Mehrfamilienhaus
Text: Christoph Affentranger
Fotos: Walter Mair
Das erste in der Schweiz geplante sechsgeschossige Mehrfamilienhaus aus Holz steht seit kurzem in Steinhausen bei Zug. Für die Holzbaubranche markiert der Bau den Höhepunkt einer langen technischen Entwicklung – und vielleicht den Anfang einer goldenen Zukunft.
Am Eingang zum Dorf steht am Strassenrand ein Holzschrank. Sechs Geschosse, gut 20 Meter hoch, 30 Meter lang und 14 Meter breit, eingekleidet mit Holz der kanadischen Roten Zeder. Auf den ersten Blick kein besonders bemerkenswertes Gebäude, weder im architektonischen Ausdruck noch in der städtebaulichen Setzung. Von aussen prägen das Haus die süd- und westorientierten, eingezogenen Balkontürme und die konstruktiv bedingt orthogonal angeordneten Fenster. Grosse, hohe und helle Räume und gekonnt gesetzte Öffnungen zeichnen das Innere aus. Scheitlin-Syfrig + Partner Architekten und die Firma Renggli haben im Team andernorts schon überzeugender gestaltet. Trotzdem gilt es, von einem bemerkenswerten Meilenstein des Holzbaus in der Schweiz zu berichten. Doch dazu muss man etwas ausholen.
Auf- und Abschwünge
Seit siebzig Jahren wandelt sich die Art und Weise stetig, wie Holz als Bauwerkstoff verwendet wird. In der Mangelwirtschaft vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg war Holz der Baustoff schlechthin. In dieser Zeit begann die industrielle Produktion von Span- und Sperrholzplatten sowie von Leimholzträgern; die Holzplattenindustrie entstand. Aber man baute kaum isolierte Aussenwände und Dächer mit schlanken Dimensionen. Die Zwischenwände bestanden aus einer einfachen Schicht von Brettern. Entsprechend war das Klima in den Häusern entweder zu heiss oder zu kalt und meist zu laut.
Mit dem aufkommenden Wohlstand fand der Wechsel zu Backstein und Beton statt. Die Massivbauweise mit Stein kündet seit je vom Wohlstand der Besitzer, darauf zählte man. Doch die Sanierungswelle, die heute diese Massenprodukte der Nachkriegsjahre erfasst, zeigt: Qualität ist weniger eine Frage des Materials als vielmehr eine Frage des Konstruierens. Doch der Ruf von Holz als Bauwerkstoff für Primärkonstruktionen war zerstört, und dies mit Nachwehen bis heute. Nachteilige Brandschutzregelungen, eine Holzindustrie, die auf dem Glanz vergangener Jahre sitzen blieb, und parallel dazu steigende Anforderungen an den inneren Schallschutz trugen ihrerseits zum schlechten Ruf bei. Holz war bestenfalls noch dekoratives Dachwerk für die Wohnstube der Siebziger- und Achtzigerjahre, heimelig, aber nicht trendig und schon gar nicht innovativ. Daran änderte auch wenig, dass man Holz für die ersten ‹Öko-Häuser› verwendete.
Es brauchte Namen wie Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron und
Pioniere des Holzbaus wie Michael Alder und die Ingenieure Julius
Natterer, Hermann Blumer und Walter Bieler, bis der Trendwechsel Ende
der Achtzigerjahre gelang. Die grossen Gestalter eröffneten dem Holz
neue Türen mit herausragenden Bauten wie der Eishalle in Davos, der
Försterschule in Lyss und der Holzfachschule in Biel. Unter den
Unternehmern ging parallel dazu ein Generationenwechsel vonstatten.
Die Jüngeren suchten nach frischen technischen Lösungen, unterstützt
von neuen Produktionsmitteln wie computergesteuerten Abbindanlagen
ebenso wie von günstigen Transportpreisen. Resultat dieses Fortschritts
ist die Holzrahmenbauweise: Vorfabrizierte Decken und Wände werden auf
der Baustelle montiert.
Brand- und Schallschutz erfüllt
Das Mehrfamilienhaus Holzhausen der Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig + Partner markiert den Höhepunkt dieser Reihe von Entwicklungen. Zugleich setzt es wohl den Schlusspunkt hinter die Phase der Pioniere. Es handelt sich um das erste sechsgeschossige Wohnhaus der Schweiz, dessen tragende und trennende Bauteile, mit Ausnahme des Treppenhauses, aus Holz gefertigt wurden.
Möglich ist dies erst seit der neuen Brandschutzverordnung vom 1.1.2005, die Gebäude bis sechs Geschosse aus Holz zulässt. Auch erfüllt das Wohnhaus, das neun Eigentumswohnungen und im Erdgeschoss zwei Gewerbeeinheiten beherbergt, die erhöhten Anforderungen an den Schallschutz gemäss der Sia-Norm 181 ‹Schallschutz im Hochbau›. Damit hat der Holzbau die zwei technisch anspruchsvollsten Herausforderungen gemeistert und sich dem Markt des mehrgeschossigen Wohnbaus erschlossen.
Holzrahmen im Kommen
Gleichzeitig verweist der Neubau auf den zukünftigen Umgang mit Holz als Bauwerkstoff. Waren die Pioniere noch Meister der durchgehenden Gestaltung, die Holz sowohl für die Konstruktion wie auch für die Oberfläche einsetzten und das Material bis ins Detail zu fügen wussten, so steht der Neubau in Steinhausen für ein industrielles Bauen mit Holz: Das Material verschwindet hinter Gips und unter Zementböden. Hier geht der hiesige Trend einher mit dem nordamerikanischen Holzbau: Die Holzrahmenbauweise – eine Weiterentwicklung des Ständerbaus, dessen Ursprung wiederum im Exportschlager ‹Schweizer Chalet› des frühen 19. Jahrhunderts zu finden ist – wurde in der USA in den 1830er-Jahren entwickelt.
Die Holzindustrie produzierte einheitlich schmale Latten im Format ‹two by four› (gemeint sind Zoll, 1 Zoll misst 2,54 cm). Zu einem einfachen Lattenrost zusammengenagelt und ausgesteift mit diagonal angeordneten Brettern entstanden auf einfachste Weise Böden und Wände. Bis heute hat sich diese Bauweise in Nordamerika kaum geändert. Einzig die äusseren und inneren Bretter sind verschwunden. Im Innern ersetzen sie Holzwerkstoff- und Gipsplatten, aussen häufig Kunststoffplatten, die so ziemlich jedes Material imitieren – vom Bruchsteinmauerwerk bis zur Holztäfelung. Diesen unprätentiösen Umgang mit Holz lernten viele junge Schweizer Holzbauunternehmer in den USA kennen und brachten ihn mit nach Hause. Sie verfeinerten die Technik, bis ganze Wand- und Deckenelemente vorgefertigt und auf der Baustelle innert weniger Tage zum fertigen Haus gefügt werden konnten. Im Falle des MFH in Steinhausen dauerte die Montage der Holzbauelemente nur gerade acht Wochen.
Dass das Konstruktionsholz hinter Gips verborgen bleibt, muss für die Holzindustrie nicht nachteilig sein – im Gegenteil. Entscheidend ist, dass die Ziele des Brand- und Schallschutzes erreicht werden. Die Zukunft wird zeigen, ob die Bewohner genauso empfinden wie es die Schallschutzexperten vorrechnen. Falls ja und falls es den Holzbauern gelingt, noch effizienter vorzufabrizieren und zu montieren, dann steht dem Holzbau im mehrgeschossigen Wohnungsbau eine goldene Zukunft bevor. Nicht zuletzt dem Schweizer Wald täte dies wohl, denn pro Jahr wächst noch immer mehr Holz nach, als genutzt wird.
Die Lösung der Schall- und Brandschutzproblematik kann anhand des Detailplans beim Anschluss Geschossdecken-Wohnungstrennwand nachvollzogen werden: Der Schallschutz wird wesentlich durch eine biegeweich ausgeführte, abgehängte Decke mittels Gipskartonplatten 1 und durch die Beschwerung des Bodens mittels Zementplatten 2 erreicht (besserer Schallschutz im tieffrequenten Bereich). Durch getrennt auf separaten Wandscheiben aufliegenden Deckenelementen 3 und der GYS-Vorwandinstallation 4 werden Nebenwege in der Schallübertragung verhindert und gleichzeitig ein optimaler Brandschutz erreicht. Die Ausführung des Treppenhauses vollständig in einem nicht brennbaren Material (Beton) ist Teil des Brandschutzkonzeptes.
www.holzhausen.ch;
technische Dokumentation: mail@renggli-haus.ch
Mehrfamilienhaus
2006
Zugerstrasse
Steinhausen ZG
Architektur
Scheitlin-Syfrig + Partner Architekten
Luzern
Ingenieur Holzbau
Makiol + Wiederkehr
Beinwil am See
HLKS
Gloor + Sehringer
Reinach AG
Bauphysik
Ragonesi Strobel & Partner
Luzern
Generalunternehmung
Renggli
Sursee
Gebäudekosten
(BKP 2)
Carport und Stützmauern
CHF 7,18 Mio.