Geschichte, Inspiration und Freizeitspaß
Die Baumschulen Vogg empfangen ihre Kunden in einer umgebauten Scheune, in St. Pölten lernen Kinder in einem stimmungsvollen Bau die Welt der Kunst kennen, und am Wattenmeer treffen sich Urlauber im Erlebnis-Hus St. Peter-Ording: Unsere Leserinnen und Leser haben die Bauten des Jahres gewählt.
Große Spannung herrscht bei uns jeden Januar: Sie entscheiden, welche Bauwerke den Titel Bau des Jahres tragen dürfen. Dabei wählen Sie aus jenen Projekten aus, die wir im abgelaufenen Jahr in der Rubrik Bau der Woche unserer Online-Magazine Swiss-, German- und Austria-Architects vorgestellt haben. Welche Gebäude sind so beliebt, dass zahlreiche Menschen für sie voten – Bauherrinnen, Planer, Handwerkerinnen, Nutzende, aber auch Interessierte und Architektenkollegen? Immer wieder schreibt die große Publikumswahl schöne Geschichten und zeigt, wie wirkmächtig Architektur ist: Sie bewegt Menschen, verbindet, stärkt Identität und ermöglicht Entfaltung.
Unter den Bauten der Woche auf unserer Schweizer Plattform gewann erneut ein Umbau die meisten Stimmen: Miriam Weyell und Florian Berner gestalteten für die Baumschulen Vogg, ein Familienunternehmen aus dem baden-württembergischen Neuenstein, eine alte Scheune zum Geschäftshaus mit Verkaufsraum, Ausstellungsflächen und Büros. In dem Bauwerk am Eingang des Baumschul-Geländes werden Kunden und Gäste empfangen und beraten.
Dem in Zürich ansässigen Architektenduo war wichtig, möglichst viel von der ursprünglichen Bausubstanz mit ihrem Natursteingemäuer, der schönen Fachwerkkonstruktion und dem beeindruckenden Holzstabwerk zu bewahren. Darum entschieden sich die beiden für eine Haus-im-Haus-Lösung: Sie erhielten das 1940er-Jahre-Bauwerk als Witterungsschutz und fügten ein neues Innenleben ein. Ein brückenartiger Holzeinbau nimmt Büros, Sanitärräume und die Kasse auf. Wo es statisch nötig war, ergänzten Miriam Weyell und Florian Berner die vorhandene Holzkonstruktion. Zu dem Gewebe aus alten und neuen Balken, Stützen und Brettern, das sie in einem großen Arbeitsmodell im Maßstab 1:33 entwickelten, hat sie die finnische Textildesignerin Johanna Gullichsen inspiriert. Bei der Umsetzung vor Ort half das Architekturbüro Steinbach Schimmel aus der Region mit. Über dem Haupteingang auf der Südseite öffneten Miriam Weyell und Florian Berner die Fachwerkfassade. Durch große Fenster dringt so viel mehr Tageslicht ins Innere. Außerdem ergänzten die Architekturschaffenden ein weit auskragendes Vordach – das verschönert den Vorplatz, stärkt die Adresse des Familienunternehmens und steigert die Aufenthaltsqualität vor dem Gebäude.
Nachhaltig zu bauen ist den Architekturschaffenden wichtig: Florian Berner engagiert sich neben der Arbeit bei Countdown 2030, einem Schweizer Verein aus Bauschaffenden, die sich für eine klima- und umweltfreundliche Architektur einsetzen. Darum haben die beiden die Scheune nicht nur voll Wertschätzung für das Alte und die Geschichte weitergebaut, sondern als thermische Pufferzone aktiviert. So kann mit einer Wärmepumpe und Solarzellen genug Energie produziert werden, um Sanitärbereich, Kasse und Besprechungsraum zu heizen. Während der Sommermonate wird das Bauwerk sogar zum Plus-Energie-Haus und versorgt die ganze Baumschule mit Energie und Regenwasser für die Pflanzenzucht.
Das KinderKunstLabor im österreichischen St. Pölten ist ein Ausstellungshaus, dessen Angebot speziell für Kinder unter 12 Jahren gestaltet ist. Gezeigt werden zweimal jährlich wechselnde Kunstausstellungen, und in Workshops sind die jungen Gäste zum Mitmachen eingeladen. Zusätzlich bespielen mehrere Kunst-am-Bau-Arbeiten das Haus.
Wie Miriam Weyell und Florian Berner ihren Scheunenumbau entwarfen auch die österreichisch-schweizerischen Architekten Schenker Salvi Weber das KinderKunstLabor mithilfe eines großen Arbeitsmodells. Das lag schon deshalb nahe, weil das Kunsthaus in einem Beteiligungsprozess gestaltet wurde, an dessen Workshops auch die Kinder teilnahmen: In Kinderbeiräten, die aus Kindergarten- und Schulgruppen bestanden, brachten sie Wünsche und Ideen ein und gestalteten das Haus und den umliegenden Park aktiv mit. Die Arbeit am Modell hat aber auch die Konstruktion und das Aussehen des Gebäudes geprägt und zur wunderbaren Atmosphäre seiner Innenräume beigetragen. Hinter der Fassade aus Holzlamellen, die an ausgewählten Stellen Blicke ins Innere zulässt, schraubt sich eine Treppenanlage um die Ausstellungs- und Kursräume nach oben. Sie verbindet das Foyer mit der Bibliothek und einer großen Spielfläche, wo eine Arbeit der japanischen Textilkünstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam zum Klettern animiert. Großartig ist die Lichtstimmung des gassenartigen Treppenraums, der zum Basteln, Werken und Toben einlädt, aber auch hervorragend als zusätzlicher Ausstellungsraum genutzt werden kann: Die Schatten der Bäume draußen auf dem dicht bewachsenen Grundstück und der Fassadenlamellen überlagern sich, für die Kinder entsteht der Eindruck, in die Baumkronen hinaufzuklettern.
An einen Baum erinnert auch die Konstruktion des KinderKunstLabors: Im Zentrum des Baus steht eine achteckige Betonstütze, die zusammen mit gevouteten Trägern und drei massiven Wandscheiben die Lasten abträgt. Die Treppe, ein Betonfertigteil, ist zwischen Gebäudekern und äußerer Holzfassade eingehängt. Die Holz- und Betonoberflächen im Inneren wurden nicht verkleidet – die Kinder können die unterschiedlichen Qualitäten der Baustoffe mit allen Sinnen erfahren. Das Haus trägt mit seiner Architektur also auch zu ihrer baukulturellen Bildung bei.
Für Kinder, Jugendliche und Familien, aber auch abenteuerlustige Erwachsene gestaltete das deutsch-schweizerische Büro Holzer Kobler Architekturen gemeinsam mit dem Landschaftsarchitektenteam von Uniola das Erlebnis-Hus St. Peter-Ording an der Nordseeküste. Keine leichte Aufgabe: Bauwerk und Außenanlagen befinden sich im sensiblen Naturraum des Wattenmeers, einer Unesco-Welterbestätte.
Die Architekten entwickelten eine vierstöckige demontierbare Holzkonstruktion, deren Bauteile sich bei Bedarf leicht austauschen lassen. Ästhetisch und konstruktiv nimmt das Erlebnis-Hus Bezug auf die historischen Pfahlbauten in der Nähe. Das ist nicht nur gestalterisch ein Gewinn, sondern auch deshalb vorteilhaft, weil das Team der Tourismusverwaltung sich sehr gut mit der Pflege und dem Unterhalt von Pfahlbauten auskennt. Die Konstruktion dient als Gerüst für verschiedene Spielgeräte wie eine Rutschbahn mit verwegenem Verlauf, nimmt aber auch das Spiele-Hus als Indoor-Spielplatz und ein Restaurant auf. Während die Kinder spielen und die Raumstruktur erkunden, genießen die Erwachsenen von den zahlreichen Plattformen herrliche Ausblicke auf das Meer, den Strand und die Salzwiesen. Umgeben ist das Haus von einer Parklandschaft mit Klettergeräten und Skaterbahn.
Als frei zum Spielen nutzbare Struktur erinnert das Erlebnis-Hus nicht nur an die benachbarten Pfahlbauten, sondern ein bisschen auch an ikonische Projekte der Architekturavantgarde aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – etwa den bekannten Entwurf New Babylon des niederländischen Künstlers Constant Nieuwenhuys, eine frei nutzbare Struktur aus Stützen, Plattformen und Leitern. Wie das Erlebnis-Hus sollte sie Menschen zum kreativen Spielen animieren und sie als Treffpunkt zusammenbringen.