Einfamilienhaus Nigg
Auf dem Madretschried am Rande Biels entsteht ein neues Wohnquartier. Bis anhin war die Gegend durch eine genossenschaftliche Wohnkolonie aus den Dreissigerjahren geprägt. Die Reihenhäuser bilden eine architektonische Einheit. Wie bei vielen anderen Genossenschaftssiedlungen aus dieser Zeit sind die Räume eindeutig zugeordnet: Individualismus ist hier nur im privaten Bereich erlaubt – gemeinschaftlich genutzter Raum ist zwischen den Häuserzeilen angeordnet. Nun ist gleich nebenan ein wilder Hüslipark herangewachsen. Die Stadt verkauft hier Parzellen ohne grosse baupolizeiliche Auflagen und hofft, damit neue und potente Steuerzahler anzulocken. So entsteht derzeit ein neues Quartier, das der individuellen Aussenraumgestaltung und der Architektur keine Grenzen setzt. Unter den vielen unsäglichen Bauten steht auch eine Perle: ...
Fotos: Lilli Kehl
...Die Architekturskulptur von Jürg Graser. Der Architekt nimmt für das
Einfamilienhaus Nigg die liberale Ausgangslage und die Forderung nach
Behindertengängigkeit als Entwurfsbasis. Da in der Nachbarschaft Art
und Weise sowie Stellung und Ausrichtung der Häuser keinem bestimmten
Prinzip folgen, bezieht sich sein Haus auf sich selber. Ähnlich einer
römischen Villa sind die Wohnteile um ein einseitig offenes Atrium
angeordnet. Sie fassen einen Aussenraum mit relativ grosser
Privatsphäre. Der Baugrund fällt leicht ab, sodass sich die dreiteilige
Hausskulptur auf einer Seite vom Boden abhebt. Ein schiefer Gang in
einem Kastenelement verbindet den Tag- und Nachtbereich. Raumhohe
Öffnungen geben im Inneren den Blick auf den Hof frei und lassen vom
lauten Architekturjahrmarkt nichts spüren. Trotzdem wird die Umgebung
nicht ausgeschlossen. Vier grosszügige Öffnungen geben präzis gefasste
Ausblicke auf das Umfeld frei.
Alle Räume sind mit Holz ausgekleidet. Das Interieur erinnert an ein
modernes Chalet. Böden, Wände und Decken sind mit einem
Holz-Kastenprofil-System ausgeführt. Die Tragstruktur funktioniert wie
die Karosserie eines Autos: Gebäudehülle und Tragstruktur sind eins.
Die Wandplatten sind aus Holz und tragen ohne zusätzliche Rahmen,
Querstreben oder Unterzüge. Alle Innenwände sind nicht tragend, was die
Räume flexibel einteilen lässt. Zehn schmale Stützen tragen den Trakt
mit den drei Schlafzimmern auf der "Talseite". Auch Strom und Wasser
werden darin zu- und weggeführt, um die freie Durchsicht unter dem
Gebäude möglichst wenig zu behindern. Über kleine Punktauflager werden
die Lasten in den Boden geleitet. Damit sich das Haus wenigsten ein
bisschen in die Hüsli-Umgebung einfügt, ist die Fassade rundherum mit
transparentem Glas verkleidet: Geschosshohe, dunkelbraun eingefärbte
Glaselemente schützen die Hanfisolation und die Unterkonstruktion vor
der Witterung und spiegeln gleichzeitig den Nachbarn die heterogene,
konzeptlose Architektur wieder zurück. Urs Külling
Einfamilienhaus Nigg
Marguerite Weidauer Weg 5
2503 Biel
Bauherrschaft
Jacqueline und Fritz Nigg
Architekten
Jürg Graser Architekten
Zürich
Mitarbeit
Tim Häberlin
Auftragsart
Direktauftrag
Bauingenieur
AG für Holzbauplanung
Rothenburg
Anlagekosten
CHF 519 500.–
Gebäudekosten
(BKP 2/m3)
CHF 619.–