Zwicky-Areal: Seidenfäden neu gezwirnt
Inge Beckel
26. November 2015
Das Zwicky-Areal wird neu «besponnen»: lebendiges Quartier statt Seidenfadenproduktion. Bild: ib.
Städtebaulich sind es wahrlich keine Filetstücke. Ein Bahntrassee führt auch übers Gelände. Derzeit aber wird kräftig gebaut aufm Zwicky-Areal, sollen doch bis 2019 alle 1040 Wohnungen, Hotel-, Gewerbe-, Büro-, Laden- und Gastroflächen bereit sein.
Die Baufelder liegen zwischen der Überlandstrasse und der Neugutstrasse in Wallisellen. Es war im Jahre 1839, als der Regierungsrat der damaligen Spinnerei Brecker-Locher das Recht erteilte, das Wasser des Chriesbachs für den Betrieb zu nutzen. 1902 kam unter Fritz Zwicky-Guggenbühl eine grosse Zwirnerei dazu, die 1960 durch den Erfolg, auch im Export, erweitert werden musste. In der Schweiz, so heisst es, kannte jede Hausfrau den Namen Zwicky; und von Schweden bis Südafrika wurde die Qualität dieser Nähfäden geschätzt.
Im Jahre 1973 aber erfolgten erste Einschnitte in den bis dahin florierenden Betrieb. Nicht primär von wirtschaftlicher Seite. Es war vielmehr der Bau von Autobahnen im Norden und im Westen des Fabrikareals, der eine erhebliche Absenkung der umliegenden Bäche bewirkte und damit ein Verlust der Wasserkraft. In den 1980er-Jahren kam der S-Bahn-Viadukt dazu. In den 1990er-Jahren schliesslich wurde die Konkurrenz aus den Billiglohnländern zu stark – die grössten Kunden kauften den Faden nicht mehr in der Schweiz. Die Produktion wurde sukzessive stillgelegt, die Umnutzung eingeleitet.
2007 entstehen im alten Verwaltungsgebäude die ersten Wohnungen und Lofts. 2012 wird der revidierte private Gestaltungsplan von Zanoni Architekten rechtskräftig. Seither wird gebaut.
Situationsmodell Zwicky-Areal. Bild: Zanoni Architekten, Zürich.
Wer über den Ausbaustandard entscheidet
An zwei Abenden während der «neuen räume» in Zürich Oerlikon wurde letzte Woche über das Zwicky-Areal diskutiert. Die von Wüest & Partner organisierten Podien galten thematisch einmal dem Entstehen eines Stücks Stadt und dann der Mieterschaft, konkret: Mieter zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Denn Mieter beziehen fertige Wohnungen. Wünsche bezüglich ihrer räumlichen Ausgestaltung oder zu Fragen der Materialien und Farben können sie nicht anbringen. Wer also entscheidet für sie? Wie gehen Verantwortliche vor? Das waren die Fragen vom Freitagabend – mit Marc Derron, Chief Construction Officer bei Pensimo Management, Johannes Eisenhut von Senn Development, dem Architekten Lorenzo Giuliani von Giuliani Hönger – verantwortlich für Baufeld A – und Claudia Thiesen von der Genossenschaft Kraftwerk1, eine der auf dem Areal tätigen Bauträgerschaften. Moderatorin war Olivia Bosshart von Kion.
Bei Senn Development wird es Varianten geben, aus denen die künftigen Mieterinnen aussuchen können. So hat die Firma neben den Architekten, in ihrem Fall Schneider Studer Primas, eine Innenarchitektin zur Ausgestaltung eines Wohnungstyps beigezogen, Pascale Sutter. Bei Kraftwerk1 ist es die Planungskommission, die bezüglich des Ausbaus Entscheidungskompetenz und -verantwortung trägt. Basisdemokratisch werden konzeptionelle Fragen entschieden, meinte Thiesen, nicht die Farbe der Plättli. Bei Pensimo greift man auf die Erfahrung der Verwaltungen zurück und die Rückmeldungen, die aus der Mieterschaft kommen. Generell gelte, so Derron, dass in urbanen Gegenden experimenteller gearbeitet werde. Die ländliche Mieterschaft setzte stärker auf einen «soliden Hintergrund». Der Architekt in der Runde verwies auf die beschränkten finanziellen Mittel, die die Möglichkeiten im Mietwohnungsbau relativ stark eingrenzten. Dabei würden sie lieber auf räumliche Qualitäten der Wohnungen achten, auf gute Belichtung, als auf teure Materialien.
Umbau und Aufstockung Kleine Färberei, Zwicky-Areal, Zanoni Architekten. Bild: Zanoni Architekten, Zürich.
Keine Bricolage
Marc Derron sagte, er staune zuweilen, wie Mieter und Mieterinnen sich einrichteten. Sie auf dem Podium seien alles Fachleute. Es gelte, sich hinsichtlich dem Ausbau von Wohnungen zurückzuhalten. Und Claudia Thiesen fragte, was Leute denn glücklich mache? Auf die einzelnen Geschmäcker könne man nicht eingehen, doch müsse die Gesamtheit des Angebots stimmen. Wozu die soziale Durchmischung zählt, die Qualität der Aussenräume und natürlich der Mietpreis.
Ja, welches sind die Bedürfnisse der Mietenden? In Deutschland oder den Niederlanden beispielsweise ist die so genannte Rohbaumiete gang und gäbe. Was heisst, dass Nasszellen und Küche nicht fertig ausgebaut sind. Jedenfalls für die Küche müssen Mieter den Kochherd, Backofen, den Geschirrspüler und die Schränke selber mitnehmen. Oder jene der Vormieterin abkaufen. Das Podium war sich grundsätzlich einig, dass diese Rohbaumiete für die Schweiz wenig tauglich sei. Man denke nur schon an die Ecken und Abdeckleisten, die durch unterschiedliche, individuell mitgebrachte Einbaumöbel und Küchengeräte nicht übereinstimmen würden und unschöne Details ergäben, meinte Eisenhut.
Investoren und Architeken also ziehen den höheren Ausbaustandard, der einheitlich gegeben ist, einem individuelleren Bricolage-Ansatz vor, wo sicherlich teils unperfektes, aber den Mieterinnen näheres, weil persönliches Basteln die Situation prägt.
Mietwohnungen Haus 1, Teilgebiet E, Schneider Studer Primas Architekten, Zürich. Bild: Senn IFA AG, St. Gallen.
Mehr Qualität denn Quantität
Damit aber sind die Vorstellungen und mit ihnen Vorgaben der Entscheidungsträger zentral. In dem Sinne ist die Forderung von Derron schon Ernst zu nehmen, dass man eigene Vorlieben tendenziell zurücknimmt und der Mieterschaft genügend Raum für die Ausgestaltung ihrer letztlich «eigenen» vier Wände lässt. Wo also sind die Grenzen der Gestaltung?
Generell ist unbestritten, dass insgesamt «gute» Wohnungen sich leichter vermieten lassen als weniger gute. Dies vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. So berichtete Lorenzo Giuliani vom Engadin, wo sich der Markt infolge der Zweitwohnungsinitiative verändert hat und heute viele Wohnungen leer stehen. Und es sind die qualitativ guten, die schneller vermietet sind. Eisenhut ergänzte, dass man heute und in Zukunft nicht mehr allein mit Quantität – also mit «mehr» – punkten könne. Denn die Wohnungen können nicht noch grösser werden. Es seien, gaben die Anwesenden zu bedenken, nicht primär die Wünsche der Mieterschaft gewesen, die die Wohnugen in den letzten Jahrzehnten immer grösser werden liessen – sondern vor allem jene der Investoren.
Doch der Wendepunkt ist erreicht – ja, überschritten. Die Herausforderung liegt heute darin, die Qualität pro Quadratmeter zu erhöhen, nicht die Quadratmeterzahl selbst. Die Frage, wieviel man weglassen kann, hat auch die Genossenschaft Kraftwerk1 beschäftigt. Überhaupt war man sich darin einig, dass die Genossenschaften den Wohnungsbau positiv beeinflusst haben. Denn heute gehts um Qualität mehr denn Quantität. Auch hierzulande muss Wohnen wieder günstiger werden.
Übersichtsplan Zwicky-Areal, Planungsstand 2015. Bild: Zanoni Architekten, Zürich.
Legende zum Übersichtsplan:
A_Zwicky Zentrum
Zwicky & Co. mit Zanoni Architekten
Halter mit Giuliani Hönger Architekten
Halter mit Zanoni Architekten
B_Seidenplatz
Halter mit Ramser Schmid Architekten
C_Weidholz
Swisscanto Anlagestiftung mit Spühler Partner Architekten
D_Riedgarten
Zwicky & Co. mit Localarchitecture
E_Zwicky Süd
Bau- und Wohngemeinschaft Kraftwerk1 mit Schneider Studer Primas Architekten
Pensimo Management mit Schneider Studer Primas Architekten
Senn Development mit Schneider Studer Primas Architekten
F_Neugut
AXA Investment Managers Schweiz mit Fischer Architekten
Mehr zum Zwicky-Areal generell, hier.