Gemeinsam!
Inge Beckel
8. June 2017
Modell einer gemeinschaftlichen Stadt, 2017. Bild: Hannes Henz, Architekturfotograf
«Together!», heisst die neue Ausstellung im Vitra Design Museum. Ihr Thema ist das gemeinschaftliche Wohnen, zu sehen sind Bauten aus Europa und darüber hinaus. Worauf sie gleichzeitig hindeutet, ist ein Wechsel vom Quantitativen zum Qualitativen.
Verantwortlich für die Ausstellung sind Ilka und Andreas Ruby sowie Mattias Müller und Daniel Niggli vom Büro EM2N. Warum Andreas die Ausstellung nicht fürs SAM gemacht hat? Nun, weil er, als die Planung zum Projekt begann, noch nicht in der Verantwortung des SAM war.
Das Kuratorenteam bespielt in Weil am Rhein vier Räume: einleitend einen historischen. Dort werden Vorläufer und Ideen des gemeinschaftlichen Wohnens (und Arbeitens) gezeigt. So thematisiert etwa eine Tafel New Lanark in Schottland, eine Produktionsgemeinschaft, die im frühen 19. Jahrhundert unter Robert Owen berühmt wurde. Oder es läuft ein Film zur Jugendbewegung in Zürich der frühen 1980er-Jahre. So gehören zum gesellschaftspolitischen Kontext nicht allein Bauten, sondern ebenso Besetzungen, squatting, und andere Formen zivilen Ungehorsams.
Der nächste Raum ist ganz anders: Erhöht steht eine Ansammlung von 21 Projekten, nachgebaut im Massstab 1:24. Es hat Beispiele aus der Schweiz, die hierzulande längst bekannt und vieldiskutiert sind. So etwa die Kalkbreite, das Zwicky-Areal oder der Lagerplatz 141 in Winterthur (im Bau). Nun spielt derzeit punkto gemeinschaftlichen Wohnungs- respektive Siedlungsbaus die Schweiz in der Tat international eine Vorreiterrolle. Gleichzeitig werden natürlich andernorts vergleichbare Projekte diskutiert, projektiert und realisiert. Es finden sich also weitere Projekte, etwa aus Kopenhagen, Berlin, Wien, Seoul, Tokio oder Los Angeles.
Modellhaft
Den Ausstellungsmachern aber geht es nicht um die einzelnen Häuser, die – Solitären gleich – auf Sockeln thronen, sondern vielmehr um die Schnittstellen zum öffentlichen Raum. Um das Zusammentreffen von Privat und Öffentlich. Oder in Nigglis Worten darum, was Siedlungen an ihre Stadt zurückgeben können. Während das Innere der Bauten in den Modellen nur schematisch dargestellt ist, sind Strassenräume, Strassencafés, Trottoirs, gemeinschaftliche Höfe oder Spielplätze im Detail und mit Massfiguren nachgebaut. Das Ganze ergibt ein dichtes Stück Stadt, das die Qualitäten urbanen Wohnens beim Hindurchschlendern aufleben und einen zuweilen in mediterrane Gassen versetzt fühlen lässt.
Der dritte Raum nun wendet sich dem Innenleben zu und baut einen Ausschnitt aus einer Clusterwohnung nach. Während in der Schweiz oder etwa auch in Deutschland der Flächenkonsum pro Einwohner bei gegen 50 Quadratmetern liegt, gehen die Kuratoren von 35 pro Person aus. Beim Rundgang betritt man den gemeinschaftlichen Ess- und Aufenthaltsbereich, von dem aus man in private Cluster gelangt, etwa eine Einheit einer alleinerziehenden Mutter mit Kind. Der Ort ist anschaulich und macht die Nähe untereinander, ebenso die Rückzugsmöglichkeiten in derlei Grundrissen physisch spürbar. Der vierte Raum im Obergeschoss des für diese Ausstellung offen und hell belassenen Gehry-Baus ist eine Art Arbeitsbereich. Konkret werden fünf Projekte mit ihren Entstehungsprozessen und die Art der Finanzierung aufgerollt. Denn nicht alle Projekte wurden bottom up entwickelt. Längst hat es professionelle Investoren, die sich für derlei Wohn- und Lebensformen interessieren.
Frühe Beispiele
Vergegenwärtigt man sich das heute Gebaute, muss man ehrlicherweise sagen, dass die Wohn- und Lebensformen, die die Ausstellung thematisiert und in ausgewählten Beispielen zeigt, wohl kaum ein Prozent am Gesamtvolumen ausmachen. Gleichzeitig ist das Thema aktuell und beschäftigt heute viele Menschen. So war die Medienkonferenz Anfang Juni denn auch äusserst gut besucht; es gab eine Führung in deutscher und eine in englischer Sprache.
Nun muss hier gleichzeitig erwähnt werden, dass – neben den vorgestellten historischen Beispielen – gemeinschaftliches Wohnen und entsprechende Siedlungen und Häuser länger schon diskutiert und gebaut werden. Man denke etwa an die vielen selbst organisierten Hausgemeinscheinschaften insbesondere von älteren Menschen. Als frühes Beispiel einer stark auf die Gemeinschaft hin konzipierten Siedlung sei weiter exemplarisch Halen (1955–62) des Atelier 5 genannt. Oder aus Österreich die Siedlung Alt Erlaa aus den 1970er-Jahren in Wien von Architekt Harry Glück (1925–2016), wo sich einerseits ein Schwimmbad auf dem Dach – wie auf einem der ausgestellten Projekte – und andererseits sehr unterschiedliche Lebensgemeinschaften finden, die sich einfach über mehrere Wohnungen organisieren (vgl. eMagazin 16/14). Eine Lösung, die generell oft praktiziert wird.
Mehr qualitativ denn quantitativ
Denn eines ist klar. Obwohl noch immer ein Grossteil des Gebauten Wohnungen aufweist, die mehr oder weniger, mit Blick auf das bürgerliche Familienmodell, normiert sind, haben sich die Lebensformen der Menschen längst diversifiziert und mehrfach facettiert. Neben der Kernfamilie gibt es Patchworkfamilien, die verschiedenste Paare beherbergen: Studierende, Alleinlebende oder «unvollständige Familien», wie sich die Schweizer Architektin Berta Rahm 1950 ausdrückte. Darunter verstand sie «verwitwete, geschiedene oder unverheiratete Frauen mit eigenen oder Adoptivkindern, Grossmütter mit Enkeln, Geschwister, Vater mit Tochter oder Sohn sowie Freundinnen, Studienkameraden, Arbeitskollegen, die es vorziehen, als Wohnpartner zusammen zu hausen» (Bertha Rahm, «Wohnmöglichkeiten für Alleinstehende», in: Werk, Nr. 11, 1950, S. 325–331). Rahm forderte schon damals vehement, den Fächer des Angebots zu öffnen und die Vielfalt der Lebensentwürfe auch im Bau der Wohnungen zu respektieren.
Was die Schau in Weil am Rhein ebenfalls klar macht, ist, dass das Streben nach «mehr» der Tendenz nach abnimmt. Anders formuliert, zeichnet sich am Horizont ab, dass Menschen wieder beginnen, mehr am Qualitativen denn Quantitativen Gefallen zu finden. Man denke an die reduzierte Fläche pro Kopf zugunsten jener der Gemeinschaft. Generell streben die präsentierten Bauten nicht nach Luxus, weder geht es um grandios ausgestattete Bäder oder Küchen noch um den neuesten technischen Schnickschnack. Was sich viele Leute heute offensichtlich wünschen, ist just nicht ein Mehr an Komfort und Luxus oder eine repräsentative Wohnung. Sondern vielmehr menschliche Gemeinschaft, Austausch und Kommunikation, ohne auf ein individuelles «Nest» verzichten zu müssen, auch wenn dieses verhältnismässig klein ist.
Die Ausstellung ist bis zum 10. September 2017 zu sehen und bietet ein reichhaltiges Begleitprogramm. Dazu erschienen ist der Katalog «Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft».