Pop-Up unter der Vitra-Kuppel

Manuel Pestalozzi
19. Juni 2015
Bilder: Vitra

Vitra besitzt auf dem Firmengelände in Weil am Rhein eine geodätische Kuppel, die den Prinzipien von Richard Buckminster Fuller folgt. Die Knotenpunkte dienen als Aufhängung einer hellen Kunststoffmembran. Das weisse Zelt, das direkt neben dem Haupteingang steht, diente Kéré, der sein Büro in Berlin hat und aus Burkina Faso stammt, als Vorlage für sein Projekt, das ab vergangenem März vorangetrieben wurde. Bis im Herbst kann man das Pop-up Projekt, das am 18. Juni eröffnet wurde, besuchen.
 
Vitra, Camper und der Architekt entwickelten gemeinsam einen Schuhladen, der sich mit den aktuellen Retail-Konzepten und -Gewohnheiten auseinandersetzt, insbesondere mit den neuen Möglichkeiten, welche durch die Digitalisierung von Handel und Konsum entstanden sind. Deshalb ist die Skulptur aus blau gestrichenen Holzwürfeln beim Eingang nicht nur Sitzmöbel sondern auch Ladestation für Mobilgeräte.

Verkaufstresen, Grasteppich, blaue Poufs, Schuhschachteln und Touch-Paneele – das Innere ist urtümlich, trendig. Durch steuerbare Lichtszenarien lässt sich die Stimmung beeinflussen.

Camper ist wie Vitra ein traditionelles Familienunternehmen. Jährlich entwickelt es eine grosse Anzahl von Schuhmodellen, noch immer musst das Unternehmen der Handarbeit eine grosse Bedeutung zu. Derzeit wird ein Teil der Entwicklung und Fertigung im Rahmen eines UN-Projektes in Äthiopien ausgeführt, was im Pop-up Store auch dokumentiert ist. Dieser Aspekt bildet eine ausgezeichnete Ergänzung zur Ausstellung Making Africa im benachbarten Vitra Design Museum.
 
Diébédo Francis Kéré und sein Team kreierten einen Rundbau, der aus einem gedeckten Umgang und einem nach oben, zur Kuppel offenen Zentralraum besteht. Die Konstruktion ist modular; sie setzt sich aus flächigen Holzelementen zusammen. Horizontale Ablageflächen werden getragen von schräg gestellten, im Zickzack verlaufende vertikalen Elementen. Der Umgang ist der Präsentation gewidmet. Zu den einzelnen Modellen lassen sich über QR-Code, einen Chip, der man vom Personal erhält, oder über das eigene Smartphone Informationen einholen und gegebenenfalls Bestellungen aufgeben. Wie Architekt Kéré auf einem Rundgang zeigte, steckt in den einfachen, demontierbaren Tablaren Hightech. Die Konstruktion ist vernetzt, das erinnert an die Visionen einer Plug In City von Archigram.

Zwischen Hülle und Rundbau verrichtet ein Camper-Schuhmacher sein Werk. In diesem Bereich steht auch ein Fuss- und Schrittscanner für Massanfertigngen. Die offenen Fugen im Rundbau verbessern die Durchlüftung im stark exponierten Zelt.

Der Zentralraum sublimiert das Anprobieren. Camper-Modelle sind so bequem, dass dazu keine Schuhlöffel nötig sind. Kéré schenkte in diesem Bereich der Haptik besondere Aufmerksamkeit; der Grasteppich, der Stoff der blauen, kürbisartigen Poufs sind hautfreundlich. Die Sitzlandschaft wird durch die Verspiegelung der vertikalen Sockelelemente optisch vergrössert.
 
Das Projekt spielt einen Randbereich der Kuppel frei. Hier wird einerseits das traditionelle Schuhmacherhandwerk zelebriert. Man kann einem Handwerker bei der Ausübung seiner Kunst zusehen. Daneben stehen zwei Geräte, welche die digitale Aktualität repräsentieren. Sie erinnern etwas an alte Personenwaagn in Bahnhöfen oder Hallenbädern. Wer sie betritt, erfährt allerdings nicht das eigene Gewicht. Stattdessen werden die Füsse eingescannt und das Schreitverhalten dokumentiert. Diese Informationen wandern in die eigene Datenbank oder in eine Cloud und lassen sich für die individuelle Schuhbestellung verwenden.
 
Interessant macht dieses Pop-up-Projekt der Versuch, das Physische, Körperliche mit der Distanz, die der digitalen Welt eigen ist, zu versöhnen. Miguel Fluxa, CEO von Camper, sagte anlässlich der Eröffung des Projektes in Weil am Rhein, dass ein Business wie das seine vom eCommerce alleine nicht leben kann. Es braucht den direkten Kontakt und damit den begehbaren, verorteten Laden – das unmittelbare sinnliche Erlebnis. Dies sind gute Nachrichten für jene Architektur, die die Individualität pflegt und ihnen neue Qualitäten zu geben versucht.

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