Träumereien

Jenny Keller
27. Oktober 2016
Austellungsansicht «Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Man sieht filigrane Modelle, hört Umgebungsgeräusche, wie das Rauschen von Wasser, Zirkusmusik oder das Klappern von Absätzen auf dem Asphalt. Im Feuerwehrhaus von Zaha Hadid auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein sind aktuell 14 «spekulative Konzepte zur Stadtentwicklung» zu sehen. Auf parallel angeordneten Metalltischen sind die Ideen von Ronan und Erwan Bouroullec zur besseren Gestaltung unserer Städte zu finden, an die Wand werden zwei Filme, auf denen wieder die Modelle zu sehen sind, projiziert. Kleine Leuchtgirlanden bringen etwas Jahrmarktatmosphäre und Stimmung in die kalte Sichtbetonhalle, in der für kurze Zeit Feuerwehrautos standen und die danach als erstes gebautes Werk von Zaha Hadid berühmt wurde. Hier sollen nun regelmässig kostenlose Ausstellungen gezeigt werden.

«Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Natur in der Stadt
Das Ausstellungsdesign von «Rêveries Urbaines» stammt auch von den Bouroullecs, und sie soll bezwecken, dass man sich die Modelle individuell anschaut, so dass jeder Besucher sich eine eigene Collage herstellen kann. Ronan und Erwan Bouroullec schlagen vor, natürliche Elemente in die Stadt zurückzubringen und durch einfache Vorschläge das Zusammenleben, das sich verändert habe, neu zu gestalten. Die Funktionen der Stadt müssten wieder zusammengebracht werden. Inspiration waren ihnen italienische Städte, wo Möblierung und Bepflanzung harmoniere und es eine Wohltat sei, spazieren zu gehen. In Syrakus stelle man einfach grosse Blumentöpfe auf die Strasse, die mit Zitronenbäumen bepflanzt werden, sagte Ronan Bouroullec anlässlich der Ausstellungseröffnung.

«Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Die Vorschläge reichen von einem Cheminée in der Stadt, als transportable Feuerstellen und Ort der Zusammenkunft, über Wolken (im Modell dargestellt durch Schnitte der «Cloud Vase», mit der sie im Sommer schon am selben Ort ein Tribut an Zaha Hadid gestaltet haben), zu Bächen und Brunnen. Doch auch eine Lichtkuppel, die aussieht wie ein transparentes Zirkuszelt und mit der ein Platz zu einem behaglichen Raum in der Stadt wird, eine Pergola, Plattformen und Dächer, Drehflächen und ein Kiosk als mobile Architektur sind zu sehen. Um lange Masten, die durch ein Seilsystem miteinander verbunden sind, ranken sich Kletterpflanzen, um Lianen in einem Dschungel zu imitieren. Die Modelle sind mit natürlichen Materialien versehen, Moos, Steine, Äste oder Algen sollen dafür sorgen, dass es sich nicht nur um eine künstliche Projektion handelt.

«Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Städtebauliche Entwicklung auf dem Vitra-Campus
Lag das Feuerwehrgebäude unlängst noch am hinteren, südwestlichen Ende des Campus, kreiert es nun mit seinem neuen Nachbarn, dem Schaudepot von Herzog & de Meuron, den zweiten Eingang: Besucher, die mit dem Velo oder dem Tram von Weil am Rhein oder Basel anreisen, betreten den Vitra Campus auf dieser Seite. Kostenlose Ausstellungen im Feuerwehrhaus sind Folge dieser neuen, «städtebaulichen» Entwicklung auf dem Campus, wie anlässlich der Ausstellungseröffnung erklärt wurde.
 
Und genau an städtebauliche Entwicklung dachte Rolf Fehlbaum, der emeritierte Vorsitzende von Vitra, als er die Ausstellung von Ronan und Erwan Bouroullec in Rennes (F) sah. Er begleitete das Design-Duo seit ihren Anfängen. Die neusten Entwicklungen auf dem Vitra-Campus forderten landschaftsarchitektonische Interventionen, das Dazwischen der architektonischen Solitäre, dem Experimentierfeld für Architektur und Design, muss schliesslich auch gestaltet sein. So holte Fehlbaum die Ausstellung ganz informell nach Weil am Rhein, und Museumsdirektor Mateo Kries sagt, dass die Ausstellung «Rêveries Urbaines» insofern in das Feuerwehrhaus passe, dass dieser «open space» nicht über museale Bedingungen verfüge, und die Ausstellung einen improvisierten Charakter habe, Leichtigkeit und Frische ausstrahle.

«Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Die «Rêveries Urbaines», städtebauliche Skizzen, wie die Designer erklären, basieren auf dem Auftrag der jungen Bürgermeisterin von Rennes, Nathalie Appéré, in der Stadt eine urbane Intervention zu realisieren. Doch die Aufgabe war den Designern zu gross, obwohl ihnen die besten Entwürfe eigentlich dann gelungen sind, wenn sie nicht wirklich mit dem Thema vertraut waren (die Büro-Lösungen für Vitra zu Beginn ihrer Karriere beispielsweise). Sie beschlossen daher, ein Skizzenbuch in Ausstellungsgestalt mit möglichen Interventionen abzuliefern, die unabhängig von einem bestimmten Ort denkbar sind. Und tatsächlich gab es nach der «Rêveries Urbaines»-Ausstellung in Rennes Interessenten aus Miami, Aarhus, Paris – Weil am Rhein. Ob bei Vitra demnächst eine dieser Interventionen eins zu eins zu sehen sein wird, ist offen. Rolf Fehlbaum kann sich vorstellen, eine «Rêverie» auf dem Campus zu verwirklichen, was oder wann, verriet er aber nicht.

«Rêveries Urbaines», Vitra Design Museum. Bild: © Studio Bouroullec

Wenn Designer Architekten sind
Rolf Fehlbaum hat der Ansatz der Bouroullec-Brüder gefallen, die mit einer Naivität an das Thema Landschaftsarchitektur und Freiraumgestaltung herangegangen sind, denn: «Routine ist der grösste Feind der Kreativität», wie er sagt. Es sei wichtig, die Themen, die einen beschäftigen im Leben, mindestens einmal zu ändern. Weil Ronan und Erwan Bouroullec Designer sind und nicht Architekten, seien sie anders an das Thema herangegangen. Bei den «Rêveries» handelt es sich um Objekte im Raum, die nicht ortsspezifisch sind. Im Unterschied zu Architekten sehe ihre Arbeitsweise immer so aus. Möbel müssen universell sein und in jede Umgebung passen, ergänzt Erwan Bouroullec. Und: «Wir wären schlechte Architekten, deshalb sind wir Designer. Architekten spielen in einem Sinfonie-Orchester. Wir eher in einer Pop-Band.»

Damit hat Erwan Bouroullec selbst die Antwort auf die Frage gegeben, ob Designer auch Architekten sind, oder ob die «Rêveries Urbaines» als wirkliche Vorschläge zur Stadtumgestaltung taugen. Es sind eher Übungsstücke, nett anzuschauen, aber zu wenig konkret. Architektur kann nicht ortsunspezifisch sein. Landschaftsarchitektur noch weniger. Trotzdem hat sie etwas, die Ausstellung. Denn leider muss man sagen, dass der Architektur das Träumen abhanden gekommen ist. Die Profession ist furchtbar ernst geworden, Architekten beweisen selbst sehr selten Humor oder sind kaum je zu Spinnereien aufgelegt; die Dinge im und am Haus, die aus dem Rahmen fallen, überlässt man lieber der Kunst am Bau – oder dem Design. In dem Sinn, sind die «Rêveries Urbaines» mehr als nur nett anzuschauen.

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