Preisgünstiges Wohnen im Büro
Andrea Wiegelmann
24. August 2023
Modellfoto: © studio trachsler hoffmann
Bürogebäude zu Wohnhäusern umzubauen, ist ökologisch wie sozial sinnvoll. Allerdings erweisen sich Normen und Standards dabei oft als unterschätzte Hürde. Daniel Hoffmann und Gian Trachsler haben für zwei ehemalige Gebäude der SRG SSR in Zürich dennoch eine überzeugende Lösung gefunden.
Der Wandel unserer Arbeitswelt hat zu tiefgreifenden Transformationsprozessen in den Unternehmen geführt. Eine Folge ist der sinkende und in Zukunft weiter sinkende Bedarf an Büroflächen, vor allem in der Dienstleistungsbranche. Eindrücklich zeigt sich dies bei der Fahrt über die Zürcher Hardbrücke: Nicht nur zur Ferienzeit bleiben mittlerweile viele der Büroarbeitsplätze leer. Angesichts des gleichzeitig fehlenden Angebots an bezahlbarem Wohnraum und schwindender Baulandreserven scheint die Umwandlung von Büro- und Gewerbebauten in Wohnhäuser in Städten wie Zürich eine attraktive Option.
Doch Umnutzungen zu Wohnungen bringen weniger Mieterträge, die Mieterschaft wird kleinteiliger, und der Umbau der Liegenschaften ist mit einem gewissen Aufwand verbunden.1 Nicht zuletzt stellen die bestehenden Reglemente eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. So sind Fassaden aus Schallschutzgründen oder wegen hoher klimatischer Anforderungen zu ersetzen, auch wenn sie eigentlich in gutem Zustand sind, Erschliessungen durchgängig barrierefrei zu gestalten und so weiter.
Diese hochgezüchteten Standards passen zu eben jener Kultur, die Italo Calvino in «Die unsichtbaren Städte» in seiner Beschreibung von Leonia vorstellt.2 Der Schriftsteller erzählt von einer Gesellschaft, die sich über das Schaffen und den Verbrauch definiert. Um diesen weiter zu steigern, braucht es immer neue, strengere Normen und Reglemente und in der Folge neue (Bau)Produkte. Wir verbrauchen immer mehr Rohstoffe, das Wachstum hält an seit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft in den 1960er-Jahren und steigert sich bis heute – auch in der Bauwirtschaft. «Das Bauen hat sich somit seit den 1960er-Jahren von einer Bedürfniswirtschaft unter dem Leitstern der Marktwirtschaft zu einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft entwickelt und damit die Stadtentwicklung, das Bauen im Allgemeinen und die Architektur im Besonderen geprägt. Auch die Partner der Architektinnen und Architekten haben sich verändert. Während der Bauherr ein Bauwerk für einen konkreten Nutzungsbedarf braucht, sucht der Investor zuerst eine Rendite», schreibt St.Gallens einstiger Kantonsbaumeister Werner Binotto.3 Unser Baurecht spiegelt dieses System wider.
Vor diesem Hintergrund ist ein wirklich nachhaltiger, die Ressourcen schonender Umgang mit dem Bestand kaum möglich. Beim Umbau des östlichen Gebäudeteils des Brückenkopfs in Bern etwa, ein Bürobau aus den 1960er-Jahren, haben Bauart Architekten 2021 geschickt 53 1,5- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen in die fünf oberen Etagen und Lofts in das Sockelgeschoss eingebaut. Um die tiefen Grundrisse für das Wohnen nutzbar zu machen, wurde der dunkle Innenbereich über alle Geschosse geöffnet. Zudem wurden neue Erschliessungen eingebaut, und man legte die Wohnungen an die Fassade. Auch diese musste vollständig erneuert werden. Das Gebäude wurde somit mehr oder weniger bis auf die Tragstruktur rückgebaut. Aber ist diese Eingriffstiefe tatsächlich notwendig? In Bern sind gute Grundrisse geschaffen worden, die Qualität des Projekts steht ausser Frage. Doch es liegt näher an einem Neu- denn an einem Bestandsbau. Bauen im und mit dem Bestand muss auch einfacher möglich sein.
Modellfoto: © studio trachsler hoffmann
Zwischen Bestandsgarantie und zeitgenössischen WohnstandardsIn Leutschenbach, einem der grossen Transformationsgebiete der Stadt Zürich, hat die Stiftung PWG zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich 2021 zwei Liegenschaften an der Schärenmoos- und der Leutschenbachstrasse von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) erworben, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das sechsgeschossige Ensemble besteht aus zwei zwischen 1960 und 1962 errichteten Bürogebäuden in Skelettbauweise mit je eigener Fassadenausbildung, die über einen Verbindungsbau miteinander gekoppelt sind: das zur Strassenecke gelegene L-förmige Gebäude «Micro» und das als Riegel ausgebildete «Dixa».
Das Grundstück ist mit der bestehenden Bebauung übernutzt, für die Umnutzung besteht Bestandsgarantie. Dies bedeutet jedoch auch, dass grössere Abbruch- und Neubaumassnahmen wie in Bern, etwa der Abbruch der Fassade oder der bestehenden Erschliessung, nicht möglich sind. Gleichzeitig bestehen auch hier die Anforderungen heutiger Wohnungsstandards.
Die PWG lobte für die Umnutzung einen einstufigen Wettbewerb mit Präqualifikation aus. Um später die gewünschten preisgünstigen Mieten anbieten zu können, waren die Wettbewerbsteilnehmenden aufgefordert, die Wohnflächen entsprechend zu reduzieren und die Erstellungskosten für den Umbau zu minieren. Mit anderen Worten: Sie sollten möglichst viel Bausubstanz erhalten. Von Vorteil war dabei der gute Zustand der beiden Bürobauten, insbesondere auch der Fassaden, die für eine Wohnnutzung über ausreichend Fensterflächen verfügen. Überdies eignen sich die beiden Volumen auch aufgrund der relativ geringen Gebäudetiefen für die Umnutzung.
Modellfoto: © studio trachsler hoffmann
Mit kleinen Eingriffen eine neue Nachbarschaft aufbauenMit welchen Strategien widmet man sich nun einer solchen Aufgabe und wie denkt man eine Umnutzung, die den Erhalt weitgehend erfordert? Hinzu kommt die Frage des Umgangs mit beziehungsweise die Reaktion auf das Umfeld. Leutschenbach ist wie Zürich-West geprägt von einer grossmassstäblichen Grundstücksstruktur, die in den 1960er-Jahren über die ehemaligen Felder gezogen wurde, um die Ansiedlung von Gewerbe zu ermöglichen. Hier fand Platz, was nicht in die Zürcher Innenstadt passte. Neben den Fernsehstudios prägt die Kehrichtverbrennung Hagenholz das Quartier. Nicht nur fehlt eine auf Wohnnutzung ausgerichtete Infrastruktur, auch die Massstäblichkeit ist eine andere. Um in diesem Umfeld einen Wohnort, eine Adresse zu schaffen, braucht es ein Angebot über die gewünschte Wohn- und Gewerbenutzung hinaus.
Beim mit dem ersten Rang ausgezeichneten Beitrag «ménage à trois» des studios trachsler hoffmann aus Zürich ist der Projektname Programm: Die beiden bestehenden Bauten und ein sie verbindender zweigeschossiger Hallenbau schaffen ein räumliches und programmatisches Dreiergespann. Die drei Volumen bilden zusammen eine Nachbarschaft, die sich dank intelligenter Organisation der vorhandenen Flächen in der Vertikalen über pro Geschoss verlaufende grosszügige Flur- und Laubengangzonen entwickeln kann.
Ausgehend von der Frage, wie gering eigentlich die Eingriffe sein können, um tatsächlich günstigen Wohnraum zu schaffen, arbeitet der Wettbewerbsbeitrag konsequent mit dem Vorhandenen und schlägt wenige Ergänzungen vor: neben der zweigeschossigen Halle und einer Dachterrasse lediglich dem östlichen Winkel des Gebäudes «Micro» vorgelagerte Laubengänge. Die Fassaden bleiben erhalten, ebenso die Kerne mit den Treppenhäusern, sogar die bestehenden Heizkörper werden weiter genutzt. Um den Ort zu beleben und über das Wohnen hinaus ein Angebot zu schaffen, stellen Daniel Hoffmann und Gian Trachsler die Halle als ungeheizten Zwischenraum für alle Bewohnerinnen und Bewohner zur Verfügung. In Verbindung mit dem als Platzraum gedachten Aussenbereich zur Leutschenbachstrasse könnte so etwas entstehen wie ein Treffpunkt für das Quartier, ein Angebot, das im Umfeld bis anhin fehlt. Gleichzeitig verbindet die Halle die beiden zukünftigen Wohnbauten räumlich. Das Pendant auf der Ebene der Wohngeschosse bilden die bereits erwähnten zentralen Erschliessungszonen. Über sie werden die bestehenden Erschliessungskerne in Ost-West-Richtung zusammengebunden. Das Ensemble erhält gleichsam ein Rückgrat, eine Kommunikationszone. Sie geht im Westen in den Laubengang über, der die dort anschliessenden Wohnungen im Haus «Micro» erschliesst. Im Erdgeschoss liegen zudem Co-Working-Bereiche und Gewerberäume, im ersten Obergeschoss Clusterwohnungen.
Grundriss Erdgeschoss (© studio trachsler hoffmann)
Grundriss 1. Obergeschoss (© studio trachsler hoffmann)
Schnitt (© studio trachsler hoffmann)
Der Wettbewerbsbeitrag zeigt eine überzeugende Arbeit mit dem Bestand, er demonstriert, dass das Einschreiben von Wohnungen in bestehende Strukturen auch die Möglichkeiten bietet, das Wohnen selbst neu zu denken. An der Schärenmoosstrasse ist das Vorhandene Ausgangspunkt, um durch das Einschreiben des Wohnangebots aus einem bestehenden Ensemble ein neues Ganzes zu machen. Daniel Hoffmann spricht von der Strategie der Collage. Dazu passt, dass die neue Halle aus wiederverwendeten Bauteilen erstellt werden soll.
Auch hier gilt wie beim Bauen im Bestand selbst, dass der Entwurf eine gewisse Robustheit benötigt, um den Raum in der Reaktion auf das jeweils Vorhandene oder Vorzufindende nicht zu verlieren. Man müsse, so Hoffmann, diese Unschärfen aushalten können. Sein Team betrachtet das Projekt daher auch als Labor, in dem die Phasen der Umnutzung untersucht werden können.
Das Bauvorhaben befindet sich nun im Vorprojekt. Der Ansatz, möglichst viel zu erhalten, ist dabei ständig auf dem Prüfstand. Er muss mit den gesetzlichen Anforderungen und den gültigen Normen in Einklang gebracht werden, die teilweise dem Neubauniveau entsprechen. Ein Bürobau aus den 1960er-Jahren erfüllt nicht die heutige Standards, schon gar nicht die Anforderung an einen Wohnungsneubau.
Bei diesem Projekt wie auch bei jeder anderen Umnutzung ist die Aushandlung der Eingriffstiefe daher zentral. Für die Schärenmoosstrasse bedeutet dies etwa Abwägungen wie: Können die internen Treppenhäuser unverändert erhalten werden, obwohl sie den gültigen Lärmschutzstandards für Wohnneubauten teilweise nicht entsprechen? Und ist es möglich, dass ein kleiner Teil der Wohnungen in Hinblick auf die SIA 500 erleichterte Bedingungen erhält? Die Überprüfung dieser Standards sowie der offene Dialog zwischen Architektinnen und Architekten, Bauherrschaften und Behörden sind wahrscheinlich die grössten Hebel, um die Eingriffstiefe gering zu halten und damit die Wirtschaftlichkeit zu bewahren. Könnte man sich beispielsweise an den Reglements für Übergangsbewilligungen orientieren, die dem Konzept der Umnutzung viel näher sind?
Doch nicht nur Regelwerke und Normierungen nehmen zu wenig auf das Bauen im und mit dem Bestand Rücksicht, auch das Verfahren der Baubewilligung selbst ist nicht auf den Umgang mit Unschärfen ausgerichtet, etwa wenn beim Einsatz wieder- und weiterverwendeter Elemente aufgrund noch fehlender Bauteile Konstruktion und Ausführung nicht abschliessend definiert werden können. Wir sind aufgefordert, unsere Ansprüche an das Wohnen und die Bedingungen seiner Produktion zu hinterfragen.
1 Als Richtwert werden bei solchen Projekten oft rund 75 bis 80 Prozent der Neubaukosten angenommen. Es gibt jedoch Studien, die zeigen, dass die finanziellen Aufwendungen genauso hoch oder sogar höher sein können als bei vergleichbaren Neubauprojekten. Siehe hierzu: Fredy Hasenmaile, «Aus Büroflächen werden Wohnflächen».
2 Italo Calvino, «Die unsichtbaren Städte», 2. Auflage, München 1984.
3 Werner Binotto, «Bauherr und Architekt. Architekt und Bauherr», in: Anna Jessen, ArchitekturWerkstatt St.Gallen (Hrsg.), «Architektur als Werkstatt. Die ArchitekturWerkstatt St.Gallen – ein Atlas», Zürich 2022, S. 208f.