18 Fluchtwege

Susanna Koeberle
13. Februar 2018
Das Buch «Ways to Escape One's Former Country» vom Künstlerduo Baltensperger + Siepert. Bild: zvg

Das Zürcher Künstlerduo Baltensperger + Siepert beschäftigt sich schon seit 10 Jahren mit dem Thema Postkolonialismus. Ein zentraler Aspekt, der sie dabei interessiert, ist Migration. Mit ihrem Buch «Ways to Escape One’s Former Country – Ein Handbuch zur ungewissen Migration» haben sie ein neues Werk geschaffen, das sich diesem Phänomen widmet. Die Texte berichten in kurzer und prägnanter Form über Fluchtwege nach Europa. Im Gespräch beantworten sie Fragen zum Buch.

Was war der Ausgangspunkt für dieses Projekt?
Wir haben uns überlegt, wie man heute noch über das Thema Flucht reden kann, ohne ein Stigma zu produzieren. Flüchtende sind in erster Linie Menschen, die sich von A nach B bewegen. Sie wollen als Menschen wahrgenommen werden und nicht als «Flüchtlinge». Unsere Wahrnehmung der Flüchtenden ist stark durch die Berichterstattung der Medien beeinflusst; das führt dazu, dass uns die Schicksale dieser Menschen häufig nicht mehr berühren. Unser Buch stellt diesem Umstand ein literarisches Experiment gegenüber.

Wie widerspiegelt sich dieses Experiment im Text?
Er basiert zwar auf Interviews, die wir mit asylsuchenden Personen in der Schweiz geführt haben. Doch durch den Wechsel der Perspektive und die direkte Anrede geschieht etwas Besonderes: Wir löschen das Subjekt der flüchtenden Person und schaffen ein neues, nämlich die Leser des Buches. Dadurch brechen wir die Distanz zum Thema auf.

 

Das Buch ist dreisprachig und beschreibt 18 mögliche Routen.

Wie kann dadurch unser Blick auf das Thema verändert werden?
Beim Lesen geschieht eine unmittelbare Erfahrung. Wir möchten Einsicht geben in Spuren, denen man gedanklich folgen kann. Diese neuen Spuren können etwas verändern. Dieses Phänomen kennen wir ja aus den Medien. Obwohl wir etwas nicht erlebt haben, glauben wir daran. Wir gehen den umgekehrten Weg, indem wir bei der Fiktion beginnen und dadurch eine neue Sicht auf die Realität schaffen.

Inwiefern unterscheidet sich das Konzept der Spur von demjenigen des Territoriums?
Das Territorium erscheint als statisch und fix, auch wenn es das in Wirklichkeit nicht ist. Die Spur ist offen und fragil. Jede Handlung schafft eine neue Spur. Wir beziehen uns dabei auch auf Texte von Edouard Glissant.

Ihr beschreibt Flucht als souveräne Handlung. Ist das so?
Ja, wir verstehen den Akt des Flüchtens als politischen Ungehorsam, bei welchem die Menschen versuchen, Herr der Lage zu werden, ihre eigene Vision zu verfolgen. Das ganze Leben kann als Irrfahrt betrachtet werden. Die Frage ist, welchen Spuren wir folgen.

​Das kostenlose Buch ist in ausgesuchten Buchhandlungen sowie auf der Webseite der Künstler erhältlich.

David Siepert (rechts) und Stefan Baltensperger beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit dem Thema Postkolonialismus. Bild: Juventino Mateo Leon

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