Zurück ins Büro?

Thomas Geuder
15. May 2013
Das Grundstück des Erweiterungsbaus von Schmelzle+Partner Architekten ist umgeben von einer heterogenen Wohnbebauung sowie Wald im Hintergrund mit einem idyllischen Weitblick in die Schwarzwaldlandschaft. (Foto: Steffen Schrägle)

Ach, wie viele Artikel und Beiträge einem als aufmerksamer Leser doch zum Thema «Moderne Arbeitswelten» durch die Hände gehen! Sie alle gehen zurzeit der Frage nach, wie und vor allem wo Arbeit am besten erledigt wird. Nicht dass ich oder gar Otto Normalarbeiter ein Pauschalantwort auf die Frage hätten, in welchem Umfeld es sich am produktivsten arbeitet – die gibt es wahrscheinlich gar nicht. Zahlreiche Studien spielen schliesslich mal der einen und mal der anderen Seite in die Tasche. Bemerkenswert ist jedoch, dass im Verlauf der Geschichte des Arbeitsplatzes viele Theorien entwickelt und auch wieder verworfen wurden – ein Ende der Diskussion ist also nicht zu erwarten. Zur Erinnerung: Kam es einst (mancherorts noch bis spät in die 1990er-Jahre hinein) darauf an, so viele Arbeiter wie möglich in einen Büroraum mit immer gleichem Arbeitsplatz-Layout zu stopfen, liess sich dieser Ansatz mit dem wachsenden Ungehorsam des einzelnen Mitarbeiters und dessen Sehnsucht nach Individualität zunehmend nicht mehr halten. Die technischen resp. digitalen Errungenschaften der letzten (sagen wir einmal) 15 Jahre machten es schliesslich ganz real möglich, überhaupt nicht mehr an einem festen, zentralen Arbeitsplatz anwesend sein zu müssen und fortan arbeiten zu können, wo man wollte. Als Gegenreaktion sorgte mancher Arbeitgeber für abwechslungsreiche, temporäre Bürosituationen, vom Dschungel-Arbeitsplatz über die echte Schweizer Gondel bis hin schallschluckenden Mini-Raum für hoch konzentriertes Arbeiten. Das alles klingt für manchen eher nach Kindergarten als nach Produktivität, trägt für viele aber ganz bestimmt wesentlich zur Identifikation mit ihrem Unternehmen bei. Auch die Möglichkeit zur Heimarbeit ist ein klarer Vorteil vor allem für erziehende Mütter oder auch Nerds mit speziellem Biorhythmus – und somit auch für ein Unternehmen. Familie gehört eben genauso zum Menschsein wie der Blumentop auf dem Bürotisch.

Informelle Kommunikation leicht gemacht: Gerade in kreativen Berufen ist der Austausch in lockerer Atmosphäre wichtig. (Foto: Vitra)

Das Home Office war gerade in den Köpfen der Arbeitgeber angekommen, da sorgte vor einigen Wochen die Order der neuen Yahoo-Chefin Marissa Mayer für grossen Aufruhr, der nun dazu führte, dass das Thema «Modernes Arbeiten» wieder ganz oben auf der Agenda der Unternehmen steht. Sie holte nämlich die Heimarbeiter wieder zurück an den firmeneigenen Schreibtisch, versüsst mit Sonderleistungen wie freiem Mittagessen und ähnlichem – Home Office ade? Ob das gut oder schlecht ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Denn gerade bei kreativen Arbeiten, wo es auf intelligente Konzepte durch Verknüpfung von Ideen ankommt, ist der permanente informelle Austausch etwa in der Cafeteria ein entscheidender Aspekt. Ein Austausch aber findet nicht statt, wenn jeder seine eigenen Brötchen backt. Ob im Büro oder zu Hause: Am Ende kommt es also auf die regelmässige Kommunikation an, da bin ich mir mit Otto einig.

Arbeiten im Grossraumbüro: Es bestehen vielfältige Möglichkeiten zur informellen Kommunikation. (Foto: Steffen Schrägle)

Es geht also um das Schaffen von Plattformen, auf denen man sich austauschen kann. Für diesen Ansatz hat zumindest die Möbelindustrie in den letzten Jahren einiges getan. Wir denken nur an die oft gesehene Sofa-Serie Alcove von Vitra, bei der man durch Gegenüberstellen zweier Sofas einen akustisch abgegrenzten «Raum im Raum» bilden kann und so für temporäre, inoffizielle Trennung sorgt. Sowieso – das darf an dieser Stelle ruhig einmal gesagt werden – lohnt der zeitweilige Blick auf die Entwicklungen von Vitra. Aufgefallen ist uns da zum Beispiel die Tisch-Serie Joyn, entworfen von den Designern Ronan & Erwan Bouroullec, die bereits für die Alcove-Sofas verantwortlich waren. Joyn verfolgt den Grundgedanken, eine Vielfalt an Raumfunktionen auf einer einzigen Ebene zu verdichten und ihnen so eine gemeinsame Plattform zu geben. Die grosse Arbeitsfläche, die mit einer Tiefe bis 180 cm beliebig lang gereiht werden kann, wird von einem Gestell aus Doppelfüssen getragen, die angenehm weit unter dem Tisch verschwinden und viel Beinfreiheit lassen. Sogar die Strom- und Datenkabel sind darin integriert. Fantastisch viel Auslauf für die Unterlagen also oder für eine flexible Konfiguration, je nach Arbeitsabläufen. Die nötigen Zusatzelemente wie steckbare Wände gibt es als Option dazu.

Boden- und Wandflächen im Innenraum sind mit einem dunklen Filzteppich versehen, was für eine angenehme Raumakustik sorgt. (Foto: Steffen Schrägle)

Architekten wissen: Was für den einzelnen Arbeitsplatz gilt, ist auch für den Raum nicht das Schlechteste. So hat das auf Industrie- und Verwaltungsbau spezialisierte Büro Schmelzle+Partner aus Hallwangen im Schwarzwald bei der Erweiterung der eigenen Räumlichkeiten einzelne Plattformen geschaffen, auf denen sich die Arbeitsbereiche spontan definieren, abgrenzen, erweitern und verkleinern lassen. Der gesamte Bau besteht aus einem einzigen Raum, der dem Geländeverlauf folgt und durch vier abgestufte Ebenen unterteilt ist. Verbunden sind die Ebenen durch Erschliessungskorridor, der gleichsam als Boulevard und somit als Treffpunkt fungiert. Auf der oberen Ebene, von wo aus man das Gebäude betritt, sind der Empfangs-, Konferenz-, Lounge-, Besprechungs- und der Wartebereich untergebracht. Von hier aus hat man einen grosszügigen Blick auf die darunterliegenden Arbeitsbereiche, inklusive Service-Insel und Besprechung für die einzelnen Projektgruppen. Besprechungsbereiche mit Namen wie «Jurte» oder «Aqua» sind offen gestaltet oder mit einem akustischen Vorhang flexibel abtrennbar. Die räumliche Offenheit durch die raumhoch verglasten Fassaden wird durch transparente Geländer aus Glas unterstrichen. Gleichzeitig aber entsteht so eine akustische Abgrenzung zwischen den Plattformen. «Kommunikation, Vernetzung, Interaktion» wird hier zur zentralen Philosophie, was sowohl in der Möblierung als auch in der Architektur seinen Ausdruck findet.

Und das Home Office? Ist hier natürlich nur bedingt sinnvoll, weil es im Architekturbüro um den erwähnten Austausch und um Ideen geht. Für Zuhause bleiben die E-Mails, die abends vor dem Fernseher noch beantwortet werden dürfen – die digitale Vernetzung sei Dank.

Raum im Raum: Im oberen Bereich lässt sich ein grosser Besprechungsraum durch einen umlaufenden Vorhang abgrenzen. (Foto: Steffen Schrägle)
Grundriss Hauptgeschoss
Grundriss Kellergeschoss mit Archiv
Lageplan
Längsschnitt
Der Tisch als Plattform: Unterschiedliche Arbeitsabläufe lassen sich hier frei und spontan einrichten. (Foto: Steffen Schrägle)
Das ist vorbildlich bei Vitra: Auf Öko-Informationsblättern zu jedem Vitra-Produkt wird beschrieben, welche Materialien in welcher Menge verwendet wurden und wie sich diese recyceln lassen. (Quelle: Vitra)
Konfigurationsbeispiele Joyn Plattform (Quelle: Vitra)
Das Büro begann 1973 mit einem Büro im Eigenheim, 1982 wurde ein erster kleiner Anbau realisiert, der 1992 durch einen weiteren Anbau ergänzt wurde. Die jetzt realisierte grosse Erweiterung ist der dritte Streich. (Foto: Steffen Schrägle)
Im Rohbau noch gut zu sehen: Das Tragwerk des Gebäudes basiert grundsätzlich auf zwei wandhohen Fachwerkträgern, die entlang der Längsfassaden angeordnet sind, und Nebenträgern dazwschen. (Foto: Schmelzle+Partner)
Vitra AG
Birsfelden, CH

Hersteller-Kompetenz
Alcove
Joyn
HeadLine
Storage
Meda Morph
Alu Chair
Softshell Chair
HAL
HeadLine

Projekt
Büroerweiterung Schmelzle+Partner Architekten BDA
Hallwangen, D

Architekt
Schmelzle+Partner Architekten BDA
Hallwangen, D

Bauherr
Schmelzle+Partner Architekten BDA
Hallwangen, D

Haustechnik
Ingenieurbüro Isenmann
Haslach, D

Tragwerksplanung
Bugenings & Eisenbeis Ingenieure
Dornstetten, D

Rohbau
Seeger Hoch-Tiefbau GmbH & Co.
Loßburg-Dottenweiler, D

Schreiner, Innenausbau
Karl Dreer GmbH
Raisting, D

Bodenbelag
Heckele Raum und Idee
Epfendorf-Trichtingen, D

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Steffen Schrägle, 3rd Floor Company GmbH
Schmelzle+Partner
Vitra

Projektvorschläge
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Featured Project

ZPF Ingenieure

Universitäts-Kinderspital Zürich, Akutspital

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