Drinnen wie draussen
Thomas Geuder
28. January 2014
Im Zentrum von Zürich, direkt am Sihl-Kanal, der den Sihlsee mit der Limmat verbindet, hat der Tamedia-Konzern, eine der führenden Mediengruppen der Schweiz, sein neues Zuhause gefunden. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Über das Tamedia-Gebäude in Zürich von Shigeru Ban hat man bereits einiges lesen können, vor allem über die durch und durch hölzerne Tragstruktur. Ein wenig unter ging da die spannende Fassade, die ebenso zum Entwurfskonzept gehört, wie die natürlichen Baumaterialien.
Der Drang zu Nachhaltigkeit und Natürlichkeit ist im Bauwesen ungebrochen recht gross – und das ist gut so! Was aber bedeutet es heute, ökologisch zu bauen? Meist werden dazu verschiedene Umweltsiegel herangezogen, die – ohne Zweifel sehr gewissenhaft – einzelne Produkte oder Baumaterialien auszeichnen. Otto Normalarchitekturfan denkt sich bei diesem Thema: Was am Ende doch zählt, ist die Gesamtheit aller Teile in einem Bauwerk. Zusammen sollten sie zu einer nachhaltigen Bauweise und zu Raumqualitäten führen, die vor allem für den Menschen nicht schädlich sind. An diesem Punkt kann man sogar weiter denken und für den Nutzer ein Gebäude erdenken, das nicht nur nicht schädlich ist, sondern ihn obendrein positiv beeinflusst. Dafür bedarf es allerdings einer konzeptionellen Weitsicht, die nicht jedem Planer oder Bauherren zueigen ist. Leider.
Bereits in der Lobby im Erdgeschoss, die sich nach oben in die Lounges fortsetzt, erschliesst sich die beeindruckende räumliche Qualität des Gebäudes. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Einer, der Mensch und Bauwerk immer in enger Verbindung sieht, ist der japanische Architekt Shigeru Ban, der in in seinem bisherigen Werk bereits ganz unterschiedliche Qualitäten gezeigt hat. Vielen ist er bekannt als Meister des Raums, der mit Häusern wie dem Curtain Wall House in Tokio (1995) oder dem Picture Window House in Shizuoka (2002) Klassiker eines Verständnisses vom Wohnen ohne Wandgrenzen geschaffen hat. Andere verbinden mit Shigeru Ban den Architekten, der unablässig an Behausungen für Menschen in Not arbeitet, die schnell und kostengünstig erstellbar sind. Hierzulande denkt man bei Shigeru Ban gerne an denjenigen, der hauptsächlich mit natürlichen Materialien wie Holz und Papier arbeitet – eben ganz aus der Tradition des klassischen japanischen Hauses aus einer Holz-Ständer-Konstuktion mit Shoji-Wänden heraus. Letztendlich ist der nunmehr 57-jährige Architekt die Summe aus diesen Eigenschaften, wodurch deutlich wird, wie ganzheitlich er an die Architektur herangeht. Da verwundert es nicht, wenn Ban mit dem Begriff «Nachhaltigkeit» nicht viel anfangen kann – schliesslich hat er schon Mitte der 1980er-Jahre mit Papier experimentiert, als das Wort Nachhaltigkeit im Bauwesen noch nicht existierte.
Verschieden grosse Öffnungen in der Glasfassade geben den Blick frei auf die Konstruktion und lassen umgekehrt viel Licht und Luft ins Gebäude. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Heute ist der Begriff in aller Munde und hat sich zum Credo einer ganzen Architekten-Generation gemausert. Und noch immer tun sich viel schwer mit einer Definition der Nachhaltigkeit, wird sie doch je nach Blickwinkel unterschiedlich gebraucht. Neben dem energetischen Aufwand für und durch ein Produkt über dessen gesamte Lebenszeit hinweg sind etwa Einsatzdauer, Wiederverwertbarkeit und Wiederverwendbarkeit wichtige Parameter (Muck Petzet lässt grüssen). Im Mittelpunkt der Diskussion allerdings steht eigentlich: der Mensch, für den am Ende gebaut wird. Es geht also um eine Raumqualität, die sich im Idealfall positiv auf den Menschen auswirkt. Auch hier spielen die verwendeten Materialien natürlich eine grosse Rolle. Zum guten Raumgefühl aber gehört auch der Bezug zwischen Innen- und Aussenraum. Der Mensch will eben nicht gerne eingesperrt sein, weswegen der «Öffnung» in der Fassade eine besondere Rolle zukommt. Nicht nur durch Fenster, sondern auch ganz real als licht- und luftdurchlässiges Loch.
So sieht es von innen aus: In den Geschoss-Lounges befindet man sich dank der grosszügigen Öffnung (fast) im Aussenraum. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Der Entwurf zu Shigeru Bans Tamedia-Gebäude in Zürich öffnet den Innenraum auf vielfältige Weise. Dahinter steckt die Grundidee einer Art gläsernen Umhangs um die Tragstruktur aus Holz, durch den die Grenzen zwischen innen und aussen minimiert werden. Der Innenraum und dessen tragende Elemente sollen vor Wind und Wetter geschützt, der Mensch aber nicht weggesperrt werden. So ist die Glasfassade mit insgesamt 11 mobilen Elementen ausgestattet, die per Knopfdruck ganze Fassadenteile auf einer Breite von 4,40 m und einer Höhe 2,5 bzw. 6 m geschickt verschwinden lässt. Möglich wird das durch die «Loschwand Classic», bei der das Fenster in einzelne, horizontale Elemente unterteilt ist, die sich dann unter der Decke hintereinander verstauen lassen, beim Tamedia-Gebäude mit einer Geschwindigkeit von kaum hörbaren 2 m/min. Die Lounges in der Südfassade, die als Treffpunkt für den informellen Austausch der dort arbeitenden Zeitungsredakteure dienen, können so im Sommer grosszügig geöffnet werden – was im Idealfall nicht nur den Raum, sondern auch den Geist öffnet und die journalistische Kreativität fördert. Dass dieser Umgang mit räumlichen Qualitäten nicht nur dauerhaft, sondern auch enorm nachhaltig ist, leuchtet nicht nur unserem Freund Otto ein.
Drei der elf Losch-Fassadenelemente lassen sich auf einer Höhe von 6 m öffnen. Am oberen Bildrand sieht man die hintereinander aufgereihten und verstauten Fensterteile. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Offen und geschlossen: So verändert sich die Raumwirkung mit der vertikal verschiebbaren Fassade. (Fotos: Losch Wandsysteme)
Lageplan
Grundriss Mezzaningeschoss
Grundriss Attikageschoss
Grundriss 4. Geschoss
Grundriss 1. bis 3. Geschoss
Detail Geschoss-Lounge 2- und 1-geschossig
In der Axonometrie (Nord-Ost-Ansicht) ist der räumliche Zusammenhang der Geschoss-Lounges gut erkennbar. (Quelle: Shigeru Ban Architects)
Bei Dämmerung ist das Entwurfskonzept des gläsernen Umhangs deutlich zu erkennen. (Foto: Didier Boy de la Tour)
Medienhaus Tamedia
Zürich, CH
Hersteller
Losch Wandsysteme GmbH
Neckartenzlingen, D
Kompetenz
Loschwand Classic
Architekt
Shigeru Ban Architects
Tokyo, JP
Projektteam
Shigeru Ban, Jean de Gastines, Kazuhiro Asami, Gerardo Perez, Takayuki Ishikawa, Masashi Maruyama
Bauherr
Tamedia AG
Zürich, CH
Generalplaner
Itten+Brechbuhl AG
Zürich, CH
Tragwerk
Création Holz GmbH
Herisau, CH
Haustechnik
3 Plan Haustechnik AG
Winterthur, CH
Fertigstellung
2013
Fotografie
Didier Boy de la Tour
Losch Wandsysteme
Shigeru Ban Architects
Das Tamedia-Gebäude bei Swiss-Architects
geortet – ein GreenRadar-Nachhaltigkeits-Check
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