Walter Feeß: «Überkapazität führt zu einem unerbittlichen Preiskampf»
Leonhard Fromm
11. March 2021
Abbrucharbeiten im Stuttgarter Zoo – das Material wurde von der Heinrich Feeß GmbH recycelt. Aktuell kämpft das Unternehmen mit der Wirtschaftskrise, die inzwischen auch die Baubranche erfasst hat. (Foto: Heinrich Feeß GmbH)
Die Corona-Pandemie trifft die Wirtschaft hart. Die Krise mache auch vor der Baubranche nicht halt, sagt Walter Feeß von der deutschen Heinrich Feeß GmbH, die Bauschutt recycelt.
Herr Feeß, zunächst zur Einordnung bitte zwei Sätze zu ihrer Firma.
Wir waren bis in die 1990er-Jahre ein klassisches Erdbau- und Abbruchunternehmen im Stuttgarter Speckgürtel. Zu jener Zeit haben wir begonnen, Bauschutt und Erdaushub zu recyceln – zunächst, um Deponiegebühren zu sparen. Vor zehn Jahren haben wir das dann aktiv forciert, haben massiv in Wertstoffhöfe, Maschinen, Verfahren und Personal investiert – und sind stark gewachsen.
Wie hat sich Ihre Firma seither entwickelt?
Wir haben heute deutlich mehr als 200 Mitarbeiter und erzielten im Radius von 30 Kilometern um unseren Stammsitz in Kirchheim/Teck zuletzt 60 Millionen Euro Umsatz. In dieser Zahl sind viele Mitarbeiter bei Subunternehmern enthalten, deren Anteil seit Sommer aber auftragsbedingt massiv zurückging. Das Gros unserer Wertschöpfung erreichen wir in der Aufbereitung von Bauschutt und Erdaushub, die wir als Wertstoffe begreifen und deshalb in rund 40 Fraktionen trennen, waschen, brechen, sieben und danach vermarkten. Diese sind alle eigen- und fremdüberwacht nach den gesetzlichen Standards. So gehen zum Beispiel tonnenweise alte Ziegel, Steine, Sand und Kies als Zuschlagstoffe an Betonwerke, die daraus Recyclingbeton herstellen.
Wie erleben Sie die aktuelle Wirtschaftskrise?
Unser Auftragsvolumen ist im zweiten Halbjahr 2020 um zehn Prozent eingebrochen, und parallel haben die Preise deutlich nachgegeben, die wir erzielen konnten und können. Dieser Abwärtstrend setzt sich im laufenden Jahr fort und nimmt an Dynamik eher noch zu. Denn seit das Home-Office boomt, werden Büroneubauten storniert. Auch sämtliche Hotelplanungen, von denen ich weiss, wurden aufgegeben. Dabei hatten wir bereits 2020 in unserer Automobilregion beim Büro- und Hallenneubau einen Auftragsrückgang um drei Viertel.
Walter Feeß (Foto: Heinrich Feeß GmbH)
Wie haben Sie auf den Rückgang reagiert?
Wir haben uns von nahezu allen Subunternehmern trennen müssen, um unser Stammpersonal auslasten zu können. Das ist uns 2020 ganzjährig ohne Kurzarbeit, Personalabbau oder staatliche Hilfen auch gelungen. Darauf bin ich stolz! Um auch dieses Jahr die Löhne pünktlich zahlen zu können, habe ich vorbeugend eine staatliche Liquiditätshilfe in Millionenhöhe beantragt. Sie wurde inzwischen bewilligt, ich hafte für sie mit meinem Privatvermögen.
Wofür brauchen Sie die Unterstützung genau?
Noch ist die Zahlungsmoral unserer Kunden ordentlich. Aber mit jeder Woche, die die Pandemie fortdauert, steigt die Gefahr, dass Partner insolvent gehen, ehe sie unsere erbrachten Leistungen vergütet haben. Solche etwaigen Ausfälle will ich mit der Liquiditätshilfe puffern können. Denn ich möchte die Arbeitsplätze meiner Leute erhalten und die Kompetenz absichern, die wir über 25 Jahre aufgebaut haben.
Was erwarten Sie für die nahe Zukunft?
Wir alle werden uns warm anziehen müssen! In den vergangenen zehn Jahren hat unsere Branche ihre Kapazitäten um 40 Prozent ausgebaut. Schon 2020 sank die Nachfrage massiv. Allein der Wohnungsbau bringt uns aktuell noch Aufträge. Parallel werden hier im Südwesten Kapazitäten frei, die vormals von Stuttgart bis Ulm im Bahnprojekt Stuttgart 21 gebunden waren. Diese Überkapazität führt zu einem unerbittlichen Preiskampf.
Wie reagieren Sie darauf?
Im vierten Quartal 2020 haben uns rund 15 zusätzliche Abrisse «gerettet», die bedingt durch die günstigere Mehrwertsteuer [1] noch bis Jahresende vollzogen werden sollten. Auch haben wir bereits im Herbst erste Aufträge für 2021 hereingenommen, die zwar teils nicht kostendeckend sind, aber unsere Kapazitäten auslasten. Dazu zählen eine Tunnelbaustelle und mehrere grosse Baugruben, die eine Grundauslastung fürs erste Halbjahr sichern. Durch konzentriertes und engagiertes Arbeiten – Stichwort Schnelligkeit und schonender Umgang mit Maschinen, Fahrzeugen und Geräten – können unsere Mitarbeiter ihren Beitrag leisten, damit diese Aufträge uns nicht zusätzlich schwächen. Die aktuelle Situation kann sich bis 2023 hinziehen, und überleben wird, wer seine Substanz am langsamsten verzehrt.
Auf der Nassklassieranlage werden Gestein und Erdaushub mit Regenwasser gewaschen, das in Zisternen gesammelt wird. So wird zum Beispiel Mauerwerk von Gips gereinigt. (Foto: Heinrich Feeß GmbH)
Sie gelten als Technologieführer im Baustoffrecycling, wurden 2016 mit dem Deutschen Umweltpreis und 2020 mit dem Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Danke, dass Sie das sagen. Aber ausruhen dürfen wir uns darauf nicht. Jetzt gilt es, unsere Potenziale – qualifizierte Mitarbeiter, einen modernen Maschinenpark und innovative Abbruch-, Sortier- und Recyclingverfahren – voll auszuspielen. Der Betrag, den Mitbewerber für Transport- und Deponiekosten kalkulieren, muss uns für all diese Prozessschritte reichen. Parallel brauchen wir mehr Betonwerke, die unsere mineralischen Zuschlagstoffe nachfragen und Bauherren, die endlich nachhaltiger bauen. Da könnte die Politik viel mehr tun: Die Abgabe von EUR 25 pro Tonne CO2 seit Jahresbeginn sind ein richtiger Schritt. 50 oder gar 80 wären aber das Signal der Stunde gewesen, angesichts des Klimawandels.
Druck kommt auch von den Grünen, Fridays for Future oder nun einer Bürgerinitiative in Oberschwaben, die sich gegen den Kiesabbau in ihrer Heimat wehrt, dem weitere zehn Hektar Wald zum Opfer fallen sollen.
Zur Politik äussere ich mich nicht. Fakt ist, dass hierzulande in der Regel jedes Gebäude je zur Hälfte aus Beton und aus Mauerwerk besteht. Die Betonhälfte wird Gott sei Dank bereits zu 90 Prozent recycelt. Die Hälfte des Mauerwerks aber eigentlich gar nicht. Dieses Material wird noch immer zumeist im Untergrund verfüllt oder sogar auf die Deponie gefahren – welch eine Verschwendung. Um dessen Recycling geht es mir. Und wenn man bedenkt, dass wir künftig fast nur noch im Bestand bauen werden – Stichwort Flächenfrass – geht vielen Bau ein (Teil-)Abriss voraus und damit die Basis für neues Recyclingmaterial. Der grüne Umweltminister von Baden-Württemberg, Franz Untersteller, teilt meine Ansicht. Er hat immerhin jüngst eine Primärrohstoffabgabe vorgeschlagen, wie sie zum Beispiel in Österreich ansatzweise schon existiert, aber auch in anderen EU-Staaten.
Material der abgefrästen Asphaltdecke der Start- und Landebahnen des Stuttgarter Flughafens (Foto: Heinrich Feeß GmbH)
Der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg hat jüngst mitgeteilt, alles sei bestens. 99 Prozent des zu Recyclingbaustoffen aufbereiteten Bauschutts gehe bereits in den Strassen- und Schienenbau. Ginge er in den Hochbau, würde er dort fehlen, so der Referent für Recycling.
Wie eben ausgeführt, ist es eine Ressourcenverschwendung, etwa Back- und Ziegelsteine aus Ton im Untergrund zu verfüllen, statt sie dem Hochbau als Zuschlagstoff für Recyclingbeton zuzuführen. Wir müssen endlich Gebäude als Materiallager verstehen und in geschlossenen Kreisläufen denken und handeln. In Würzburg wurde vorigen März ein Umweltzentrum eröffnet, das weitgehend aus dem Abbruchmaterial einer nahen Autobahnbrücke besteht. So geht Kreislauf! Den Architekten dort mussten wir Recyclingbefürworter zwar auch erst gewinnen. Nun will er aber bayernweit Schulen aus Recyclingmaterial bauen, etwa in München. Gerade die Metropolen sind ideal, weil genügend Abbruch vor Ort ist, der lokal aufbereitet und verbaut werden kann. Das reduziert unnötigen Verkehr. Wir haben 2020 in Stuttgart im Neckarhafen ein Areal erworben, auf dem wir Stuttgarter Schutt aufbereiten. Im Umkreis von zwei Kilometern stehen dort drei Betonwerke. Und was wir auf Deponien weit weg entsorgen müssen, kann auf Wasserstrassen umweltschonender transportiert werden. Nein, ich wundere mich wirklich über meinen eigenen Verband. Aber klar, es ist wie bei der Kohle oder den Atomkraftwerken: Es geht um mächtige Interessen.
[1] Am 29. Juni 2020 wurde in Deutschland die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer beschlossen: Aus 19 Prozent wurden 16, der ermässigte Steuersatz sank von sieben auf fünf Prozent. Seit Anfang dieses Jahres gelten wieder die alten Sätze.
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