Renaturierung der Seymaz
Ärger und Kosten wegen Überschwemmungen veranlassten den Kanton Genf, sich das Flüsschen Seymaz und seine Umgebung näher zu betrachten. Zusammen mit Landschaftsarchitekten und Architekten wurde nun ein Projekt umgesetzt, das das Gewässer bändigt, für Flora und Fauna im Uferraum wieder eine natürliche Entwicklung zulässt und den Bauern und Spaziergängern Ruhe – und sogar Biber bringt.
Fotos: Olivier Zimmermann
In den letzten zwanzig Jahren rief der Kanton Genf auf Druck von Naturschutzorganisationen ein umfangreiches Renaturierungsprogramm ins Leben. Die grossen Schäden in Folge von Unwettern und Hochwasser sorgten dafür, dass die Projekte an den Ufern der Versoix, der Seymaz und der Aire auch umgesetzt wurden. Bis 1998 wurden die Architekten und Landschaftsarchitekten nicht in die Konzeption einbezogen; die Renaturierung galt als Sache der Biologen und Hydrologen. Die Wende kam mit der Renaturierung der Aire, als in einem Wettbewerb auch der Landschaftsarchitekt Michel Corajoud und die Architekten des Projekts Seymaz beteiligt waren. Da erkannten die Behörden, wie wichtig die Auseinandersetzug mit beiden Seiten, Natur und Landschaft, ist.
Das Vorprojekt zur Renaturierung der im Osten des Kantons gelegenen Seymaz stammte aus dem Jahr 1998. Eine ‹Seymaz-Charta› bezog alle Partner, die Landwirtschaft und die Gemeinden mit ein. Aufgrund eines Pflichtenheftes, das eine Investition von zehn Millionen Franken vorsah, fand 2003 eine öffentliche Ausschreibung statt. Der Auftrag ging an die Arbeitsgemeinschaft aus EDMS ingénieurs, Collectif d’architectes BBBM, Viridis, Acade und mehreren Experten. Diese begann ihre Arbeit mit einer gründlichen Kritik des Pflichtenheftes, das vor allem technische Massnahmen vorsah. Dies führte anfänglich zu Differenzen mit der Bauherrschaft, dem Département du territoire. Parallel dazu begünstigte aber die vehemente Opposition der Landwirtschaft die Entwicklung des neuen und für nur 5,5 Millionen Franken realisierten Projekts.
Die Weiterentwicklung
Das Seymaz-Projekt beruht auf einer Reflexion des Begriffs ‹Renaturierung›. Zusammenfassend forderte der Anthropologe Pierre Rossel vor allem, dass die Renaturierung dynamisch betrachtet werden sollte, statt eine abschliessende Antwort geben zu wollen. Da die Seymaz an einem dicht besiedelten Gebiet liegt, sollte die Renaturierung mit den sich darin bewegenden Menschen erfolgen. Dies bedingte, dass auch die Landwirte und Anrainer in einer Art Gesellschaftsvertrag mit eingebunden werden. Das Projekt ist nicht ein schwerer irreversibler Eingriff, sondern es wurde zu einem Prozess, der die Reaktionen der Natur aufnehmen und sie erweitern konnte. Am Ende drehten sich viele Überlegungen darum, ob zu treffenden Massnahmen wieder rückgängig gemacht werden konnten. Mit Plänen, Texten und Listen handelte man diese Frage mit den beteiligten Gruppen aus. Eine entscheidende Rolle als Vermittler spielte der von den Landwirten beauftragte Botaniker Pierre Hainard.
Einer der heikelsten Punkte des Projekts ist ein Sumpf, der sich um den kanalisierten Flusslauf herum ausbreitet. Das ursprüngliche Vorprojekt sah die Erweiterung seiner Randzonen vor, um den Wasserstand der Seymaz zu kontrollieren, bevor sie die städtische Umgebung erreicht; der Bau eines grossen Beckens hätte Erdbewegungen von 100 000 Kubikmetern erfordert.
Schieber statt Becken
Die Planer schlugen als sanftere Variante den Einbau eines flussabwärts gelegenen, mobilen Schiebers vor, der zulässt, dass sich der Sumpf bei normalen Hochwasserständen abzeichnet. Für den Fall stärkerer Hochwasser, die im Durchschnitt etwa alle zehn Jahre vorkommen, haben die Landwirte in die teilweise Flutung ihrer Felder während zwei oder drei Tagen eingewilligt. Für diese Lösung mussten nur 10 000 Kubikmeter Erde bewegt werden, also ein Zehntel der ursprünglich vorgesehenen Menge. Der Bau eines erhöhten Gehweges von einigen hundert Metern Länge macht den Ort für Spaziergänger und Naturbewunderer zugänglich. Das bedeutete auch, dass die Fauna eine allfällige Ruhestörung in Kauf nehmen muss, denn schon kurze Zeit nach Abschluss der Bauarbeiten liess sich unerwartet ein Biberpaar nieder – ein klassischer Bioindikator für biologische Vielfalt. Dies zeigt, dass die allmähliche Wiederannäherung an die Natur richtig war.
Zwischen Plan und Natur
Seit wir in unserer postindustriellen Gesellschaft von Renaturierung sprechen, leidet dieses Konzept unter einem fundamentalen Widerspruch. Lässt man die Wörterbuchdefinition «Natur ist alles, was ausserhalb des menschlichen Wirkungsfeldes existiert» gelten, dürfte kein menschlicher Eingriff, der Natur künstlich schaffen will, akzeptiert werden. Die Autoren des Seymaz-Projekts wollten im Gegensatz dazu der klassischen Dialektik zwischen Natur und Kultur die Reverenz erweisen. Deshalb machten sie das Werk beider ‹Akteure› sichtbar – das des Menschen auf der einen, das der Natur auf der anderen Seite.
Die getroffenen Massnahmen und die entlang der Seymaz errichteten Infrastrukturbauten – Gräben, Stege, Staubrett und Fischtreppe – folgen einer Logik, die eine Verbindung herstellt zwischen der Geometrie der menschlichen Eingriffe und den Unregelmässigkeiten, die durch die natürlichen Erosionsvorgänge und den Pflanzenbewuchs zunehmen werden. Auf den Stegen und entlang der Fusswege gibt es keine Geländer, was den Besuchern signalisiert, dass sie sich vorsichtig bewegen müssen. Vor allem aber können so einige elegante Akzente gesetzt werden, die den horizontalen Charakter der Landschaft betonen. Die Pflanzreihen der Kopfweidenstecklinge entlang der kanalisierten Abschnitte, die sich zur Geländegrenze hin sternförmig verzweigen, verweisen auf die Zuflüsse.
Mit dem Willen der Menschen
Das Renaturierungsprojekt an der Seymaz widerspiegelt auch den Willen der Planer, mit den Ressourcen äusserst sparsam umzugehen. Man begriff die Baustelle als Ökosystem, das keinen Abfall abwerfen sollte, der ausserhalb des Geländes entsorgt werden müsste. Also musste man eine Lösung finden, die es erlaubte, das anfallende Material vor Ort zu rezyklieren. Die einzige Ausnahme bildete der Asphaltbelag eines Strassenabschnitts, der entsorgt werden musste. Die Betonelemente der alten Kanalisierungsbauten wurden hingegen vor Ort zertrümmert und für den Belag der Fahrwege verwendet.
Im Zuge dieser Strategie wurde ein beträchtlicher Teil der alten Bauten – Stege, Kanalabschnitte – beibehalten, sofern sie ihren Zweck weiterhin erfüllten. Die Neupflanzungen hat man nach Möglichkeit nicht importiert, sondern aus Stecklingen gezogen.
Der Erfolg dieser Renaturierungsmassnahme hängt zur
Hälfte vom weiteren Verlauf und davon ab, wer die Unterhaltsarbeiten organisiert. Entsprechend den aufgestellten Prinzipien wird die Rolle der Landwirte entscheidend sein. Das Vorgehen muss auch in Zukunft sorgfältig ausgehandelt werden, insbesondere was die Mähperioden angeht. Die regelmässige Beobachtung der Entwicklung auf dem Gelände wird auch zeigen, ob die bisherige Gangart beibehalten werden kann oder ob Korrekturen vorzunehmen sind. Doch schon heute zeitigt der theoretische Ansatz des Seymaz-Projekts ein bemerkenswertes und überzeugendes Resultat für ein junges Programm. Francesco Della Casa
»Die Besten 06«
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