Doppeltürme gewinnen
Susanna Koeberle
9. November 2020
Die «Norra Tornen» in Stockholm wurden von OMA entworfen. (Foto: Anders Bobert)
Mit einem ungewöhnlichen Hochhausentwurf in Stockholm gewinnt das niederländische Büro OMA (Office for Metropolitan Architecture) den Wettbewerb um das weltweit innovativste Hochhaus. Die Türme beeindruckten die Jury mit ihrer skulpturalen Qualität und ihrer städtebaulichen Setzung.
Die beiden Hochhäuser «Norra Tornen» (zu Deutsch «nördliche Türme») überzeugten die Jury des Internationalen Hochhaus Preises, den das Deutsche Architekturmuseum (DAM), die Stadt Frankfurt und die DekaBank vergeben, durch eine «zeitlos-wegweisende Architektur». Die Kombination aus qualitativ hochwertigen Betonfertigteilelementen, ihre geschickte Fügung zu individuellen Loggien und der Kontrast zu den feinen Details der Innenräume würden die Wohntürme auszeichnen, lobten die Juroren des mit 50 000 Euro und einer Statuette des Künstlers Thomas Demand dotierten Preises. Tatsächlich wechseln sich Balkone und würfelartige Module regelmässig ab, was den Bauten Plastizität, Spannung und Kraft verleiht.
Darüber hinaus leiste «Norra Tornen» mit seinem Erscheinungsbild einen wichtigen Beitrag zu einem stimmigen Stadtgefüge, liest man im Jurybericht. Die Doppeltürme seien Ausdruck einer gleichwertigen Gesellschaft, womit sie nicht nur ein Charakteristikum der schwedischen Kultur, sondern auch eine universelle Botschaft vermitteln.
Die Gebäude stehen in Stockholm am Übergang von Vasastaden, einem Wohnviertel mit Bebauung überwiegend aus den 1930er-Jahren, zum gerade neu entstehenden Stadtteil Hagastaden. Sie sind links und rechts der Ausfallstrasse Torsgatan positioniert und bilden eine imposante Torsituation. Man könne sie, findet die Jury, als neues Symbol der Stadt betrachten.
Die Hochhäuser von OMA sind städtebaulich gut eingefügt. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
DAM-Direktor Peter Cachola Schmal anerkennt die skulpturale Wirkung des Projekts. Ihn würden die Türme auch an Moshe Safdies «Habitat 67» in Montreal erinnern. Tatsächlich haben die Bauten gerade von weitem etwas von der Architektur der 1960er- oder 1970er-Jahre. Sogar eine entfernte Verwandtschaft mit den Zürcher Hardau-Hochhäusern (1976–1978) ist auszumachen.
Mit der erwähnten Torsituation greift die Anlage ein stadtgestalterisches Motiv auf, das in Stockholm mehrfach zu finden ist: Doppeltürme wurden in der schwedischen Hauptstadt schon wiederholt als symbolische Tore eingesetzt. Gleichzeitig nehmen die Häuser die bestehende bauliche Struktur der Stadt in ihrer Farbigkeit und anwachsenden Figur auf. Mit ihrem sanften Braunton fügen sie sich gut in die erdige Farbpalette Stockholms ein, die alle Schattierungen von Beige bis Rot abdeckt. Die Vermittlung zwischen Altem und Neuem ist einer ihrer grossen architektonischen Vorzüge.
Der Braunton der Türme im Abendlicht (Foto: Anders Bobert)
Die vorgefertigten Fassadenelemente erlaubten, die Baustelle auch bei unter fünf Grad Celsius fortzuführen. Zudem sparte die Vorfertigung viel Zeit: Nur eine Woche wurde zur Fertigstellung eines Stockwerks benötigt. Damit sanken auch die Kosten, was die differenzierte Fassadenbehandlung und die bewegten Oberflächen mit zahlreichen Vor- und Rücksprüngen wirtschaftlich überhaupt erst möglich machte.
Aufgrund der Massnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland bleibt das DAM bis voraussichtlich Ende November 2020 geschlossen. Der Katalog zur Ausstellung ist beim jovis-Verlag erschienen.
Best Highrises 2020/21
Peter Körner, Stefanie Lampe, Jonas Malzahn und Peter Cachola Schmal (Hrsg.)
210 x 270 Millimeter
152 Seiten
Klappenbroschur
ISBN 9783868596441
jovis