Entwerfen … was tun wir hier?
Manuel Pestalozzi
14. October 2020
Foto: Manuel Pestalozzi
Das Entwerfen bildet die Essenz des architektonischen Schaffens. Doch woraus besteht es? Architekt Simon Kretz befasst sich in seinem Buch «Der Kosmos des Entwerfens» mit dieser Frage.
Der Entwurf ist das Resultat einer intellektuellen Anstrengung. Um deren Natur geht es im Buch «Der Kosmos des Entwerfens» von Simon Kretz. Zu einer derartigen Untersuchung gehört das Entwickeln eines Gedankengerüsts, das den betreffenden Vorgang erkennt, systematisch ordnet und ihm eine Art Gestalt gibt – die Untersuchung ist somit auch selbst ein Entwurf, wie man nach der Lektüre dieses schmalen, nach akademischen Forschungsprinzipien komponierten Bändchens feststellen wird.
Allerdings steht eigentlich weniger der architektonische Entwurf im Zentrum, sondern – wie der Untertitel präzisiert – das «entwerfende Denken». Dabei handelt es sich um eine Denkschule, die aus der Architektur (verstanden als akademische Disziplin) stammt. Kretz stellt sie als «Kosmos» dar, in dem er drei Dimensionen des Entwerfens ausmacht: die verändernde, die untersuchende und die ordnende. Gemeinsam bilden sie eine spezifische Iterationsform des Entwerfens. Speziell an dieser schöpferischen Tätigkeit ist, dass das Schaffen und das Erkennen parallel zueinander verlaufen. Besonders ist weiterhin auch, dass das Ent-werfen immer vom Ver-werfen begleitet wird. Entwurfsprozesse unterscheiden sich dadurch, so ist Kretz überzeugt, von anderen wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten, zum Beispiel physikalischen Versuchen im Labor. Den Entwurf als Vorgang entwerfenden Denkens sieht er primär als Experiment an, das zu einem Erkenntnis- und Wissensgewinn führt.
Simon Kretz geht in seinem Buch dem Entwerfen als Idee und Text, als Untersuchung, als Erfahrung und als Theorie in der Praxis nach. Seine Erkenntnisse erläutert er anhand einfacher Beispiele. Er fügt auch wichtige architekturtheoretische Werke in sein Gedankengerüst ein – von Le Corbusiers fünf Punkten über «Learning from Las Vegas», Aldo Rossis «L’architettura della città» und Christopher Alexanders «A Pattern Language» bis hin zu Rem Koolhaas’ retroaktivem Manifest «Delirious New York». Auffallend dabei: Diese architekturtheoretischen Bausteine stammen aus dem 20. Jahrhundert. Seither hat sich auf dem Gebiet des entwerfenden Untersuchens und Erkennens offenbar wenig Bahnbrechendes mehr getan.
Das handliche, kleine Schriftwerk ist eher ein Lese- denn ein Lehr- oder Lösungsbuch. Es kann dazu dienen, sich klarer bewusst zu werden, was sich im Rahmen des entwerfenden Denkens abspielt und vielleicht dabei helfen, diese Vorgänge in Worte zu fassen und ihnen ein argumentatives Fundament zu geben. Bei dieser Gelegenheit ist auf die Schrift «Entwurfsfaktoren» von René Furer hinzuweisen, die das Thema von einer anderen Seite her anpackt. Der kleine Band des einstigen Dozenten für Architekturtheorie an der ETH Zürich lässt sich kostenlos herunterladen und wirkt in mancher Hinsicht wie eine Ergänzung zum neuen Buch von Simon Kretz.
Der Kosmos des Entwerfens. Untersuchungen zum entwerfenden Denken
Simon Kretz
139 x 261 Millimeter
120 Pages
Paperback
ISBN 9783960987338
Verlag der Buchhandlung König
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