Neubau CSS Versicherung
Text: Werner Huber
Fotos: Heinrich Helfenstein
Für die CSS Versicherung hat Andrea Roost in Luzern einen Neubau mit Büros und Wohnungen erstellt. Die Halle im Bürohaus ist das jüngste Mitglied einer Serie von Innenräumen, die als Kommunikationsräume funktionieren. Wo liegen die Gemeinsamkeiten seiner Bauten, wo die Unterschiede zu früheren Werken des Architekten?
In einer Zeit, in der die Mode in der Architektur bald so schnell wechselt wie in der Haute Couture, hält Andrea Roost beharrlich an seinem Thema fest: dem Raum. Genauer: dem Innenraum als Kommunikationsraum. Einen ersten baute der Berner Architekt mit Bündner Wurzeln in den Achtzigerjahren in den Forschungslaboratorien der damaligen Ciba-Geigy in Basel. Darauf folgte – in Arbeitsgemeinschaft mit Pierre Clémençon und Daniel Herren – die Unitobler in Bern (HP 11/93) und der Hauptsitz der Sarna in Sarnen (HP 9/93) – ein weisser Würfel mit eindrücklichem Innenleben: Drei in den Farben Rot, Blau und Gelb gestrichene Volumen für die Lifte, Treppen und Toiletten gliedern den Hof in Raumfragmente wie in einer dicht bebauten Stadt. Eine zweiläufige Rampe windet sich als Promenade architecturale vom Erdgeschoss in den vierten Stock; elegant geschwungene Pausenzonen stossen von der gegenüberliegenden Seite in den Raum vor.
Nicht auf die Mitte konzentriert, sondern in die Länge gezogen sind die
Innenräume in zwei inzwischen zehnjährigen Bundesämtern, dem Bundesamt
für Umwelt, Wald und Landschaft, heute BAFU, und dem Bundesamt für
Gesundheit (BAG). Spektakulär ist die in eine achtgeschossige Betonwand
eingeschnittene Kaskadentreppe im BAG in Liebefeld bei Bern (HP 3/97).
Lebt in der Sarna die Promenade von den ständig wechselnden Ausblicken,
wenn man auf den Rampen in die Höhe gleitet, so beeindruckt im BAG der
Kontrast zwischen dem eng begrenzten, nur auf einer Seite geöffneten
Treppenraum – mit rotem ‹Teppich› an der Decke – und den filigranen
Brückchen, auf denen man den hohen Raum durchquert. Roosts Rechnung ist
aufgegangen, wie ein Augenschein vor Ort zeigt: Die meisten Bürotüren
sind geöffnet; die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen den Betrieb
auf den Korridoren, in der Halle und in der Cafeteria auch in ihren
Büros spüren. Eine Kaskadentreppe durchmisst auch den Raum im BAFU in
Ittigen, doch ist sie nicht eingeschnitten, sondern sie schmiegt sich
an eine Wand in der offenen Halle.
Kleinere Geschwister dieser vielgeschossigen Innenräume baute Andrea
Roost im Zoologischen Institut der Universität Bern (HP 9/01) und im
Pharmazentrum der Universität Basel (HP 8/01). Dort hat er einen
dreigeschossigen ‹Stadtraum› geschaffen, durch den vielfältige Wege vom
Eingang zum Seminarraum, vom Hörsaal zur Cafeteria führen. Wie in
Sarnen ist auch dieses Raumgefüge nicht auf einen Blick zu erfassen; es
erschliesst sich erst durch die Bewegung. Die Betonskulptur im Berner
Institutsgebäude ist im Grunde eine Fluchttreppe, die, von der Wand
abgerückt und von oben belichtet, eine sakrale Stimmung erzeugt.
Das jüngste Familienmitglied
Das jüngste Mitglied
dieser lose miteinader verwandten Familie von Innenräumen baute Andrea
Roost in Luzern. Hinter dem Bahnhof, wo sich einst der städtische
Werkhof ausbreitete, ist in den letzten Jahren ein neuer Stadtteil, die
Tribschenstadt, herangewachsen. In idealer Lage zum See, zum
Stadtzentrum und zum Bahnhof erstellen fünf Bauherrschaften rund 600
Wohnungen. Die vorläufig letzte Etappe soll 2007 abgeschlossen sein.
Andrea Roosts Neubau mit dem Hauptsitz der CSS-Versicherung und
Wohnungen steht an der Ecke Tribschenstrasse-Werkhofstrasse. ‹Drei
Höfe› hiess das Kennwort seines Wettbewerbsprojekts, drei Höfe hat der
realisierte Bau.
An die stark befahrene Tribschenstrasse setzte der
Architekt einen lang gezogenen, u-förmigen Baukörper mit den Büros für
die Versicherung. Das horizontal strukturierte Bürohaus zähmt die
unruhige Situation und schützt die Wohnungen vor dem Strassenlärm. Das
Wohnhaus ist ein dunkelblau verputzter Riegel im rückwärtigen Teil des
Grundstücks, der die Geometrie des anschliessenden Neubauquartiers
aufnimmt. Zwischen den beiden Teilen gibt es zwei Höfe: den dreieckigen
Anlieferungshof an der Werkhofstrasse und den unregelmässig begrenzten
Gartenhof, der den Bewohnern als Aussenraum zur Verfügung steht.
Von der Nachbarschaft setzt sich das Wohnhaus durch seine Farbe und vor
allem durch seine zinnenartige Attika ab, mit der Roost das übliche,
allseitig einspringende Attikageschoss vermeiden konnte. Dreissig
Wohnungen, davon sechs Maisonetten, und fünf Ateliers fanden in diesem
Haus Platz. Am Bürohaus an der Hauptstrasse unterstreichen markante,
gegenüber der Fassade vorstehende Glasbänder die horizontale
Gliederung. Die Gläser halten den Lärm von den dahinter liegenden
Fenstern ab, Öffnungen an den Unterseiten lassen dennoch die Luft
zirkulieren. Dank diesem baulichen Lärmschutz lassen sich die Fenster
zur Strasse hin öffnen, ohne dass der Lärm die Arbeit in den Büros
stark beeinträchtigt. Nachts tauchen Leuchtdioden die Fensterbänder in
blaues Licht.
Das ‹Artischockenbödeli›, wie es Roost nennt,
verbirgt sich auch beim CSS-Neubau im Innern des Bürohauses: der dritte
der drei im Wettbewerbsprojekt versprochenen Höfe, der
Kommunikationshof als über alle Geschosse reichendes Atrium. Im
Grundriss ist es ein Rechteck, um das die Galerien vor den Büros
angeordnet sind. An der einen Ecke stösst ein markanter, rot
gestrichener Block in den Raum vor, an einer anderen Ecke fliesst der
Innenhof in den Gartenhof. Schräg – in der Geometrie des Wohnhauses –
ist eine Rampe in den Raum gestellt, die sich um eine Wandscheibe in
die Höhe windet. Das Rampenbauwerk schneidet unterschiedliche
Raumfragmente aus dem grossen Atrium, sodass dieses nicht mehr auf
einen Blick zu erfassen ist. Erst wer auf der Rampe emporschreitet,
erlebt den Raum aus immer neuen Perspektiven und vermag die Fragmente
zu einem spannenden Ganzen zusammenzufügen. Die farbliche Gestaltung
ausgewählter Bauelemente verstärkt die räumliche Wirkung und das von
oben und von der Seite einfallende Licht verändert die Stimmung im
Tagesverlauf. Andrea Roost führt uns die Essenz der Architektur vor:
Raum.
Verwandtschaftliche Beziehungen
Lassen sich diese
‹Forschungsarbeiten› zum Thema ‹der Innenraum als Kommunikationsraum›,
wie Roost sie nennt, in eine Reihe stellen? Gibt es eine logische
Abfolge von Ciba-Geigy und Unitobler über Sarna, BAG, BAFU und die
beiden Uni-Institute bis hin zum CSS-Neubau? Eine gerade Linie lässt
sich nicht ziehen – zu unterschiedlich sind die Situationen und die
Dimensionen. Doch auch die Zeitachse dient nicht zur Orientierung. Denn
am direktesten ist der CSS-Neubau mit einem der frühen Werke verwandt,
dem Sarna-Hauptsitz, einem kompakten Vorgänger des Luzerner Neubaus.
Die Elemente sind dieselben: der Innenhof, die eingestellten farbigen
Volumen, die Rampe. In Sarnen rückte Andrea Roost die Rampe an den Rand
und er folgte streng dem rechten Winkel; einzig die geschwungene
Lochblechbrüstung der Pausenzone sprengt den orthogonalen Rahmen. Ganz
anders in Luzern, wo das Rampenbauwerk die Halle keck in der Diagonale
zerteilt und somit die Hauptrolle spielt.
Eine weitere Parallele
zwischen Sarna und CSS ist die farbliche Gestaltung; bei den anderen
Beispielen hat Andrea Roost weit gehend auf Farbakzente verzichtet. In
Sarnen sind die Farben architektenmässig streng – nämlich rot, blau,
gelb – und mondrianrein aufgetragen, in Luzern sind sie abgetönt und
mit grün und schillerndem Anthrazit ergänzt. Denn in Luzern hat nicht
der Architekt, sondern der aus Basel stammende und heute in Katalonien
lebende Künstler Jean Pfaff die Farben bestimmt; sie wirken weniger
plakativ und verbinden sich besser mit dem Bau.
Eine Gemeinsamkeit der Roost’schen Kommunikationsräume – zumindest der
grösseren – ist die laubengangartige Erschliessung der Büros. Bislang
hat der Architekt die Büros meist mit Einbauschränken von der Halle
abgetrennt, sodass sich die Grenze zwischen der ‹öffentlichen› Halle
und den ‹privaten› Büros hermetisch abschliessen lässt. Dass dies nicht
zwingend nötig ist, zeigt das BAG, wo viele Türen offen stehen. Weniger
streng ist die Abgrenzung beim Neubau in Luzern, wo Glaswände nur noch
eine dünne Membran zwischen Korridor und Büros bilden; die Grenze
zwischen öffentlich und privat ist praktisch aufgehoben.
Der Raum lebt
‹Kommunikationsraum› klingt gut, doch
mit schöner Architektur allein ist es nicht getan. Damit die Räume auch
benutzt werden, hat Andrea Roost in all seinen Räumen die Laubengänge
stellenweise zu Pausenecken oder Servicestationen ausgeweitet. Damit
geht er natürlich das ‹Risiko› ein, dass sich Dinge ansammeln, die er
im Plan nicht vorgesehen hat: Kopiermaschinen samt Zubehör, ‹falsches›
Mobiliar oder Anschlagbretter – Ablagerungen, wie es sie in jedem
Gebäude gibt. Ist das schlecht? Für das puritanische Architektenauge
vielleicht, doch diese ‹Krusten› sind ein Zeichen dafür, dass die Räume
leben und nicht nur stumm ihre Schönheit darbieten.
Mitte: Im Bundesamt für Gesundheit (1996) ist eine Kaskadentreppe in die achtgeschossige Betonwand eingeschnitten.
Rechts: Im Pharmagebäude der Universität Basel (1999) entwickelt sich der Kommunikationsraum nur über drei Geschosse.
Neubau CSS Versicherung
2005
Tribschenstrasse 21
Luzern
Bauherrschaft
CSS Versicherung AG
Architektur
Andrea Roost
Bern
Martin Lüthi
Anita Stucki
Damian Lisik
Georges Dietisheim
Chantal Bornand
Generalunternehmen
Anliker
Emmenbrücke
Armin Gehrhardt
Martin Ulrich
Kunst
Jean Pfaff, Ventallò (E)
Anlagekosten
(BKP 1–9)
CHF 75 Mio.
Gebäudekosten
(BKP 2/m)
CHF 480.–