Die Kunst, die Design in den Schatten stellt

Susanna Koeberle
12. April 2019
Die Installation «Weawing the Cosmos» von Tomás Saraceno für Bvlgari ist bis Sonntag zu sehen. Bild: zvg

Schlange stehen war das übergeordnete Motto des diesjährigen Salones. Dass dies bei besonderes erfolgreichen Ausstellungen am Wochenende zuweilen der Fall war, ist bekannt. Aber schon während der Preview mussten sich Besucher*innen geduldig zeigen. Da nützte jede Strategie nichts, ums Anstehen kam niemand herum, der sich einzelne Präsentationen anschauen wollte. Während ich so etwas grundsätzlich nicht mitmache (es gibt ja am Fuorisalone so viel zu sehen, dass man seine Zeit nicht mit Warten verbringen möchte), «musste» auch ich eine Ausnahme machen: beim Kunstwerk «Weaving the Cosmos», das der argentinische Künstler Tomás Saraceno für Bvlgari schuf. 

Ich stellte mich also wie ein deppertes Groupie in die Schlange und wartete brav, bis auch ich das Sanktuarium betreten konnte. Ein Besuch dieses architektonischen Juwels würde sich sogar ohne Kunst lohnen. Das «Planetario Ulrico Hoepli» (nach seinem Stifter benannt, dem Schweizer Verleger Johan Ulrich Hoepli) ist ein Entwurf des Mailänder Architekten Piero Portaluppi (1888 – 1967). Mit seiner Architektur hat Portaluppi das Stadtbild Mailands stark geprägt. Das Planetarium, 1930 erbaut, befindet sich bei der Porta Venezia am Rande eines grossen Parks.  Das römische Schmuckhaus wird die Restauration der 330 originalen Sitzplätze im Planetarium finanzieren. Der Bau sei nämlich Inspiration für das Mailänder Geschäft von Bvlgari in der Via Montenapoleone gewesen, begründet die historische Marke ihr Engagement. Und macht mit der spektakulären Installation von Saraceno der Stadt Mailand gleich noch ein Geschenk. Das zugleich eines der Highlights des diesjährigen Salones ist.

Das «Planetario Ulrico Hoepli» von Piero Portaluppi aus 1930. Bild: lagirandolamilanese

Durch die Installation wird der Bau zum Schauplatz einer erweiterten kosmischen Offenbarung. Dies, indem die Installation Design, Kunst und Wissenschaft miteinander verknüpft. Ausgehend von der Tatsache, dass das irdische Gold von einem kosmischen Meteoritenregen stammt, lud Bvlgari den Künstler dazu ein, im Planetarium einen Dialog zwischen dem Universum und unserem Planeten zu schaffen. Saraceno arbeitet schon seit Längerem mit Spinnen und erforscht in seinem Atelier in Berlin die Bauweise von Spinnennetzen. Ihm fiel dabei auf, dass Spinnennetze und Galaxien eine ähnliche Struktur besitzen; man könnte für diese Gebilde beinahe das Wort Architektur verwenden. Für seine Spinneninstallationen lässt er jeweils verschiedene Spinnenarten zusammen arbeiten. Was daraus entsteht, sind komplexe Strukturen, welche die Wunder der Natur vorführen und dadurch Betrachter*innen auch für die Schönheit dieser Erde sensibilisieren. Auch in Milano hat Saracenos «Spinnenteam» fleissig gearbeitet und webt auch während der Dauer der Installation weiter an den wundersamen Netzen.

Nachdem die Besucher*innen instruiert werden, wie sie sich im dunklen Raum zu verhalten haben, dürfen sie das Innere des Planetariums betreten. Die Augen müssen sich zuerst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann entdecke ich staunend die verschiedenen Weben, die gezielt beleuchtet werden, damit man sie überhaupt erkennt. Nach all dem menschgemachten Design erscheinen Spinnen als die weitaus genialeren Gestalterinnen. Ihre Netze sind nicht nur von überirischer Schönheit, sondern sind zudem auch äusserst stabil, wie ich hier im Planetarium erfahre. Und beginnt mal man über Spinnennetze nachzulesen, kommt man nicht mehr aus dem Staunen heraus. Dazu erklingen im Raum Geräusche, nämlich Verstärkungen der Töne, welche die Gewebe von sich geben. Spinnen orientieren sich über Vibrationen in der Luft und auf ihren Netzten. Sie sind beinahe blind. Wir Menschen aber betrachten diese Kunstwerke, darüber schimmern an der Kuppel die Sternlein. So fühlt sich die Versöhnung zwischen dem Universum und der Erde an.

Auf die Idee, Spinnen als Künstlerinnen zu verstehen, kann nur jemand kommen, der selber etwas spinnt. Tomás Saraceno ist aber weitaus mehr als ein Künstler, der irgendwelche Spinnereien produziert. Seine Utopien zeigen auch, dass es mit der Überlegenheit des Menschen eben nicht weit her ist. Und in Milano zeigt Saracenos kosmische Spinneninstallation zudem, wie relativ doch «Probleme» wie Design sein können.

Die Spinnweben sind spärlich beleuchtet. Bild: zvg

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