In weite Ferne gerückt
Leidenschaftlich wurde in Luzern über die Vergrößerung des Theaters gestritten. Am vergangenen Wahlsonntag stoppte die Bevölkerung das Bauprojekt deutlich mit einem Nein-Stimmenanteil von fast 58 Prozent.
Für etwas mehr als zwei Jahre sorgte das Projekt eines neuen Theaterbaus in Luzern für Streit; nach einem Architekturwettbewerb wurde der Bevölkerung im Dezember 2022 das Projekt des Zürcher Büros Ilg Santer Architekten vorgestellt. Die Jury lobte die Einbettung der Erweiterung in den städtebaulichen Kontext am Reussufer. Auch die Verknüpfung mit der Altstadt sei gelungen, hieß es damals. Doch von Anfang an gab es heftige Kritik – sowohl am Aussehen des neuen Theaters als auch am Wettbewerbsverfahren. Teilnehmende Architektenteams fühlten sich ungerecht behandelt und prozessierten. Doch das Luzerner Kantonsgericht urteilte, das Wettbewerbsverfahren sei korrekt abgelaufen und die Juryentscheidung habe im Ermessensspielraum der Jurorinnen und Juroren gelegen.
Die Architekten hatten beklagt, schon bei der Testplanung, die einen Erweiterungsbau und einen Ersatzneubau untersuchen sollte, habe sich gezeigt, dass das Raumprogramm die örtlichen Platzverhältnisse sprenge. Darum habe das Wettbewerbsprogramm anschließend »klar den Abbruch des bestehenden Theatergebäudes deklariert«. Trotzdem wurde ein Entwurf ausgewählt, der den Altbau erhielt, während gleichzeitig Vorschläge mit einem zweiten Untergeschoss von der zweiten Runde des Ausscheidungsverfahrens ausgeschlossen wurden.
Nachdem alle Beschwerden abgewiesen waren, überarbeiteten Ilg Santer Architekten ihren Vorschlag. Der große Theatersaal wurde gekürzt, der Abstand zur benachbarten Jesuitenkirche vergrößert und das Gastronomiekonzept angepasst. »Verschiedene der von den Eidgenössischen Kommissionen für Denkmalpflege und für Natur- und Heimatschutz formulierten Schutzziele konnten berücksichtigt werden«, kommentierte die Stadt die Änderungen. Im Mai 2024 wurde das verschlankte und nun etwas offener wirkende Projekt der Öffentlichkeit präsentiert. Die Verantwortlichen aus der Theaterwelt und bei den Behörden äußerten sich begeistert, und Luzerns Großer Rat, also das Stadtparlament, hieß Ende vorigen Jahres einen Planungskredit von 13.8 Millionen Franken mit 47 zu 0 Stimmen gut.
Doch das letzte Wort über den besagten Kredit hatte die Bevölkerung. »Bei einem Ja am 9. Februar 2025 können die Stimmberechtigten später in einem weiteren Schritt über das Bauprojekt entscheiden«, stand in der Abstimmungsbroschüre fast beschwichtigend. Voraussichtlich Ende 2027 oder Anfang 2028 werde man über den Baukredit abstimmen. Doch der Widerstand gegen das Großprojekt versteifte sich weiter: In einem offenen Brief sprach sich eine Gruppe von jungen Architektinnen und Architekten gegen das Vorhaben aus. Unterzeichnet hatten das Schreiben auch Mitglieder der im Wettbewerb unterlegenen Architekturbüros. Kritisiert wurde vor allem die Gefährdung des öffentlichen Charakters des Theaterplatzes. Ilg Santner konterten mit dem Versprechen, auf diesem einen möglichst offenen, für alle zugänglichen Raum zu schaffen. So lasse sich der Saal zum Theaterplatz hin öffnen, der für verschiedenste gesellschaftliche und kulturelle Anlässe genutzt werden könne.
Zu den prominenten Kritikern gehörte auch der renommierte Kunsthistoriker und Architekturtheoretiker Stanislaus von Moos; die Architektur des Projekts besitze die »Anmutung einer Gruppe von Lagerschuppen am Basler Rheinhafen«, schimpfte er in der Luzerner Zeitung. Die Gestaltung orientiere sich nicht an der malerischen Landschaft und der Stadt, sondern sei das Resultat der »gewaltigen Dimensionen der anvisierten Bauvolumen«.
Am 9. Februar entschieden sich 57.9 Prozent der Luzerner Wählerinnen und Wähler gegen das Vorhaben. Ein Verlierer ist dabei neben der zurzeit ohnehin stiefmütterlich behandelten Kultur leider einmal mehr das Schweizer Wettbewerbswesen, denn das kostspielige und zeitaufwendige Verfahren hat kein realisierbares Projekt hervorgebracht und die juristischen Auseinandersetzungen vor der Abstimmung schadeten seinem Image und seiner Glaubwürdigkeit. Nicht zum ersten Mal muss man sich fragen, ob die Auslobenden nicht zu viel wollten, ob das Raumprogramm für den Standort nicht zu groß und überambitioniert war. Ungeachtet aller Kontroversen ist am Entwurf von Ilg Santer Architekten am Ende der Wille lobenswert, das geschützte Umfeld weiterzubauen. Das erweiterte Theater hätte durchaus eine Ergänzung zum sanierten Kunst- und Kulturzentrum Luzern von Jean Nouvel, dem KKL, sein können. Ob die Stadt in Zukunft doch noch ein größeres Theater bekommt, ist ungewiss.