Geduldig, geschätzt, gewinnend – ein Nachruf für Ieoh Ming Pei
Elias Baumgarten
22. Mai 2019
Ieoh Ming Pei an der Eröffnung des Osttraktes der National Gallery of Art in Washington, DC (Foto © Dennis Brack/Black Star, National Gallery of Art, Washington, Gallery Archives)
Ieoh Ming Pei war berühmt für sein Taktgefühl, seine Geduld und seinen gewinnenden Charme. Vorige Woche ist er in New York verstorben. Er hinterlässt ein reiches Œuvre mit grossartigen Bauten, die ihn weit über die Architekturszene hinaus berühmt gemacht haben.
«Architektur ist eine pragmatische Kunst. Freiheit im Ausdruck gibt es nur im Rahmen von Bewegung, Proportion und dem Genius Loci.»
Bereits mit 18 Jahren zog Ieoh Ming Pei von China in die Vereinigten Staaten. Dies nicht nur, um am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und in Harvard Architektur zu studieren, sondern auch, um dem kommunistischen Regime in seiner Heimat zu entfliehen. Während dem Studium lernte er Marcel Breuer und Walter Gropius kennen, die bald zu seinen wichtigsten Förderern wurden. Pei selbst nannte allerdings stets Le Corbusier als Impulsgeber und Inspiration für seine Arbeit. Mit seiner Architektur, die von strengen geometrischen Formen geprägt ist und virtuos mit dem Licht spielt, knüpfte er bei den Pionieren der Moderne an und entwickelte deren Sprache weiter.
Sie ist wohl Peis berühmtestes Werk: die Glaspyramide des Louvre in Paris. (Foto: Beau Wade via Wikimedia Commons)
Sanfte DurchsetzungskraftSeine Zeitgenoss*innen beschrieben Pei immer wieder als besonders angenehmen Menschen. Zwar sprach er zumeist nicht über Politik oder seine Familie, doch wurde er in einem fort als geistreicher Gesprächspartner dargestellt, der sich schwerlich aus der Ruhe bringen liess. Seine langjährige Sekretärin meinte einst, er habe in all den Jahren gemeinsamer Arbeit nicht einmal geflucht oder sich aufbrausend verhalten. Pei muss bescheiden wie zielstrebig gewesen sein. So sagte er selbst laut dem Kunsthistoriker Arnt Cobbers einmal: «In mir trage ich den grossen Wunsch, etwas hinterlassen zu wollen. Das hat nichts mit Ego zu tun. Ich glaube, man schuldet es der eigenen Existenz, etwas zu hinterlassen, das bleibt.» Zugleich konnte Pei seine Entwürfe auch gegen teils erhebliche Widerstände durchsetzen. Vielleicht auch wegen seiner sympathischen Art wurde er ein enger Vertrauter der Familie Kennedy. Infolgedessen erhielt er nach dem tragischen Tod John F. Kennedys den Auftrag, eine Gedenkbibliothek für diesen in Boston zu gestalten. Überhaupt stehen in den Vereinigten Staaten etliche seiner bekanntesten Bauten. Man denke hier etwa an das Rathaus und den Bau des örtlichen Symphonieorchesters im texanischen Dallas. Oder auch an den Westflügel des Kunstmuseums in Boston.
Das spektakuläre Hochhaus der Bank of China in Hongkong (Foto: Enoch Lau via Wikimedia Commons)
Wendepunkt1974 besuchte Pei, inzwischen bereits ein überaus erfolgreicher Architekt, China, das damals noch streng abgeschirmt war – wohl ein Wendepunkt in seinem Leben. Denn in der Folge setzte er sich intensiv mit seinen kulturellen Wurzeln auseinander. Obschon dereinst vor den Restriktionen in seiner Heimat geflohen, resultierten aus dem Aufenthalt neue Aufträge. So entwarf er vier Jahre später das Xiangshan-Hotel in Peking. Auch das imposante Hochhaus der Bank of China in Hongkong stammt aus seiner Feder. Der Bau prägt seither die Skyline der Stadt. Er demonstriert aber auch den Machtanspruch Chinas über die ehemalige britische Kronkolonie. Pei erhielt weitere Grossaufträge in Asien. So durfte er beispielsweise den Raffles-City-Turm in Singapur gestalten.
Eines der wohl berühmtesten Werke Peis jedoch steht in Europa: die Glaspyramide des Louvre in Paris (1993). Mit diesem eindrucksvollen Monument wurde der Gestalter weit über die Architekturszene hinaus berühmt. Entsprechend finden sich Würdigungen seines Lebenswerks dieser Tage nicht nur in der Fach-, sondern ebenso in allen Medien der Tagespresse. Allerdings brachte Pei sein modernistischer Stil zu Lebzeiten nicht nur Bewunderung, sondern auch einige Kritik ein. Er, der letzte Woche im hohen Alter von 102 Jahren starb, konnte bis zuletzt nicht von der Arbeit lassen. 2002 wurde nach seinen Plänen die Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums in Berlin fertiggestellt. 2008 entwarf er das Museum für islamische Kunst in Doha.
Für seine Arbeit wurde Pei mit zahlreichen Architekturpreisen bedacht. 1983 erhielt er den Pritzker-Preis, die wichtigste Auszeichnung für Architekt*innen. Zudem hatte er Ehrendoktorate unter anderem an den Universitäten von Harvard, New York, Pennsylvania, Massachusetts, Rochester, Columbia, Colorado, Hongkong sowie der American University of Paris inne.