Wenn die Literaturkritik ein Architekturbuch feiert
Manuel Pestalozzi
15. November 2023
Foto: Uwe Dettmar
Beim Buchpreis des Deutschen Architekturmuseums haben Schweizer Bücher sechs von zehn Awards abgeräumt. «Atlas des Dazwischenwohnens» ist eines davon. Doch was macht das Buch von Angelika Juppien und Richard Zemp aus?
«Ich habe ein Buch mitgebracht, das eigentlich ein Fachbuch ist, mich aber unglaublich beglückt hat. ‹Atlas des Dazwischenwohnens› heisst es, geschrieben von Angelika Juppien und Richard Zemp», sagte Insa Wilke, Deutschlands zurzeit wohl bekannteste Literaturkritikerin, im Herbst vorigen Jahres in der Fernsehsendung «lesenswert Quartett». Welch eine Ehre für die beiden Forschenden der Hochschule Luzern! Kürzlich hat ihr Buch auch eine Auszeichnung beim Buchpreis des Deutschen Architekturmuseums (DAM) erhalten. Es gehört damit zu den Schweizer Büchern, die gleich sechs der zehn Awards gewonnen haben.
Doch was zeichnet das hochgelobte Buch aus? Wie im Titel bereits anklingt, haben sich Angelika Juppien und Richard Zemp mit dem Wohnen vor der Wohnungstür auseinandergesetzt, also mit Räumen, die sich ausserhalb der Wohnung befinden und diese erweitern. Wie, fragen die beiden, eignen sich Menschen diese Räume an? Und was bedeuten sie für ihr Zuhausegefühl? Bei der Untersuchung haben die Forschenden mit den Bewohner*innen von Mehrfamilienhäusern in Deutschland und der Schweiz zusammengearbeitet: Die Menschen schickten ihnen Polaroids von Situationen, die für sie wichtig sind: aus dem Treppenhaus etwa, dem Vorgarten oder dem Café gegenüber.
Foto: Uwe Dettmar
Mit dem Buch widmen sich Angelika Juppien und Richard Zemp Themen, die derzeit heiss diskutiert werden: der Reduktion der Wohnfläche pro Person und der damit verbundene Auslagerung von Tätigkeiten aus der Wohnung in den halböffentlichen und öffentlichen Raum zum Beispiel. Wie sollten Wohnumfeld, Zwischenräume und Quartiersinfrastrukturen künftig gestaltet werden? Ingesamt finden sich in «Atlas des Dazwischenwohnens» sechs Fallstudien, anhand derer die Bedeutung von wohnungsnahen Zwischenräumen und Nutzungsangeboten aus Sicht der Bewohnenden beleuchtet wird. Gedacht ist das Buch als praxisnahe Inspiration für Planer*innen, Bauträgerschaften und Architekt*innen. Zu lesen ist es auch vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen der Corona-Pandemie und des voranschreitenden Klimawandels.
Beim Buchpreis des DAM lobte die Jury, die Lektüre mache Lust, die Türen zu öffnen und zu entdecken, zu erforschen, zu erobern, zu begegnen und zu gestalten. Das Buch sei ein gelungenes Plädoyer für die Wiederentdeckung des Zwischenraums als Gestaltungsraum. Und Insa Wilke? Sie glaubt, das Buch sei für alle lesenswert, nicht nur für das Fachpublikum. Angesichts des angespannten Wohnungsmarkts brauche man das Gefühl, etwas gegen die Ohnmacht tun zu können. Und eben dieses gibt ihr «Atlas des Dazwischenwohnens». Sie schwärmt: «Man hat das Gefühl, man wird aktiviert, und es ist einfach das reine Glück, das Buch anzuschauen und zu lesen.»
Atlas des Dazwischenwohnens. Wohnbedürfnisse jenseits der Türschwelle
HSLU, Institut für Architektur, Kompetenzzentrum Typologie und Planung (Hrsg.)
Angelika Juppien und Richard Zemp
150 x 210 Millimeter
148 Seiten
86 Illustrationen
Broschiert
ISBN 978-3-03860-301-6
Park Books
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