Kantonsbibliothek Baselland
Eins gleich vorweg: Das ziegelgedeckte Gebäude neben dem Bahnhof Liestal ist nicht ‹analoge Architektur›, obschon die Ähnlichkeiten mit den imposanten Jackson-Kreide-Bildern, die in den Achtzigerjahren an der ETH Zürich bewundert und gefürchtet wurden, frappant sind. Unter dem Ziegelpullover verbirgt sich Pragmatismus: Wie wird aus einem Weinlager eine Bibliothek, die nicht mehr wie ein Weinlager aussieht? Mit dieser Frage befassten sich Liechti Graf Zumsteg Architekten im Wettbewerb. Unter dem Dach verbirgt sich nämlich das einstige Lagerhaus des Weinhändlers Roth, das sich dieser 1925 samt Verladerampe und Gleisanschluss erstellen liess.
Die Tragstruktur und das markante Dach blieben erhalten, doch strafften die Architekten den Bau. Die einstigen Anbauten rechts und links banden sie in den Sockelbau ein, Dach und Obergeschoss verschmolzen sie zu einem Baukörper. Dieser ist mit Biberschwanzziegeln nach traditionellen Methoden gedeckt, die an den Ecken die scharfkantige Erscheinung erzeugen. Im Rhythmus der Holzkonstruktion fügten die Architekten Kastenfenster in den Ziegelkörper, hinter denen sich Lesenischen verbergen. Die markante Laterne auf dem First steigert die Wirkung des Daches zusätzlich und leuchtet nachts ins Land hinein. Darunter liegt der grösste Eingriff: Der Lichthof, der von zuoberst bis ganz nach unten durchs Gebäude stösst und dort in einem Wasserbecken endet.
Im Erd- und in den Obergeschossen ist die Freihandbibliothek
eingerichtet, in den (nach hinten frei liegenden) Untergeschossen sind
die Büchermagazine und die Bibliotheksverwaltung untergebracht. Das
Verschmelzen von Alt und Neu hat die Architekten an diesem Bau
besonders interessiert, wie Andreas Graf erzählt. Deshalb setzten sie
ihre neuen Zutaten nicht ‹denkmalpflegerisch› fein säuberlich vom Alten
ab, sondern sie formten aus dem Vorhandenen und ihren Zutaten ein neues
Ganzes. Erst die aufmerksame Lektüre des Gebäudes führt auf die Spuren
der Vergangenheit – und manchmal auch auf den Holzweg: So sind die an
die Balken gemalten Namen von Weinsorten kein Überbleibsel der
Vergangenheit, sondern ein Teil der künstlerischen Arbeit von Stefan
Banz. Von ihm sind auch die Leseratte und der Bücherwurm, die sich auf
dem Vordach ein Stelldichein geben, sowie die Intarsienarbeit, die uns
auf dem Ziegeldach ein Rätsel aufgibt: «à la» steht da in grossen
Lettern. Die Fortsetzung steht am Boden des Wasserbeckens im
Untergeschoss: «Recherche» – und wird zum Proust-Zitat.
Unwirtlich zeigt sich noch die Umgebung. Vor der Kantonsbibliothek
liegt ein ausufernder Parkplatz, und wer aus dem Bahnhof tritt, muss
Acht geben, dass er nicht von einem Bus überfahren wird. Doch Hoffnung
besteht: Vor drei Jahren brachte ein Wettbewerb ein Konzept für die
Entwicklung des Liestaler Bahnhofgebiets. WH
Fotos: René Rötheli, Henri Pierre Schultz
Foto: Architekten
Kantonsbibliothek
Baselland
2005
Bahnhofplatz
Liestal
Bauherrschaft
Bau- und
Umweltschutzdirektion
Kanton Basel-Landschaft
Hochbauamt
Architektur und
Bauleitung
Liechti Graf Zumsteg
Brugg
Kunst und Bau
Stefan Banz
Luzern
Visuelle Gestaltung
Anex & Roth
Basel
Gesamtkosten
(BKP 1–9)
CHF 17,5 Mio.
Gebäudekosten
(BKP 2/m)
CHF 778.–