Die Parabel vom Weltraum
Thomas Geuder
18. März 2014
Nach aussen verkörpert das neue Laborgebäude des Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen die Corporate Identity des DLR. (Foto: Yohan Zerdoun)
Mancher Architekt möchte mit seinen Arbeiten gerne etwas Bestehendes nachahmen, ja geradezu kopieren. Ein Bierfass oder eine Teekanne etwa. Cleverer wird ein Entwurf, wenn er mit einem Vorbild arbeitet und trotzdem eigenständige Architektur bleibt. kister scheithauer gross architekten geben ein Beispiel.
Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten Forscher in den Bereichen Luft- und Raumfahrt (wie der Name schon verrät) sowie in Energietechnik, Verkehr und Sicherheit. In Bremen, einem der 15 nationalen Standorte, befindet sich das Institut für Raumfahrtsysteme (DLR-RY), wo Systeme der Raumfahrt in technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Hinsicht analysiert, bewertet und entwickelt werden. Dort, am Rand des «Technologieparks Bremen», sollte nun ein neues Labor- und Forschungsgebäude entstehen, das nicht nur Zweckbau für die Forscher, sondern auch Anlaufstelle für interessierte Besucher ist. Ein Gebäude für Luft- und Raumfahrtbegeisterte sowie -profis also. Das Thema «Raumfahrt» ja viele starke Bilder hervor, die manchen Entwerfer wohl zu entsprechend expressiven Gebäudeformen und -gesten verführt hätte. Bei ksg architekten und stadtplaner allerdings ist man einen raffinierteren Weg gegangen. Ihr Entwurf besticht zunächst vor allem durch eine formale Einfachheit und besteht aus einem schlichten, quadratischen Baukörper mit zwei Stockwerken. Der inhaltliche Bezug zum Thema wird in der zweiten Wahrnehmungsebene hergestellt: Durch die Materialität und durch Versatzstücke, mit denen man «Raumfahrt» assoziiert. Wie etwa die Verbindungsbrücke zwischen Bestands- und Neubau, die einer Gangway gleich an beide Gebäude andockt. Oder das über beide Stockwerke reichende Eingangstor mit dem Logo des DLR, hinter dem man eine für die Startrampe fertige Rakete vermuten möchte. Oder – aus landschaftsplanerischer Sicht – die teilweise als Mondlandschaft angelegten Aussenanlagen. Auffälligstes Stilmittel aber ist die Fassade an allen vier Seiten: Sie ist dem Hitzeschutzschild eines Spaceshuttles nachempfunden und besteht aus scharenförmig angeordneten Keramikkacheln, die eigens für dieses Projekt entwickelt wurden.
Die Aussenhaut des Gebäudes besteht aus unzähligen, scharenförmig angeordneten Keramikkacheln, begrenzt durch 25 mm starke Dehnungsfugen. (Foto: Yohan Zerdoun)
Dem Einbau der 20 x 20 cm grossen Kacheln am Gebäude ging eine Entwicklungszeit von über eineinhalb Jahren voraus. Gemeinsam mit der ABC-Klinkergruppe und deren Chemikern entwickelte ksg ein Produkt mit einer speziellen Oberflächenoptik in acht unterschiedlichen Farbmustern. Bei deren Herstellung wurden Kachelrohlinge mit mineralischer Tonschlämme in verschiedenen Spritzbildern besprüht (engobiert), die beim Brennvorgang dann versintern (durch Zusatz von Kohl wurde wurde eine Brenntemperatur von 1050°C erreicht), wodurch die ehemals dunkelroten Oberflächen ihre matte Färbung erhalten. Für die Fassade des DLR-RY wurden schliesslich 38.000 Kacheln hergestellt, die nach einem von den Architekten auf die Fassade «komponierten» System verlegt wurde. Darunter befindet sich ein Wärmedämmverbundsystem und eine tragende Wand aus Betonhalbfertigteilen. Dieser Wandaufbau hat seine Geschichte: Im Technologiepark besteht die gestalterische Regel, dass alle Gebäude verklinkert sein müssen. Ein WDVS wäre deswegen nicht möglich gewesen, war aber die sinnvollste Lösung für das Laborgebäude. Mit den Kacheln jedoch konnte diese gestalterische Regel erfüllt werden, auch wenn sie am Ende kein klassisches horizontales Muster bilden. Und das noch nicht einmal gleichmässig: In mehreren Verkleidungsebenen legen sie sich um das Gebäude, durchbrochen lediglich von wenigen, notwendigen Fenster- und Türöffnungen, drei den Laboreinheiten zugeordneten Toren sowie den repräsentativen Eingang. Um das Gebäude bei Dämmerung leicht schwebend erscheinen zu lassen, erhielt es im Sockelbereich ein umlaufendes, leicht zurückspringendes, blaues Lichtband. Durch all diese Mittel beschreibt das Gebäude bereits in der Aussenansicht, was im Inneren gemacht wird. Eine solche Entwurfshaltung kann schnell plump werden, den Architekten von ksg ist es hier jedoch gelungen, mit durchdachten Details und Materialitäten und ein spannendes Bauwerk zu schaffen.
Hinter dem zwei Stockwerke hohen Hallentor vermutet man ein für die Startrampe fertiges Raumgefährt. (Foto: Yohan Zerdoun)
Die Verbindungsbrücke zwischen Bestand und Neubau überquert den «Uni Randraben», einen der zahlreichen kleinen Fleete der Gegend. (Foto: Yohan Zerdoun)
An den Ecken und Kanten wurden die Kacheln exakt ausgeschnitten. (Foto: ksg architekten)
In zahlreichen Tests arbeitete ksg zusammen mit ABC-Klinker am Farbton der Kacheln, … (Foto: ksg architekten)
… bis der richtige gefunden wurde. Die Kacheln sind übrigens wie ihr Spaceshuttle-Vorbild ebenfalls mit einer Nummer versehen. (Foto: ksg architekten)
Im Schnitt sieht man sehr gut die eigentlich rote Färbung der Keramikkacheln. (Foto: ksg architekten)
Schwarzplan
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Beispiel Verlegeplan und Detailvertikalschnitt
Das Hitzeschutzschild eines Spaceshuttles war das Vorbild für die Gestaltung der Fassade. (Foto: NASA / Wikpedia)
Besucher können im Foyer unter einem Raketentriebwerk warten. (Foto: Yohan Zerdoun)
Vom Besucherflur aus ist es den Gästen möglich, in die zweigeschossigen Laborbereiche zu blicken. Eine gemeinsam mit dem DLR entwickelte Ausstellung zeigt die Aufgaben des DLR. (Foto: Yohan Zerdoun)
Die drei Labore im Neubau stellen hohen Ansprüche in Sachen Reinraumtechnik, Staubbelastung sowie Expolosionsschutz. (Foto: Yohan Zerdoun)
Hitzeschutzschild, Mondlandschaft und Raumstation: So arbeitet man mit Bildern aus der Raumfahrt. (Foto: Yohan Zerdoun)
Laborgebäudes für das Institut für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR-RY)
Hersteller
ABC-Klinkergruppe
Recke, D
Kompetenz
Sonderanfertigung Keramikkacheln
Atlantis
Architekt und Generalplaner
kister scheithauer gross architekten und stadtplaner
Köln, D
mit
Architekten BDA Feldschnieders + Kister
Bremen, D
Bauherr
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)
Köln, D
Tragwerkplaner
pb+ Prof. Bellmer Ingenieurgruppe
Bremen, D
Haustechnik (HKLS)
ECOTEC GmbH
Bremen, D
Haustechnik (ELT, Kran- u. Aufzugsanlagen, Gefahrenmeldeanlagen)
kbi keydel bock ingenieure gmbh
Göttingen, D
Bauphysik
Ing.-Büro für Bauphysik Heinrichs
Hürth, D
Brandschutz
BFT Cognos GmbH
Aachen, D
Landschaftsplanung
Henke+Blatt Partnerschaft Garten- und Landschaftsarchitekten BDLA
Achim, D
Projektsteuerung
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)
Göttingen, D
Förderung
Europäische Union: Investition in Ihre Zukunft- Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
Fertigstellung
2012
Fotografie
Yohan Zerdoun
ksg architekten und stadtplaner
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