Wilder Läufer, sanfte Welle
Thomas Geuder
3. Dezember 2013
Die Fassade des neuen Ergänzungsbaus des Cellitinnen-Seniorenhaus St. Gertrud in Düren verrät zunächst nicht, was sich dahinter verbirgt. (Foto: Christa Lachenmaier)
Jedes Material besitzt seine Sprache, durch die es in Form gebracht werden will. JSWD Architekten aus Köln zeigen beim Cellitinnen-Seniorenhaus St. Gertrud in Düren, wie sich auf diese Weise eine Fassade harmonisch gestalten lässt.
Materialien scheint eine bestimmte Verarbeitung innezuwohnen. Linoleum etwa will in Bahnen verlegt und als Intarsienarbeit zugeschnitten werden, Glas will zur Scheibe geformt und per Rahmen in eine Wandöffnung gehängt, ein Mauerstein mit vielen anderen Mauersteinen und mit ausreichend Mörtel zu einer geraden Mauer zusammengefügt werden. Umgekehrt erwartet man eine ganz bestimmte Verwendung eines Materials im und am Gebäude – und sind umso überraschter, wenn es anders kommt und z.B. Linoleum zum Mousepad, Glas zum tragenden Element oder ein grobkantiger Mauerstein zur dynamisch geformten Wand wird. Metall bzw. Blech ist im Fassadenbau ein beliebtes Material. Oft wird es als Platte eingesetzt oder als Trapezblech mit individuell geformter Profilierung. So scharfkantig und steif Metall im Grunde ist, so weich und formbar ist es jedoch auch. Per Presse lässt es sich gut biegen, ziehen und strecken, und das mit erfrischender Detaillierung. Dann zeigt das Material, was wirklich in ihm steckt: Mit Metall lässt sich eine Fassade vielfältig modellieren, und zwar von der Grossform bis ins Detail. Unser Freund Otto Normalarchitekturliebhaber jedenfalls weiss es immer wieder sehr zu schätzen, wenn ein Architekt ein Gebäude in allen Massstäben kreativ durchdekliniert.
Der Neubau (links) unterbricht bewusst die Architektur des 2005 eröffneten und 2013 erweiterten Hauses, ohne sie völlig zu negieren. (Ausschnitt, Foto: Christa Lachenmaier)
Gesehen haben wir das beim Cellitinnen-Seniorenhauses St. Gertrud in Düren bei Köln. Für die Architekten von JSWD ging es hier darum, ein bestehendes Haus mit einer markanten, dunklen Ziegelfassade mit regelmässig herauslugenden Glas-Erkern zu erweitern und zu ergänzen. Das Raumkonzept sah für den Neubau eine konzeptionelle Erweiterung durch selbstbestimmtes Wohnen mit bedarfsweiser Inanspruchnahme von Pflegedienstleistungen vor. Diese Vorlage übersetzten die Architekten in einen Entwurf, der Elemente des Bestands aufnimmt und formal weiterentwickelt. Konkret: Der intensive Mauerziegel in verschiedenen, dunklen Nuancen ist im Neubau ein sandfarbener Stein mit einer Höhe von nur 4 cm, ausgeführt als hinterlüftetes Verblendmauerwerk. Gemeinsam ist Alt und Neu der sogenannte wilde Verband. Das architektonische Thema des Glas-Erkers sowie eines über dem Zugang zum Innenhof des Seniorenhauses eingehängten, historischen Kirchenfensters der Pfarrkirche St. Peter Julian in der Bestandsfassade transformierten die Architekten in eine «Mauer-Intarsie» mit Fenstern und einer Blechverkleidung, die wie eine sanfte Welle erscheint – und so dem groben, die Horizontale betonenden Ziegelstein eine vertikale, weiche Struktur entgegensetzt. Sie entfaltet ihr Können im Detail: Die 3 mm dicken und eloxierten Aluminium-Paneelen wurden zunächst per Laser mit einem Lochanteil von 22 % und einem Lochdurchmesser von 5 mm gelocht. Zur anschliessenden Verformung der Bleche wurden Matrizen zum dreidimensionalen Tiefziehen verwendet. Die so erzeugten 3D-Paneele haben eine Breite von ca. 1,30 m und eine variierende Höhe von ca. 2 bis 3 m. Die Bleche wurde so exakt geformt, dass die Fugen dazwischen minimal und die Übergänge an den horizontalen und vertikalen Stosspunkten «fliessend» sind, was eine durchlaufende Anordnung und eine flächige Wirkung erzeugt. Die Perforierung führt ausserdem dazu, dass die Bleche von innen wie durchsichtig erscheinen, den Blick von aussen aber beschränken. So darf an der Fassade des Cellitinnen-Seniorenhauses jedes Material zeigen, was es kann – ganz zur Freude von Ottos Fassadenstudium.
Die Aluminium-Paneelen sind ca. 3 x 7,5 m (6 Paneele) bzw. 5,15 x 7,35 m (12 Paneele). Sie sitzen aussenbündig zum umgebenden Verblendmauerwerk. (Foto: Christa Lachenmaier)
Im Detail gut zu sehen: Sogar die Lochreihen sind über die Fugen hinweg durchgängig. (Ausschnitt, Foto: Christa Lachenmaier)
Detail horizontaler Schnitt im Bereich der Fenster mit und ohne Blechverkleidung.
In der Nachtansicht wird deutlich, was tagsüber nur von innen zu sehen ist: Die gelochten Bleche sind annähernd durchsichtig. (Foto: Christa Lachenmaier)
Lageplan
Grundriss 2. Obergeschoss Gesamtanlage. Der Neubau von JSWD befindet sich links unten.
Grundriss Erdgeschoss
Das Haus vor seiner Erweiterung: Der Ergänzungsbau wurde links angefügt, hinter einer weiteren Ergänzung in derselben Bestandsarchitektur. (Foto: Aymeric Fouquez)
In die dem Garten zugewandten Südfassade wurden grosszügige Loggien eingeschnitten, deren dunkle Rahmung aus Aluminium farblich den gewellten Paneelen der strassenseitigen Fassadenintarsien entspricht. (Foto: Christa Lachenmaier)
Zur Vervollständigung: Der recht geometrisch gestaltete Innenhof des Bestandsbaus. (Foto: Aymeric Fouquez)
Kompositorisches Zentrum im Innenhof ist eine kleine Kapelle. (Foto: Ulrich Kaifer)
Ingolstadt, D
Hersteller-Kompetenz
Sonderanfertigung «Wasserwelle Vision, Düren»
Projekt
Wohnhaus am Cellitinnen-Seniorenhaus St. Gertrud
Düren, D
Architekur
JSWD Architekten
Köln, D
Bauherr
Seniorenhaus GmbH der Cellitinnen zur hl. Maria
Köln, D
HLS- und Elektroplanung
IG Hilger
Aachen, D
Tragwerksplanung
Kempe Krause Ing.gesellschaft
Aachen, D
Bauphysik
Tohr Bauphysik GmbH & Co. KG
Bergisch Gladbach, D
Brandschutz
Kempe Krause Ing.gesellschaft
Aachen, D
Fertigstellung
2013
Fotografie
Christa Lachenmaier
Aymeric Fouquez
Ulrich Kaifer
Projektvorschläge
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