Ab aufs Feld!
Susanna Koeberle
19. Juni 2019
Die Kombination von Beton und Holz funktioniert. (Foto: Susanna Koeberle)
Das neu eröffnete Lokal «Campo» im einstigen Durchgang des Amtshauses beim Helvetiaplatz in Zürich ist eine gelungene Kombination von mediterran, skandinavisch und brasilianisch.
Öffentliche Plätze in Zürich haben einen schweren Stand. Zum einen gibt es wenige davon, zum anderen pflegt die Stadt keine mit Dolce-far-niente-Kultur. Zürcher*innen sind schlichtweg zu beschäftigt für süsses Nichtstun. Der Helvetiaplatz im Kreis 4 nimmt unter den Plätzen Zürichs eine Sonderrolle ein. Zum Beispiel findet dort zwei Mal wöchentlich der «Helvetiaplatzmarkt» statt. Dann kommt Leben auf den sonst eher leeren Platz! Die vielen Stände prall gefüllt mit Blumen, Gemüse, Käse oder anderen Frischwaren versprühen wieder die Italianità, die der Platz, mitten im ehemaligen Arbeiterquartier gelegen, bereits früher hatte (heute zählt die Gegend zu den gentrifizierten Quartieren der Stadt). Der Helvetiaplatz steht auch symbolisch für die Arbeiterbewegung. Am Tag der Arbeit, dem 1. Mai, finden hier Kundgebungen und Reden statt. Für diese politische Bedeutung steht Karl Geisers Skulptur «Denkmal der Arbeit». Das Amtshaus, das den Platz auf seiner Breitseite abschliesst, ist ein typisches Beispiel der Nachkriegsmoderne der 1960er- Jahre. Kürzlich wurden die Bauarbeiten zur Instandsetzung des Baus abgeschlossen. Kurz darauf gab es eine Neuerung zu entdecken, nämlich das Lokal «Campo».
Brasilien trifft Skandinavien. (Foto: Susanna Koeberle)
Der frühere Durchgang des Amtshauses wurde geschlossen und zu einem Gastrobetrieb umgewandelt. Mit dem Restaurant im Volkshaus und der «Bank» gibt es auf dem Helvetiaplatz schon zwei gut besuchte Lokale, zumindest an Markttagen muss man im Sommer meist ins Innere flüchten, so überfüllt sind die Tische draussen. Seit der Übernahme durch die Bindella Unternehmungen hat das zweite im Innern allerdings eindeutig an Charme und Coolness verloren. Zwei Attribute, die auf das neu eröffnete Lokal zutreffen. Pächterin ist die Raumzuerich GmbH, bekannt für Lokale wie etwa das «Stanza», das «Silosilo», das «Hotel Rivington & Sons» oder die kürzlich eröffnete «Bar45». Und nun also das «Campo». Was wieder zur Italianità zurückführt. Campo heisst auf Italienisch Feld, aber auch Platz, wie in campo da gioco für Spielplatz. Als Koch haben die Betreiber den Italiener Massimo Ceresi geholt, der einer Metzgerfamilie aus der Nähe von Bologna entstammt. Das Kosten seines Ragùs (zu Schweizerisch «Bolo», eine absolut schreckliche Bezeichnung) steht noch auf dem Programm – als Tochter einer aus Bologna stammenden Italienerin ein Muss. Der Kaffee schmeckt, die Bedienung ist nett (keine Selbstverständlichkeit in Zürich). Das Interieur aber ist eine Offenbarung!
Und hier wird auch nicht mit Referenzen und Reverenzen (nicht dasselbe) gespart: Auf Le Corbusier wird auf der Webseite verwiesen, auf Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret, auf Brasilien (ohne Namen) sowie auf den (eher unbekannten, aber bedeutenden) schwedischen Architekten und Designer Axel Einar Hjorth. Wow! Man versteht als Besucherin aber auch ohne diesen Beipackzettel, dass das Lokal schön ist. Schlicht und einfach: schön. Holz dominiert, etwa beim langen Tresen, gefertigt vom Hausschreiner aus Bergamo. Das solide Teil schafft eine ruhige und wohltuend unaufgeregte Optik. Lamellen aus Douglasienholz prägen die Atmosphäre, ergänzt durch den beim Bau dominierenden Werkstoff Beton. Farblich setzen die Gestalter dieses Bijous auf einen dezenten Olivegrünton. Die beiden für Konzept und Interieur zuständigen Betreiber Jonas Herde und Livio Notaro haben für die Innenausstattung mit dem Architekten Philippe Stuebi zusammengearbeitet.
Ein Gummibaum gehört heute in jedes Interieur, das Gewächs bringt aber einen zusätzlichen Touch 1960er-Jahre in die Bude. Kurze Fussnote: Es ist schon lustig, wie sich unsere Wahrnehmung bezüglich Pflanzen im Innenraum geändert hat. Was lange als miefig galt, ist heute hip. Zum Glück hat man hier «geschleckte» Details weggelassen und vielmehr rohe, einfache Materialien verwendet. So etwa bei den mit Seegras bezogenen Stühlen und Hockern aus der Dordogne. Wie sich der Raum auf den formschönen Sitzgelegenheiten weilend dann in der kälteren Jahreszeit anfühlt, wird sich im Herbst zeigen. Ein ganz neuer Blick auf den Helvetiaplatz ist dabei garantiert.