Pralinenschachteln-Architektur

Manuel Pestalozzi
1. Oktober 2015
Bild: cliparthut.com

Wenn Pralinen in flachen Schachteln dargeboten werden, liegen sie unter dem Deckel meistens in einer Plastikeinlage. Deckel hoch, und siehe da: Ein säuberliches Arrangement ausgefallener Formen entzückt das Auge, ein süsser Duft umschmeichelt das Riechorgan. Jedes Einzelstück ist normiert, um in die Einlage zu passen. Es muss in seinem Fach aber auch mit seinen optischen Reizen spielen, denn es will ja ergriffen und gegessen werden.

Es gibt eine Architekturauffassung, die ganz ähnlich funktioniert: Skulpturale Einzelstücke geben sich in einem fixen, mehr oder weniger egalitären Ordnungsmuster ein appetitliches Stelldichein. Die USA und die Amerika ganz allgemein sind für die Pralinenschachteln-Architektur besonders prädestiniert. Die Künstlerin Madelon Vriesendorp hat dies mit der Bildserie «City of the Captive Globe» für Rem Koolhaas‘ Buch «Delirious New York» ironisch angedeutet.

Das Broad Museum an der Grand Avenue in Downtown Los Angeles. Rechts davon die Disney Hall von Frank O. Gehry. Bild: Jeff Duran/Warren Air, courtesy of The Broad and Diller Scofidio + Renfro

Das vor wenigen Tagen eröffnete Broad Museum ist in diesem Sinn als eine Praline konzipiert. Man hat ihm ein Geviert zugewiesen, und auf dem steht es jetzt. Die «Einlage» ist das engmaschige Strassenraster, die «Schachtel» heisst Downtown Los Angeles. Die Ordnung gibt dem Solitär gebührenden Abstand zu seinen Nachbarn. Er ist aber kaum so gross, dass man das anscheinend sich selbst genügende Volumen überblicken kann. Dazu muss man schon in den Helikopter steigen und das Ganze überblicken.
 
An der Grand Avenue findet sich noch weiteres architektonisches Naschwerk, es wird in einem Artikel von Roman Hollenstein in der NZZ vorgestellt. «The Broad», wie die neueste Ergänzung anscheinend etwas despektierlich genannt wird, ist ein Werk von Diller Scofidio + Renfro, jenem Team also, das der Expo 02 die Cloud in Yverdon-les-Bains bescherte. Von aussen erinnert es an ein Warenhaus von Egon Eiermann, was vielleicht zur Lage passt. Nun wünscht man der Grand Avenue möglichst viele Passantinnen und Flaneure, welche sich an dieser Kreation delektieren.

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