Daddeln und Architektur
Elias Baumgarten
12. December 2019
Foto: Elias Baumgarten
Was können Architekt*innen und Game Designer*innen voneinander lernen? Danach fragen Andri Gerber und Ulrich Götz mit ihrem Buch «Architectonics of Game Spaces». Wir haben die umfassende Publikation durchgearbeitet – und empfehlen sie zur Lektüre.
Das Computerspiel «Assassin’s Creed II» (2009) versetzt die Spieler*innen ins Italien der Renaissance, namentlich nach Florenz. Die Handlung spielt sich zwischen den Jahren 1452 und 1519 ab. Für die Entwicklung holte Ubisoft die Architektin María Elisa Navarro ins Team. Ihre Aufgabe bestand darin, bei der Gestaltung authentischer Waffen und Kleidungsstücke zu helfen, vor allem aber die aus der Realität entlehnten Architekturen zu überprüfen und Details der Bauten auszuarbeiten. Umkehrt sind auch Game Designer*innen für Architekturbüros tätig – so etwa in der Abteilung für digitale Technologie von Herzog & de Meuron, wie deren Leiter Steffen Riegas kürzlich in einem Referat an der Tagung des BSA und der CRB zur Digitalisierung der Bauwirtschaft berichtete. Sie helfen dort beispielsweise bei der Animation von digitalen Modellen und VR-Anwendungen. Dass Architektur und Game Design Berührungspunkte haben, ist bekannt. Doch was können beide Disziplinen voneinander lernen? Andri Gerber, Professor für Städtebau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, und Ulrich Götz, Leiter des Studiengangs Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste, gehen dieser Frage in ihrer neuen Publikation «Architectonics of Game Spaces» nach.
Das 346 Seiten dicke Buch ist für Architekt*innen und Architekturstudent*innen, die sich für Game Design interessieren, geschrieben, richtet sich aber auch an Game Designer*innen. Es ist in zwei Abschnitte gegliedert: Der erste Teil besteht aus Interviews, ihm folgt eine Aufsatzsammlung. Alle Texte sind in englischer Sprache verfasst. Beim Lesen stellt dies weiter kein Hindernis dar, alle Autor*innen, die sich zumeist sowohl in Architektur als auch Game Design glänzend auskennen, haben ihre Beiträge erfreulich einfach und klar formuliert. Allerdings ist bisweilen philosophisches Vorwissen sehr hilfreich, und auch mit Computerspielen sollte man sich gut auskennen. Das kaum bebilderte Buch lässt sich nicht zwischen Tür und Angel konsumieren, es will konzentriert durchgearbeitet werden.
Blick ins Buch (Fotos: Elias Baumgarten)
Doch zurück zur Fragestellung: Was können wir Architekt*innen nun von Game Designer*innen lernen? «Playtesting», findet Sinem Cukurlu. Im Game Design sei es üblich, erklärt sie, virtuelle Welten ausführlich probeweise zu bespielen, auf ihre Tauglichkeit für die Nutzer*innen zu überprüfen und nötigenfalls vielfach anzupassen. Hingegen gebe es in der Architektur vergleichbare Simulationen zum Nutzerverhalten wenig bis gar nicht. Dem pflichtet Francine Rotzetter bei. Im Interview mit Andri Gerber und Ulrich Götz zeigt sie sich verwundert darüber, wie vergleichsweise wenig sich Gestalter*innen realer Bauten um die Benutzer*innen sorgen. Cukurlu glaubt, dass sich dies künftig ändern könnte. Vielleicht lasse sich eine Möglichkeit zur Testung von Bauten alsbald in BIM-Software (Building Information Modelling) integrieren, spekuliert sie. Cukurlu hofft, dass die späteren Nutzer*innen künftig 3D-Simulationen neuer Gebäude evaluieren und Architekt*innen Feedback geben können.
Spannend auch das Interview, welches Andri Gerber mit Paolo Pedercini geführt hat, der seine Spiele über das Label Molleindustria vertreibt. Der Game Designer vertritt die Ansicht, dass sich Menschen über Spiele zu einer kritischen Reflexion über Ökonomie, Gesellschaft, Kultur und Machtstrukturen anregen lassen und gar politisch aktiviert werden können. Zustimmen dürften dem einige Autor*innen des Buches wie Sinem Cukurlu. Sie schreibt, über Spiele würden sich komplizierte Zusammenhänge – etwa aus den Bereichen Stadtplanung und -entwicklung – vermitteln lassen.
Die Publikation ist inspirierend, die Lektüre lohnt sich für Architekt*innen gewiss. Und sie macht Lust, sich direkt vor den Computer zu setzen und zu zocken – allein zum Zwecke der Weiterbildung und Recherche versteht sich.