Beton, so schön
Thomas Geuder
30. January 2013
Die Fassade des Eurostars Book Hotels in München macht dem Thema des Hotels alle Ehre. (Foto: Ditz Fejer)
Immer diese Frage nach dem Fassadenmaterial! Putz? Glas? Metall? Oder gar Beton? Wichtig ist doch eigentlich, dass die Entwurfsidee des Architekten in der Fassade Wirklichkeit wird. Gestaltungsfreiheit also. Zertifiziert nachhaltig und recycelbar auch? Bitte sehr.
Mit einer Idee ist es im Prinzip immer das Geiche: Hat sie sich einmal in den Hirnwindungen festgesetzt, will sie einen nicht mehr so recht loslassen. Ein Dilemma eigentlich, ausserdem ständiger Begleiter des Architekten beim Entwerfen. Zum Beispiel bei der Fassade: Deren Form ist unter Umständen schnell gefunden – manchem genügen ein Blatt Papier, eine Schere und fünf Minuten. Nun aber verlangt die Idee nach Verwirklichung, und somit stösst der Architekt und Planer unweigerlich an den Punkt, an dem er sich fragen muss: «Aus welchem Material zum Teufel mache ich das alles jetzt?» Die eierlegende Wollmilchsau in Gestalt eines Materials, mit dem sich alle formalen Wünsche erfüllen lassen, existiert leider (noch?) nicht. Und so bleibt nur der Blick in die raue Realität der Produktepaletten – bei dem im Übrigen diese Rubrik «Praxis» Ihnen gerne zur Seite steht. Schön wäre also ein Produkt, mit dem sich, wenn schon nicht alle, so doch fast alle Ideen verwirklichen lassen. Etwas, das sich sehr beliebig formen lässt, das es in ganz unterschiedlichen Farben und Oberflächen gibt und das nachhaltig hergestellt und recycelbar ist. Letztere nicht nur, weil immer mehr Bauherren sie fordern (und weil die Immobilien sich dadurch hochpreisiger vermieten und verkaufen lassen), sondern weil wir es uns und unserer Umwelt schuldig sind. Nur um das noch einmal zu betonen, erinnert Otto Normalhäuslebauer.
Zur Swissbau 2012 hat Gasser Fassadentechnik mit einer dreidimensionalen Standfassade gelockt. (Foto: Sabrina Scheja)
Wer das Material Beton nicht scheut, könnte bei dem österreichischen Hersteller Rieder fündig werden. Dort erhält man nämlich Fassadenplatten, die zu 90 % aus Sand und Zement bestehen, die restlichen 10 % setzen sich aus Glasfasern, Pigmenten und Betonzuschlägen zusammen. Das ganze Paket nennt sich dann «[fibreC]» (Anm.d.Red.: Die eckigen Klammer gehören zum Logo) und ist ein Glasfaserbeton, mit dem sich einiges anstellen lässt. Architekten aufgehorcht: Die bis zu 3,60 x 1,20 m grossen Platten sind mit alkairesistenten Glasfasern bewehrt (zwei Lagen Textilgeweben in Längs- und Querrichtung mit Kurzfasern), wodurch sie lediglich 13 mm dünn ausgebildet werden können. Das spart Ressourcen, nicht nur im Material, sondern auch durch das geringe Gewicht in der Konstruktion des Rohbaus. fibreC basiert auf mineralischen Grundmateralien und ist deswegen vollständig recycelbar, zertifiziert durch das IBO-Insitut in Wien, und gelistet in der GreenSpec® Produktliste. Die Platten sind form- und witterungsbeständig und stehen für eine Lebensdauer von über 50 Jahren. Zum Brandschutz werden keine zusätzlichen Behandlungen oder Beschichtungen benötigt, da das Material nicht brennbar ist (Brandschutzklasse A1) und bis 350 °C eine Temperaturstabilität bietet. Ausserdem ist fibreC lebensmittelecht und somit gesundheitlich unbedenklich – weswegen es auch schon mal in professionellen Brot- und Pizzaöfen eingebaut wird.
Dreidimensional geformter Glasfaserbeton dient bei dem Projekt Lontoonkatu 9 in Helsinki als Sonnenschutz. (Foto: Rasmus Norlander)
Interessant aber findet Otto vor allem die Möglichkeiten, die er beim Planen erhält: Weil das Material am Ende als Betonwerkstoff immer noch ein natürliches Produkt ist, besitzt seine Oberfläche eine angenehme Lebendigkeit durch Farb- und Oberflächenschwankungen. Steril wirkende Fassadenflächen sind damit passé. Mehr noch: Die Platten lassen sich perforieren, bedrucken, als Relief bearbeiten usw. Sogar dreidimensionale Formen mit bis zu 10 cm dicken, nach der Idee des Architekten gefertigten Formen sind möglich.
Gesehen hat Otto das zum Beispiel bei dem Projekt Lontoonkatu 9 in Helsinki: Kirsi Korhonen and Mika Penttinen Architects haben dort fast die gesamte Fassade mit einem weissen Lochraster überzogen. Die 7 cm dicken Fassadenelemente sind auf beiden Seiten schalungsglatt ausgeführt und dienen als Sicht- und Sonnenschutz mit (von innen gesehen) hoher Transparenz.
Oder auch beim Eurostars Book Hotel in München (Capella Garcia Arquitectura, Barcelona mit SchmidArchitekten, München), wo fibreC teilweise ebenfalls als Sonnenschutz dient, hier aber in Form von stilisierten, geschwungenen Buchseiten, die auf der gesamten Fassade verteilt sind. Das Buch als solches ist bei diesem Gebäude Entwurfskonzept: Jedes Stockwerk spiegelt eine Literaturgattung wider, Zimmer und Gänge sind berühmten Büchern gewidmet.
Am Messestand von Gasser Fassadentechnik (Vertriebspartner von Rieder) auf der Swissbau 2012 hat Otto gesehen, welche Gestaltungsfreiheit mit fibreC tatsächlich möglich ist: Das Schweizer Architekturbüro L3P entwickelte unter dem Motto «Der Weg ist der Raum» einen Stand, der von aussen geschlossen und geheimnisvoll wirken und so Neugier und Spannung bei den Passanten erzeugen sollte. Die Paneele wurden mit höchst individuellen Reliefs und Perforierungen versehen. Spätestens nachdem er das gesehen hat, ist Otto schon sehr gespannt, wann ein solcher Entwurf auch an einer «richtigen» Fassade zu sehen sein wird. Wir bleiben dran!
Beim Gasser-Messestand erhielt fibreC von L3P Architketen ein dreidimensionales Muster, zusätzlich wurden die Platten beschriftet und perforiert. (Foto: Sabrina Scheja)
Die stilisierten Buchseiten auf der Fassade des Eurostars Book Hotel sind Entwurfsidee und Sonnenschutz gleichzeitig. (Foto: Ditz Fejer)
Bereits im Rohbau wurden die Haltevorrichtungen für die 3D-Elemente von Kirsi Korhonen and Mika Penttinen Architects eingeplant. (Foto: Rasmus Norlander)
Die fibreC-Platten können als (von oben) verdeckte Befestitgung mit Hinterschnittanker, als sichtbare Befestigung mit Nieten oder als verdeckte Befestigung durch Kleben angebracht werden.
Glasfaserbeton-Platten sind ein Naturprodukt mit lebendigen Oberflächen.
Bei fibreC stehen insgesamt 10 Standardfarben und drei Oberflächen zur Verfügung.
Die Ökobilanz von fibreC nach DIN EN 14040 im Vergleich zu anderen Materialien.
Standard-Details mit Klebebefestigung. (Abb.: Rieder) Legende: A) fibreC Fassadenplatte B) Verlegeband C) Fassadenkleber 1) Mauerwerk 2) Fassadendübel 3) Thermisches Trennelement 4) Wandkonsole 5) Wärmedämmung 6) Verbindungselement 7) Vertikalprofil 8) Hinterlüftungsraum
Maishofen, AT
Hersteller-Kompetenz
fibreC
fibreC 3D
Sculptural fibreC
Projekt 1
Lontoonkatu 9
Helsinki, FIN
Architektur
Kirsi Korhonen and Mika Penttinen Architects
Helsinki, FIN
Fertigstellung
2012
Projekt 2
Eurostars Book Hotel
München, D
Architektur
Capella Garcia Arquitectura
Barcelona, ES
Genehmigungsplanung:
SchmidArchitekten
München, D
Fertigstellung
2012
Projekt 3
Messestand Gasser Fassadentechnik
Basel, CH
Architektur
L3P Architekten
Regensberg, CH
Fertigstellung
2012
Fotonachweis
Rasmus Norlander
Sabrina Scheja
Ditz Fejer
Projektvorschläge
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