Ungeahnte Folgen eines Brandes
Juho Nyberg
25. Januar 2021
Vor vier Jahren brannte der Grenfell Tower in London. Dass sich die Katastrophe andernorts wiederholen könnte, belastet viele Menschen in Grossbritannien. (Foto: Natalie Oxford via Wikimedia Commons, CC BY 2.0)
Nach dem verheerenden Brand im Londoner Grenfell Tower wurden Verbesserungen an ähnlichen Gebäuden versprochen. Doch auch vier Jahre später ist nur wenig geschehen. Die Konsequenzen tragen die Bewohner*innen.
Die Skandale rund um den Brand des Wohnhochhauses Grenfell Tower in London scheinen auch nach knapp vier Jahren nicht abzureissen – im Gegenteil: Immer neue Negativmeldungen poppen auf. Dass der Brand kein unglücklicher Einzelfall war, sondern sich ein solches Unglück jederzeit überall in Grossbritannien wiederholen könnte, zeigt sich daran, dass mittlerweile weit über 200 Wohngebäude ermittelt wurden, die ähnliche Mängel aufweisen: Ihre Wärmedämmung ist ebenfalls mit Aluminium verkleidet und weist keine Feuerfestigkeit auf. Im Ernstfall würde diese Kombination als Brandbeschleuniger wirken.
Bewohner*innen von über 270 Gebäuden haben sich zur UK Cladding Action Group zusammengeschlossen, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. Die Missstände umfassen dabei nicht nur die erwähnten baulichen Mängel, sondern auch die Lebensumstände der Betroffenen. So war im Guardian dieser Tage von einer Frau zu lesen, die Privatinsolvenz anmelden musste, da die aufgelaufenen Nebenkosten für ihre Wohnung ihre finanziellen Mittel überstiegen. Ein halbes Jahr nachdem sie ihre Einzimmerwohnung in Leeds gekauft hatte, wurde ihr mitgeteilt, dass auf dem Dach ihres Hauses die gefährliche Materialkombination verbaut worden sei. Bald wurden noch weitere Baumängel aufgedeckt. Als erste Massnahme wurde jedoch nicht der Umbau in Angriff genommen, sondern die Stelle einer hauseigenen Feuerwache geschaffen. Eine Person wacht seitdem des Nachts über das Haus, die Kosten für diese Stelle haben die Bewohner*innen zu tragen – in diesem Fall £300 (rund CHF 365) pro Wohnung und Monat! Dies alles wohlgemerkt in einem Wohnhaus, das im Rahmen der Initiative Affordable Housing Scheme kostengünstigen Wohnraum bieten soll. Die öffentlichen Beiträge für die Beseitigung der brennbaren Isolation auf dem Hausdach erwiesen sich als zu tief, sodass die Eigentümer*innen noch ein weiteres Mal in die Tasche greifen sollten.
Die UK Cladding Action Group hat unlängst unter ihren Mitgliedern eine Umfrage durchgeführt. 550 Mieter*innen und Besitzer*innen aus 143 Gebäuden nahmen teil. Neben finanziellen Belastungen, wie ich sie eben geschildert habe, dokumentieren die Antworten weitere drastische Folgen: 90 Prozent der Befragten berichten von psychischen Problemen wegen der Angst um die Sicherheit ihrer Häuser, 23 Prozent gar von Selbstmordgedanken.
Neben den vom Staat bereitgestellten £400 Millionen sind unterdessen noch weitere £200 Millionen aus privaten Mitteln zusammengekommen, um die notwendigen Renovationen zu finanzieren. Doch beide Geldtöpfe sind nur für Gebäude von über 18 Metern Höhe vorgesehen, und Zwischenlösungen – etwa die Einrichtung einer hauseigene Feuerwache – können daraus nicht gedeckt werden.