Blütezeit

Elias Baumgarten | 10. January 2025
Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild

Baudenkmäler behandeln wir liebevoll: Sie werden sorgfältig restauriert und bei Bedarf behutsam umgebaut. Schließlich begeistern sich viele Menschen – Architektinnen und Architekten genauso wie sogenannte Laien – für jahrhundertealte Strickbauten, mittelalterliche Stadthäuser und backsteinerne Industriearchitekturen. Was aber anfangen mit der großen Masse an Bauwerken, die weniger ästhetisch sind und baugeschichtlich nicht weiter von Bedeutung? Aus ökologischer Sicht sollten auch sie erhalten und, wenn nötig, umgestaltet werden. Denn auch in ihnen stecken wertvolle Ressourcen und viel graue Energie. Doch leider müssen sie oft vorschnell neuen Bauten weichen. Dabei ließen sich die architektonischen Mängel und Unzulänglichkeiten womöglich beheben, wie das frisch sanierte Feuerwehrgebäude in Altdorf beispielhaft zeigt.

Die Urner Gemeinde entschied sich 2021, das Haus aus den 80er-Jahren umzubauen, und veranstaltete einen Architekturwettbewerb. Aus dem gesichtslosen Funktionsbau am Ortseingang sollte ein schmuckes Bauwerk werden, das Gäste in Altdorf empfängt. Gewünscht waren außerdem ein neuer Warenlift für schwere Ausrüstungsgegenstände und sperrige Geräte sowie eine Werkstatt und ein Waschraum mit Schleuse. 24 Vorschläge gingen ein. Am Ende fiel die Wahl der Jury auf den Entwurf der Architektinnen Franziska Plüss und Gabriele Demme.

Altdorfs Feuerwehrgebäude vor dem Umbau (Foto: © deplus architekten eth/fh)
Die neue Fassade besteht aus mit der Rückseite nach außen zwischen Holzlisenen montierten Eternit-Bauplatten. Eine neu entwickelte Beschichtung schützt ihre fein marmorierten Oberflächen. (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)
Blick auf den Anbau mit der Einfahrt zur Waschanlage (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)
Dächer und Gestaltungsfreude

Altdorfs Feuerwache ist ein verschachtelter Stahlbau mit zerklüfteter Satteldachlandschaft. Die Löschfahrzeuge warten in einer zur Straße orientierten Halle mit großem Tor und weit vorspringendem Dach auf ihren Einsatz. Rückseitig schließt ein um neunzig Grad gedrehter Gebäudeteil an, sodass ein T-förmiger Fußabdruck entsteht. Dieser Flügel, in dessen etwas niedrigerem Erdgeschoss weitere Fahrzeuge parken und Gerätschaften lagern, knickt im hinteren Teil scharf nach Osten ab, wo er in einen eingeschossigen Bereich mit Hintereingang übergeht. Die verwinkelte Gebäudeform ist der einstigen Schießbahn des benachbarten Schützenhauses geschuldet: Der Knick verhinderte, dass das Feuerwehrhaus ins Schussfeld ragt. Inzwischen ist die Schießanlage abgebaut. An ihrem Platz befindet sich ein Discounter mit großem Parkplatz.

Franziska Plüss und Gabriele Demme positionierten einen Anbau an der nordwestlichen Längsfassade, die von der Dorfstraße gut sichtbar ist. Der neue Gebäudeteil nimmt den Warenlift, die Werkstatt und die Waschanlage samt Schleuse auf. Weil er der Aussteifung dient, mussten ihn die Architektinnen als Massivbau konstruieren. Optisch gliedert er sich in zwei Teile, die jeweils mit einem Satteldach abgeschlossen sind. Der höhere Abschnitt, in dem sich der Aufzug befindet, überragt dabei das übrige Feuerwehrhaus. Erinnern soll das an alte Schlauchtürme, in denen man früher das Löschgerät zum Trocknen aufhängt.

Mit den beiden unterschiedlich steilen und asymmetrischen Dächern ihres Anbaus machten Franziska Plüss und Gabriele Demme die Silhouette zum Entwurfsthema. Die Feuerwache ist zum modernen Gegenstück des historischen Schützenhauses geworden: Bei der Einfahrt nach Altdorf vermittelt sie mit ihrer eleganten Kontur zwischen der verspielten, aber streng symmetrischen Dachlandschaft des Jugendstilbaus im Vordergrund und den Berggipfeln am südlichen Abschluss des Schächentals im Hintergrund. Zusammen bilden die Bauten eine würdige Eingangssituation zum Ortskern.

Blick auf die Südostfassade: Die neue Hülle ist über die Fenster gezogen. Wo auch die Faserzementplatten durchlaufen, sind sie mit Schlitzen verstehen. (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)
Auch am Hintereingang wurde eine neue Tür in Pastellgrün eingesetzt. Ein Betonsockel schützt die Fassade vor Feuchtigkeit. (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)
In neuem Kleid

Die zuvor uneinheitlich gestalteten Fassaden wichen einer neuen Gebäudehülle. Sie besteht aus mit der Rückseite nach außen zwischen Holzlisenen montierten Faserzementplatten. Die großformatigen, naturfarbenen Bauplatten sind speziell beschichtet, damit ihre schön gemaserten Oberflächen Wind und Wetter standhalten – das Verfahren wurde vom Hersteller Swisspearl extra entwickelt. Der Abstand der Lisenen verringert sich im Obergeschoss ebenso wie die Plattengröße. Ein umlaufendes Band auf Höhe der Decke trennt die beiden Rastersysteme. Die neue Fassade ist also sowohl vertikal als auch horizontal klar gegliedert. Die Lisenen erzeugen ein reizvolles Schattenspiel und lassen das Gebäude je nach Blickwinkel in Farbigkeit und Materialität anders wirken.

In die neue Fassade sind pastellgrüne Tore und Türen mit Bullaugenfenstern eingesetzt. Der zurzeit in der Architektur so beliebte Farbton bildet einen reizvollen Kontrast zum Signalrot der Feuerwehrautos. Vor den Fenstern laufen die Lisenen durch. Teils sind auch die Eternit-Bauplatten über die Öffnungen geschraubt. An diesen Stellen wurden sie mit Schlitzen versehen, sodass weiterhin genug Tageslicht ins Innere gelangt und die Feuerwehrleute nach draußen sehen können. Die neue Hülle lässt das Haus mit ihrer Farbigkeit und ihrer freudvollen Formensprache – man beachte nur die zu großen Bullaugen angeordneten Schlitze an den Giebeln der Haupthalle – wie die fröhlich-postmoderne Interpretation eines ländlichen Bautyps wirken.

Das Pastellgrün der neuen Tore bildet einen Kontrast zum Signalrot der Feuerwehrautos. (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)

Kleideten Franziska Plüss und Gabriele Demme das Feuerwehrhaus außen ganz neu ein, gingen sie im Inneren zurückhalten vor: Nur wo es dringend nötig war, wurden kleine Reparaturen vorgenommen und die Wände neu gestrichen. Und obschon das Farbkonzept in den Unterrichtsräumen im Obergeschoss etwas angepasst wurde, verströmen die Einsatzzentrale im Erdgeschoss, die Aufenthaltsräume und die kleine Küche mit ihren Braun- und Gelbtönen und den typischen Möbeln weiterhin den Charme der 1980er-Jahre. Die vielleicht größte Neuerung im Inneren ist die Haustechnikanlage mit Wärmepumpe und Photovoltaik, die die alte Ölheizung ersetzt.

Im Inneren fielen die Änderungen minimal aus. Die größte Neuerung ist die Haustechnikanlage mit Wärmepumpe und Photovoltaik. Sie ersetzt die alte Ölheizung. (Foto: © Susanne Völlm, Architektur im Bild)
Vom Banalen zur Kunst

Ganz im Sinne der britischen Architekten Alison und Peter Smithson und ihrer Design-Devise »As found« ließen sich Franziska Plüss und Gabriele Demme bei ihrer Fassadengestaltung von Militärbaracken in der Nachbarschaft inspirieren, die aus Trägern und dazwischen gestapelten Fertigbauteilen konstruiert sind. Von der pragmatischen Gestaltung der Nachbarbauten, die ohne baukünstlerischen Anspruch ist, haben die beiden mit ihrer Interpretation eine ausdrucksstarke, ästhetische Architektur abgeleitet. Aus dem reinen Zweckbau ist ein repräsentatives Haus geworden, das seinen prominenten Platz an der Dorfstraße verdient. 

Situation (© deplus architekten eth/fh)
Grundriss Erdgeschoss (© deplus architekten eth/fh)
Grundriss 1. Obergeschoss (© deplus architekten eth/fh)
Schnitt A (© deplus architekten eth/fh)
Schnitt B (© deplus architekten eth/fh)
Projektinformationen Feuerwehrlokal Altdorf
 
Standort
Altdorf, Kanton Uri, Schweiz
 
Bauherrschaft
Gemeinde Altdorf
 
Architektur
deplus architekten eth/fh, Zürich und Flüeli-Ranft
 
Baumanagement
siebzehn13 Architekten, Altdorf
 
Vergabe
Offener Wettbewerb 2021, 1. Preis

Featured Project 

Arndt Geiger Herrmann

Mehrparteienhaus Kilchberg

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