Unbequem

Elias Baumgarten
27. Februar 2019
Christoph Mäcklers Buch ist als Kritik und Gegenvorschlag zum aktuellen Städtebau zu verstehen. (Foto: Elias Baumgarten)

«Wir können die Stadt, die wir lieben, nicht mehr bauen», wehklagte Hans Kollhoff schon vor Jahren. Auch Christoph Mäckler ist energischer Kritiker des zeitgenössischen Städtebaus. Er unterrichtete über Jahrzehnte an der TU Dortmund und hat im Vorjahr sein Deutsches Institut für Stadtbaukunst nach Frankfurt am Main verlegt. Für ihn gibt es heute fast nur Stadtplanung ohne Ehrgeiz. Mit «Stadtbaukunst» möchte er Alternativen und Auswege aufzeigen. Das 2018 erschienene Buch ist auch als Beitrag zu einer verbissen geführten bundesdeutschen Debatte in Architektur und Städtebau zu verstehen, bei der sich – stark heruntergebrochen – Modernisten und Traditionalisten unversöhnlich gegenüberstehen. Sie erreichte mit der heftigen Diskussion um die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt einen Höhepunkt. Christoph Mäckler gehört dabei zu jenen, die vom Potenzial althergebrachter Formensprache und Konfigurationen für die Gestaltung zeitgemässer Quartiere überzeugt sind. Mehr noch: Für ihn sind sie, das zeigt «Stadtbaukunst», der Schlüssel zu lebenswerten Vierteln. Das macht sein Buch strittig.

Verlust

Doch der Reihe nach: Jenes beginnt mit einer kritischen Bestandsaufnahme des Status quo. Seit der 68er-Bewegung, schreibt er in der Einleitung angriffig, sei der Städtebau zur Planung verkommen. Man habe damals geglaubt, die architektonische Ausgestaltung des Stadtraums durch sozialpolitische Handlungsweisen ersetzen zu können. Das habe uns einen «stadträumlichen Dilettantismus» eingebracht, der sich bis heute allerorts in neu gebauten Quartieren zeige. Den öffentlichen Strassen und Plätzen fehle leider oft der «architektonisch-städtische Raum»; den Häusern gehe eine gute soziale wie funktionale Mischung ab. Doch vor allem mangle es den Planer*innen am architektonischen Grundwissen, um ihre Bauten überzeugend in den Stadtkörper zu integrieren. Konkreter: Es würden, so Christoph Mäckler, nur noch Solitäre auf übergossen Baufeldern entstehen und kaum jemand gebe etwas auf die Gestaltung des Raumes dazwischen, der nur als Restfläche behandelt werde.

Foto: Elias Baumgarten
Forderungen

Christoph Mäckler belässt es aber nicht beim Kritisieren, sondern präsentiert einen Katalog an Zielen für den künftigen Städtebau. Diese sind recht allgemein abgefasst und daher als Richtlinien zu verstehen. Er tritt ein für einen öffentlichen Raum, gefasst von Stadthäusern mit «schönen Fassaden». Denn nur letztere, so argumentiert er, hätten die Qualität, «urbane Heimat» zu erzeugen, Identität zu stiften und würden kontinuierlich im Wert steigen. Hier macht sich der Haken an seiner Argumentation bemerkbar: Sie basiert auf der fixen Idee, dass Menschen Europas Altstädte – oder besser: ein bestimmtes Bild davon – durch die Bank als schön empfinden. Hinterfragt wird diese im Buch leider zu keinem Zeitpunkt.

Mit Elementen wie Erker und Balkonen, die heute eher selten Anwendung finden, soll der Übergang zwischen der Privatheit und Intimität der Wohnung und der Öffentlichkeit des Strassenraums ausgestaltet werden. Jene vermisst Mäckler an den glatten Fassaden und Häuserfronten, die derzeit häufig entstehen, schmerzlich. Auch in Bezug auf die Verkehrsplanung fordert er einen Paradigmenwechsel: Künftig sollen keine Stadtautobahnen mehr entstehen, sondern -strassen. Es sei an der Zeit, den Autoverkehr (wieder) Quartieren mit Aussenräumen von hoher Aufenthaltsqualität unterzuordnen. Wichtig ist ihm überdies, die soziale und ethnische Durchmischung der Viertel sicherzustellen und gegen die Zersiedelung vorzugehen. Arbeiten und Wohnen müssten ferner, so schreibt er, in zeitgemässen Stadtquartieren zugleich möglich sein.

Bilder als Medizin

Vieles davon überzeugt. Wie aber lassen sich die ausgegebenen Ziele erreichen? Darauf gibt der zweite Teil des Buches Antworten – die allerdings dürften nicht allen gefallen. Neben sorgfältig dokumentierten Analysen, welche die Vorzüge und das Potenzial historischer Beispiele aufzeigen sollen und ein wichtiger Bestandteil der Lehre Mäcklers sind, werden zahllose Arbeiten der Student*innen des Instituts für Stadtbaukunst mit Texten, Plänen und Visualisierungen vorgestellt. Die Stadthäuser und grossen Anlagen sind gestalterisch qualitätsvoll, doch sprechen sie eine oft sehr traditionelle Architektursprache oder sind Neuinterpretationen einer solchen. Damit soll vermutlich ein bestimmtes Bild gezeichnet werden, von dem der Autor, wie schon angetönt, annimmt, es würde gemeinhin als schön empfunden und bringe ein hohes Mass an Lebensqualität. Was dabei zunächst wie selbstverständlich wirkt, bleibt ein Konstrukt. Und dass – nebenbei bemerkt – noch viele andere Kriterien wie Sicherheit, Freizeit- und Kulturangebot, Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum, Arbeitsmarkt, Hygiene und vieles mehr für die Attraktivität einer Stadt matchentscheidend sind, gerät gänzlich in den Hintergrund. Ob es indes in der Gestaltung tatsächlich altmodischer Formen bedarf, um Christoph Mäcklers Forderungen zu entsprechen, sei dahingestellt. 

Stadtbaukunst

Stadtbaukunst
Christoph Mäckler

210 x 250 Millimeter
520 Seiten
900 Illustrationen
Hardcover
ISBN 9783869226989
DOM publishers
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