Victor Papanek: The Politics of Design
Susanna Koeberle
11. Oktober 2018
Medieninstallation im ersten Raum der Schau. Installationsansicht © Vitra Design Museum, Foto: Norbert Miguletz
Eine Ausstellung im Vitra Design Museum zeigt die Aktualität des österreichischen Designers, Autors und Aktivisten Victor Papanek.
Der Name Victor Papanek (1923 – 1998) ist nur wenigen ein Begriff. Dies obwohl sein Schlüsselwerk Design for the real World (1970) zu den meist gelesenen Publikationen über Design gehört und in über 20 Sprachen übersetzt wurde. Das Buch erschien zwar vor über 40 Jahren, doch sind Victor Papaneks Gedanken heute relevanter denn je. Warum das so ist, zeigt zurzeit eine Ausstellung im Vitra Design Museum. Wer war Victor J. Papanek? Und was macht die Ideen dieses Designdenkers gerade heute so aktuell? Die Antwort auf diese Fragen versucht die Schau mit unterschiedlichen räumlichen Installationen und thematischen Präsentationen zu liefern, die sowohl sein Leben und seine Zeit wie auch seinen Einfluss auf damalige Schüler und Schülerinnen und auf den heutigen Designdiskurs beleuchten. Dabei liegt die besondere Leistung der Ausstellung darin, beide Ebenen (die historische und die thematische) auf spannende Weise miteienander zu verbinden und für unterschiedliche Interessensgruppen zugänglich zu machen.
Victor J. Papanek »Tetrakaidecahedral«, 1973-1975 (movable playground structure, designed with a student, parents, teachers and children) © University of Applied Arts Vienna, Victor J. Papanek Foundation
Eine schillernde Figur
1939 gelingt dem jungen Papanek zusammen mit seiner Mutter die Flucht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Aus gutbürgerlichem Hause stammend, wird er in den USA mit anderen Realitäten konfrontiert und lebt zu Beginn in ärmlichen Verhältnissen. Er schlägt zunächst eine klassische Laufbahn als Industriedesigner ein, bevor er in den 1960er-Jahren eine konsumkritische Haltung entwickelt. Mit dieser war er in der von Umbrüchen geprägten Zeit sicher nicht der Einzige, doch keiner kritisierte den Beruf des Designers so radikal wie er. «Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht», lautet ein Satz aus dem Vorwort zu Design for the Real World. Dennoch will Papanek nichts Geringeres, als mit Design die Welt retten. Was bedeutet das für die Disziplin Design?
Während eine erste immersive Medieninstallation Einblick in Papaneks Welt gibt, konzentriert sich der nächste Raum der Schau auf sein Leben. Verschiedene Dokumente stammen aus seinem Nachlass, der sich in der Victor J. Papanek Foundation an der Universität für angewandte Kunst in Wien befindet. Dazu gehören Notizbücher, Briefe, Dias, Möbel oder Bücher aus seiner Bibliothek. Auch Stücke aus seiner umfangreichen Sammlung ethnologischer Objekte sind zu sehen. Papanek reiste viel und gern. Er dozierte auch an verschiedenen Schulen ausserhalb der USA. Das Unterrichten und seine Tätigkeit als Vermittler sind zentrale Aspekte seines Werks. Dazu gehört etwa auch das Moderieren einer Sendereihe über Design, die in den ganzen USA im Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Victor J. Papanek filming the WNED-TV Channel 17 programme Design Dimensions in Buffalo, NY, 1961 – 1963 © WNED-TV, courtesy Victor J. Papanek Foundation
Design heisst Verantwortung
Unter Design versteht Papanek nicht lediglich das Entwerfen von Produkten. Für ihn ist Design ein politisches Werkzeug, das unser Denken und unseren Alltag nachhaltig verändern kann. Schon früh konzentriert er seine Überlegungen auf Minderheiten (sowohl in seinem Land wie auch in der «Dritten Welt», wie man den globalen Süden damals nannte) und zeigt damit auf, dass die Vorstellung einer Norm eigentlich eine Fiktion ist. Wer ist hier normal?, fragt er sich. Die Antwort: niemand. Ein ganz banales Beispiel: Wieso denken Gestalter beim Entwerfen nicht an kleine Menschen? Oder an Menschen mit (auch temporären) Beeinträchtigungen? Und so weiter und so fort. Die Zielgruppe «Minderheiten» wird plötzlich relativ – oder inexistent! Das führt ein Raum vor, in dem Papaneks Hauptthemen behandelt werden. Hier begegnet man erstmals auch heutigen Exponaten, die sich mit papanekschen Fragen wie Konsumkritik, Minderheiten oder Do-it-yourself auseinandersetzen.
Gerade der zeitgenössische Designdiskurs mit Themen wie do-it- yourself, user-centred design, co-design, life cycle design oder customization zeigt, wie stark Papaneks Ideen nachwirken. Zudem sind viele Probleme, die schon damals akut waren, leider immer noch ungelöst. Schlimmer: Sie scheinen mit der Globalisierung noch akuter geworden zu sein. Klimaerwärmung, Ressourcenknappheit oder soziale Ungerechtigkeit zwingen uns umzudenken. Das kann bei ganz einfachen Fragen beginnen: Brauche ich das wirklich? Was passiert nach dem Gebrauch eines Gegenstandes? Aber Designer müssen sich vielleicht auch unbequemen Fragen stellen: Woher kommt das Geld, mit dem wir die Welt retten wollen?
Design ist ein grosses System und bedeutet lange Prozesse. Prozesse, die man nur gemeinsam angehen und vorantreiben kann. Papanek selber arbeitete immer im Team. Und war selbstverständlich auch von Arbeiten seinen Zeitgenossen beeinflusst – auch wenn er teilweise zu anderen Resultaten gelangte. Zu diesen Figuren gehören etwa der Architekt und Designer Richard Buckminster Fuller oder die Gruppe Global Tools. Der letzte, obere Raum der Schau widmet sich diesem «grossen Ganzen». Verschiedene Tische mit Objekten bringen dem Publikum unterschiedliche Themen näher. Auch hier sind neuere Arbeiten vertreten. Die Fülle von Themen lässt sich auch in Workshops, Vorträgen und Diskussionen vertiefen, die während der Dauer der Ausstellung stattfinden. Eine Publikation gibt ebenfalls Gelegenheit zu einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Thematik. «Design ist niemals stumm», sagt Papanek. Das zeigt die Ausstellung im Vitra Design Museum sehr schön.