Vom parametrischen Modell zum Bauwerk
Elias Baumgarten
18. November 2019
Foto: Stefan Kubli © Basler & Hofmann AG
Schon seit längerem nutzt die Firma Basler & Hofmann ihren Sitz in Esslingen im Kanton Zürich für die Forschung unter Realbedingungen. Kürzlich wurde der offene Pavillon «Future Tree» fertig. Die Konstruktion aus Holz und Beton entstand in Zusammenarbeit mit Gramazio Kohler Research, der Professur für Architektur und Digitale Fabrikation der ETH Zürich, der Firma Erne Holzbau sowie der Professur für Physikalische Chemie von Baumaterialien der ETHZ.
Bei Basler & Hofmann in Esslingen sollte ein offener Aussenpavillon als Blickfang für den Firmenstandort entstehen. Die Architekt*innen von Gramazio Kohler Research gestalteten eine baumartige Struktur, die aus einem «Stamm» aus Beton und einer hölzernen «Krone» zusammengesetzt ist. Sie wurde parametrisch entworfen. Die Holzbauteile und die Schalung der Betonstütze wurden mithilfe von Daten aus dem 3D-Modell produziert. Im Oktober dieses Jahres wurden die Bauteile nach Esslingen geschafft und vor Ort montiert.
Das Holzdach des «Future Tree» besteht aus reziproken Knoten. Im parametrischen Modell konnten unter anderem die Maschenweite und die Wölbung angepasst werden. (Foto: Stefan Kubli © Basler & Hofmann AG)
Parametrische Planung der «Krone»Architekt*innen waren bisher, grob gesagt, gewohnt, Formen analog oder digital zu zeichnen. Doch beim parametrischen Entwerfen werden diese programmiert. Gestalter*innen legen verschiedene Parameter fest, gewichten sie und erfassen sie schliesslich in einem Programmcode. So entsteht ein parametrisches Modell des Bauvorhabens. Einige Grössen – zum Beispiel die Dimensionen des geplanten Gebäudes – sind dabei unveränderlich, andere können beliebig variiert werden. Zwar ist dieses Verfahren nicht mehr gänzlich neu, einige Hochschulen beispielsweise in Österreich und manche Büros experimentieren bereits länger damit, doch gewinnt es derzeit an Bedeutung über Lehre, Forschung und wenige Prestigebauten hinaus.
Im konkreten Fall konnten etwa die Maschenweite, die Knotengrösse und die Wölbung der «Krone» des Pavillons verändert werden. Dies hatte stets Auswirkungen auf die gesamte Geometrie der Struktur; sie wurde von der Software bei jeder Änderung einer Stellgrösse automatisch angepasst. Da das 3D-Modell mit einer Statik-Software verknüpft war, konnten fortwährend die Auswirkungen der Änderungen an der Form auf das Tragverhalten des Hebelstabwerks überprüft werden. In einem interativen Prozess konnten architektonischer Entwurf und Tragverhalten aufeinander abgestimmt werden. Auch ermöglichte das parametrische Modell, die Vorspannkabel so anzuordnen, dass die aus Schraubverbindungen bestehenden Anschlüsse der Holzkonstruktion möglichst wenig beansprucht werden. Ferner erlaubte es, die 30 Zentimeter langen Schrauben in der komplexen Geometrie kollisionsfrei zu platzieren. Schliesslich lieferte das 3D-Modell auch alle für die Fertigung der Holzbauteile relevanten Informationen. Mithilfe der Daten aus diesem sägten, bohrten und positionierten die Roboter von Erne die Holzstangen.
Der Übergang zwischen Holzkonstruktion und Betonstütze; betoniert wurde mit einer nur 1,5 Millimeter dünnen Schalung aus dem 3D-Drucker. (Foto: Stefan Kubli © Basler & Hofmann AG)
«Eierschale» aus dem 3D-DruckerAuch die Betonstütze weist eine aussergewöhnliche Form auf, die ebenfalls parametrisch entworfen wurde. Mit den Daten aus dem 3D-Modell wurde eine nur 1,5 Millimeter dünne Schalung gedruckt. Natürlich konnte kein herkömmlicher Beton in diese eingefüllt werden. Denn durch den Druck des Frischbetons wäre sie sofort entzweigebrochen. Darum entwickelten die Forscher*innen des Lehrstuhls für Physikalische Chemie von Baumaterialien der ETH Zürich einen Spezialbeton, der sich vor allem durch eine hohe Frühfestigkeit auszeichnet. Die gedruckte Schalung kann nach der Verwendung eingeschmolzen und ihr Material wiederverwendet werden.
Obschon das Projekt klein ist, öffnet es einen spannenden Ausblick in die Zukunft: Parametrisches Entwerfen und digitale Fertigungstechniken ermöglichten beim «Future Tree» eine nahtlose Prozesskette vom Entwurf bis zur Montage. Während beim konventionellen Vorgehen Architekt*innen, Ingenieur*innen und Unternehmer*innen sequentielle oder abwechselnd tätig sind, verlangt und ermöglicht der parametrische Planungsprozess eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Aus Sicht der Gestalter*innen verringert sich so die Distanz zwischen Entwurf und Umsetzung, zwischen virtuellem und realem Objekt. Auch wird offenbar, dass Wissen über digitale Entwurfs-, Modellierungs- und Fertigungsmethoden die Position der Architekt*innen im Bauprozess (wieder) stärken kann.
Architektur Gramazio Kohler Research, Professur für Architektur und Digitale Fabrikation der ETH Zürich
Baustatik und Konstruktion Basler & Hofmann AG | Erne AG Holzbau | SJB Kempter Fitze AG
Entwicklung Bauverfahren und Produktion Holzbau Erne AG Holzbau
Entwicklung Bauverfahren und Produktion Betonstütze Gramazio Kohler Research, ETH Zürich | Professur für Physikalische Chemie von Baumaterialien, ETH Zürich
Fläche Holzdach 120 m2
Gewicht Holzdach 2 t
Material Holzdach Radiata Kiefer mit Acetylierung zur Imprägnierung | Vollgewindeschrauben (10 mm Durchmesser, 300 mm Länge) aus Edelstahl A4
Höhe Betonstütze 2,5 m
Gewicht Betonstütze 700 kg
Material Betonstütze Stahlbeton
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