Unteres Gästehaus
Rot und giftig blaugrün leuchten grosse Fenster aus einem wuchtigen Haus mit einem grossen Dach zum Innenhof der Kartause Ittingen, dem Kultur- und Kunstzentrum des Kantons Thurgau. Vor mehr als 20 Jahren baute die Stiftung einen Stall aus dem 18. Jahrhundert in das Untere Gästehaus um. Alt und Neu standen in Kontrast zueinander – jede Etappe lesbar machen war damals Sitte unter renovierenden Architekten. Inzwischen hat die Konkurrenz unter den Seminarhotels zugenommen, also will auch die Kartause mit neuen Zimmern und Seminarräumen punkten.
Auch die Architekten lösten einander ab: Esther und Rudolf Guyer, welche die Bauten der Kartause ein Vierteljahrhundert geprägt hatten, gingen in Pension. Als ihre Nachfolger traten nach einem Studienauftrag Regula Harder und Jürg Spreyermann an. Sie stellten nicht mehr Neu gegen Alt, sondern bauten einen Guss in das weite Haus. Im Innern halten es eine Halle und eine Kaskadentreppe zusammen. Hier spaziert man nicht, hier schreitet man – durch eine prächtige, rot und türkisblau bemalte Raumskulptur. Oder man sitzt ab, arbeitet in Gruppen oder denkt über sich und die Welt nach. Ein Hotel lebt von Atmosphären. Weiträumig und farbig die öffentlichen Bereiche, ruhig, geborgen und karg die 18 Hotelzimmer. Weisse Wände, grauer Betonboden. Darauf haben die Architekten einen Holzblock gestellt, in dem Dusche, WC, Schrank und ein Arbeitsplatz untergebracht sind. Neben dem plastisch markanten Block stehen Bett und Stuhl. Massiv.
Wir sind da, wo früher ein Kloster war. Wenig Güter, aber gewiss deutlich mehr Raum als die Mönche hatten, denn der wahre Luxus und Genuss ist heute ja der Raumluxus.
Fotos: Walter Mair
Seit gut 700 Jahren wird in Ittingen gebaut. Die Augustiner begannen, die Kartäuser setzten fort, ihnen folgte eine Familie und schliesslich die Öffentlichkeit, organisiert in einer Stiftung. Immer wieder waren Künstler und Kunsthandwerker mit von der Partie. In der neuen Etappe sind das Harald F. Müller und Ernst Thoma. Der Maler Müller trug die zwei grossen monochromen Farbflächen im Unteren Gästehaus bei: türkisblau im Foyer und über drei Geschosse kräftig rot im Treppenhaus. Leuchtende Farben, die je nach Standort im Weiss schimmern oder ins Licht prangen. Der Musiker Ernst Thoma erinnert mit Klangstücken an den Tagesablauf der Kartäuser, gegliedert vom strengen Ritual der Gebete: Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet. Wie es mitten in der Nacht war (und ist), zu Messe und Laudes aus den Federn zu müssen, können wir allenfalls vermuten. Thoma hat eine Klanguhr eingerichtet, die diesen Rhythmus abbildet mit sphärisch anmutenden, zarten Klangstücken. Eine Erinnerung an die Vergangenheit, die in Ittingen zu einer eigenen, meditativen Atmosphäre wird. Farbe und Klang – beide sind nur denk- und erfahrbar im Raum. Kunst auf den Bau bezogen. Überzeugt vom Unteren Gästehaus war auch die Jury des Contractworld Award 2005: Sie hat den Bau mit dem 2. Preis in der Kategorie ‹Hotel, Restaurant› ausgezeichnet.
Unteres Gästehaus
Kartause Ittingen
Bauherrschaft
Stiftung Kartause Ittingen
Warth
Architektur
Regula Harder und
Jürg Spreyermann
Zürich
Kunst und Bau
Harald Müller
Öhningen (Farbe)
Ernst Thoma
Stein am Rhein (Klang)
Studienauftrag
Gesamtkosten
(BKP 1–9)
CHF 6,85 Mio.