview mit dir neulich gesagt hat. In der Realität sind mitunter aber die Projekte erfolgreich, die vom Aussehen her am günstigsten und einfachsten umsetzbar scheinen. Für unsere Baukultur ist das gewiss nicht ideal, und gestalterische Innovationen werden so nicht gefördert.
EB: Besonders bemängelt wird hierzulande, dass es immer weniger offene Verfahren gibt.
RC: Dem schliessen wir uns an! Momentan muss man oft lange warten, bis endlich wieder ein offener Wettbewerb ausgeschrieben wird. Auf diesen stürzen sich dann alle, die Konkurrenz ist enorm – manchmal gehen über 200 Vorschläge ein. Auch für die Juror*innen stelle ich mir das sehr schwierig vor. Hätten wir mehr offene Verfahren, würde sich dieser Ansturm wohl besser verteilen. Und ich denke, wären gar alle Wettbewerbe offen, würden vielleicht jeweils nur 20 Teams abgeben. Für uns Architekt*innen wäre das viel besser. Auch die Baukultur insgesamt würde profitieren.
AS: Man darf aber bei aller Kritik nicht vergessen, dass die Konkurrenzverfahren in der Schweiz meistens zu sehr qualitätsvollen Ergebnissen führen. Sie sind wertvoll und eine tolle Chance, wir sollten uns glücklich schätzen. Wir wünschen uns, dass es künftig noch mehr Wettbewerbe gibt. Denn leider gibt es viele Bauherrschaften, die versuchen, sich um einen vollwertigen Wettbewerb zu drücken.
Studio Barrus stellt seine Installation «Perspektive» derzeit an der Swissbau in Basel aus. (Foto © Studio Barrus)
Orte und MenschenEB: Was euch an Wettbewerben erfolgreich macht, ist eure erfrischende und zeitgemässe Architektur. Lasst uns über sie sprechen: Was inspiriert euch zu euren Projekten?
AS: Für uns ist die Baugeschichte – auch die anderer Kulturkreise – ein reicher Fundus an Referenzen und sehr wichtig. Historische Beispiele interessieren uns sehr, wir versuchen aus ihnen Ideen für unsere Projekte abzuleiten. Auch die Kunst und die -geschichte sind wichtig für uns.
BZ: Dabei arbeiten wir sehr frei und assoziativ. Bei jedem Projekt entwickelt sich für uns allmählich eine ganze «Wolke» von inspirierenden Objekten, wir kommen – etwas esoterisch gesagt – in die richtige Stimmung zum Entwerfen.
In Gossau wurde Studio Barrus zum Wettbewerb um die Gestaltung eines Einzelkindergartens eingeladen. Die Architektinnen erreichten mit ihrem Entwurf «Zauberhut» den zweiten Rang. (Modellfoto © Studio Barrus)
Grundriss Erdgeschoss
Ostansicht
Schnitt
EB: Was macht für euch ein gelungenes Projekt aus?
BZ: Sehr wichtig ist uns der Ort. Wir möchten seine Ordnung verstehen und seinen grundlegenden Regeln folgen. Damit meinen wir nicht, dass wir Gebäude am Bauplatz kopieren oder aktualisieren. Wir möchten vielmehr etwas Neues schaffen, das einen Mehrwert erzeugt und zugleich der inhärenten Logik des Kontexts entspricht.
Ein aktuelles Beispiel ist unser schon angesprochener Entwurf für einen Einzelkindergarten in Gossau. Das schöne Grundstück befindet sich an einem Hügel, oberhalb stehen eine Kirche sowie eine Schule und nebenan ein Kirchgemeindehaus. Bei dem Projekt handelt es sich um einen Ersatzneubau, der deutlich grösser als sein Vorgänger ausfallen soll. Hätten wir unser Gebäude analog zu seinem Vorläufer positioniert, wäre das aufgrund des grösseren Volumens der Aussenraumqualität abträglich gewesen. Auf der Suche nach einer besseren Lösung haben wir festgestellt, dass die anderen Bauten umher – von der Kirche einmal abgesehen – so platziert sind, dass die Freiräume zum Hang hin orientiert sind. Wir haben uns entschieden, dieser Logik zu folgen, und unser Bau so an eine Geländekante gestellt, dass ein grosszügiger Freiraum gegen Osten aufgespannt wird.
AS: Wesentlich war auch die Kirche, die den Ort weithin prägt. Sie sollte das wichtigste Objekt bleiben. Zugleich wollten wir, dass der Neubau eine eigene Adresse bekommt. Matchentscheidend fanden wir dafür die Dachform. Wir haben lange recherchiert und in der traditionellen wie der zeitgenössischen japanischen Architektur zahlreiche passende Beispiele gefunden.
RC: Basierend darauf haben wir ein asymmetrisches Dach entwickelt, das mit den Satteldächern der Nachbarbauten interagiert, sich durch das Folgen des Hangverlaufs nicht übermässig in den Vordergrund spielt und zugleich, indem es zum Platz leicht «hochguckt», dem Kindergarten eine eigene Adressierung gibt.
EB: Ihr sagt, die Menschen stünden bei euren Entwürfen im Zentrum. Das klingt gut, aber auch nach einem Gemeinplatz. Was genau meint ihr damit?
BZ: Wir Architekt*innen müssen uns an eine Vielzahl von Vorgaben halten und alle möglichen Kriterien beachten. Wir meinen mit dem Satz, dass man darüber die Nutzer*innen nicht vergessen darf – schliesslich bauen wir Räume für sie. Man muss emphatisch sein und ihre Bedürfnisse verstehen; man muss sich in die Menschen, die ein Gebäude dereinst benutzen werden, hineinversetzen können. Aus diesem Verständnis wollen wir Räume entwerfen, die ein bestimmtes Lebensgefühl auslösen.
AS: Nehmen wir zum Beispiel unser Pflegeheim «Seidensänger», bei dem wir diesbezüglich viel von Manetsch Meyer Architekten, die grosse Erfahrung mit der Bauaufgabe haben, lernen durften: Die alten Menschen, die in ihm leben werden, können das Haus aufgrund ihres Gesundheitszustands kaum mehr verlassen. Zugleich haben die meisten von ihnen viel Lebenszeit in der Region verbracht, die schöne Landschaft hat sie geprägt, sie ist ihnen vertraut und wichtig. Wir haben darum sehr stark mit der Aussicht gearbeitet. Unser Entwurf ist so ausgelegt, dass das Gebäude möglichst viele Blicke auf den See und die Berge freigibt.
RC: Es streckt drei Flügel zu den Rändern des Grundstücks aus, Lift und Treppenhaus befinden sich im Zentrum. So bleiben die Räume überschaubar und zu einem gewissen Grad intim. Auch das ist für alte Menschen sehr wichtig. Zugleich haben wir an den Enden der Gänge helle Gemeinschaftszonen eingeplant. So hoffen wir, der drohenden Vereinsamung entgegenzuwirken und Gemeinschaft zu stimulieren.
EB: Wie wichtig sind für euch aktuelle politische und soziokulturelle Debatten beim Entwerfen? Momentan sind zum Beispiel Umweltschutz und Nachhaltigkeit viel und emotional diskutierte Themen. Die Gruppe «Countdown 2030» möchte die Bauwirtschaft für sie sensibilisieren. Es fehle an Problembewusstsein, finden die Initiator*innen.
BZ: Das Umdenken ist schon im Gange. Wir zum Beispiel haben als Studentinnen noch fast ausschliesslich Betonbauten entworfen. Inzwischen passen wir viel mehr auf, zumeist planen wir Holz- oder Mischbauten. Der Diskurs beeinflusst definitiv unsere Entscheidungen etwa hinsichtlich der Materialwahl. Übrigens merken wir auch bei den Fachplaner*innen, dass sie sehr genau überlegen, was in Sachen Nachhaltigkeit unternommen werden kann.
RC: Gut für den Klimaschutz wäre, wenn es mehr Freiheiten für unkonventionelle Lösungen gäbe, denn die bestehenden Normen und Regeln sind sehr starr. Es wäre zum Beispiel besser, könnte man von Fall zu Fall entscheiden, welche technischen Lösungen richtig sind. Bei einem Umbau kann anderes sinnvoll sein als bei einem Neubau.
AS: Auch die Debatten um Verdichtung und Zersiedelung reflektieren wir fortwährend in unserer Arbeit. Wie bereits erwähnt, stellen wir an der Swissbau und im ZAZ unsere Installation «Perspektive» aus. Mit ihr möchten wir auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, näher zusammenzurücken. Die Bedeutung des Gegenübers steht im Mittelpunkt. Wir laden ein zu einem Perspektivenwechsel. Wir möchten weg von baurechtlich optimierten, aber gesichtslosen Gebäudeansammlungen!
EB: Lasst mich zum Abschluss bei der Eingangsfrage anknüpfen: Wo seht ihr euch in einigen Jahren? Was möchtet ihr erreichen?
BZ: Wir wollen uns in Zukunft gerne weiterhin aktiv mit neuen Ideen bei aktuellen Diskussionen einbringen. Uns ist es wichtig, mit unserer Architektur – im grossen wie im kleinen Massstab – einen wertvollen Beitrag für unsere Baukultur zu leisten.
RC: Zudem möchten wir unsere Haltung zur Architektur breit kommunizieren. Hier hat uns der «Foundation Award» den Weg bereitet: Seit unserem Erfolg bekommen wir immer wieder die Möglichkeit geboten, unsere Ideen zur Architektur zu diskutieren, auszustellen und weiterzuentwickeln.
Auch Alexia Sawerschel studierte an der ETH Zürich und diplomierte bei Peter Märkli. 2010 absolvierte sie ein Praktikum bei AllesWirdGut. 2013 studierte sie am Tokyo Institute of Technology bei Professor Tsukamoto. 2015 bis 2017 arbeitete sie für Meier Hug Architekten. Seit 2018 ist sie in Teilzeit für Luvo Architekten tätig.
Besa Zajmi arbeitet seit 2018 als Wissenschaftliche Assistentin in Teilzeit an der Hochschule Luzern – Architektur & Technik. Sie studierte ebenfalls an der ETH Zürich und diplomierte bei Peter Märkli. 2010 absolvierte sie ein Praktikum bei Meier Hug Architekten und 2014 bis 2015 bei Selldorf Architects in New York. 2015 bis 2017 arbeitete sie für Demuth, Hagenmüller & Lamprecht. Seit 2017 führt sie ihr eigenes Visualisierungsbüro: besa bild.
Mit dem «Foundation Award» werden Schweizer Architekturbüros ausgezeichnet, die jünger als vier Jahre sind. Der Preis wird getragen vom Software-Distributor ComputerWorks, dem Fachmagazin Hochparterre, dem Schweizer Online-Kultursender art-tv.ch, dem Hardwarehersteller HP Hewlett Packard, dem Schweizerischen Architekturmuseum S AM, der Swissbau und Swiss-Architects.com