Rohling am Waldrand

Inge Beckel
7. November 2013
Churer Konvikt von Otto Glaus (Bild: Ralph Feiner)

Das Konvikt ist ein Wohnheim, wo während der Woche Jungen und heute auch Mädchen leben, deren Anreise an die Kantonsschule in Chur aus ihren Heimatdörfern zu lange dauert, um sie täglich antreten zu können. Zudem sollten sich die Jugendlichen aus den verschiedenen, verstreuten Tälern hier, in der Kantonshauptstadt, zusammenfinden, um zu «Bündnern» zu werden, wie zur Bauzeit auch zu lesen war.

Das Konvikt wurde zwischen 1967 und 1969 nach den Plänen des Architekten Otto Glaus errichtet, wobei Glaus bei der Realisierung mit Ruedi Lienhard und Sep Marti zusammen gearbeitet hatte. Das Projekt war 1964 als Sieger aus einem Wettbewerb hervorgegangen. Der Bau ist heute noch weitgehend in originalem Zustand erhalten, steht mit seinen rund 45 Jahren jedoch vor einer baldigen umfassenden Sanierung. Auch seine Nutzung entspricht noch der ursprünglichen. So beherbergt er 76 Doppel- und Einzelzimmer, drei Wohnungen und Zimmer für Vorsteher und Personal. Das Volumen ist dabei in drei über- respektive hintereinander gestaffelte Trakte gegliedert, die bis zu vier Geschosse aufweisen, was insgesamt zu einer Höhe von neuneinhalb Geschossen führt – es handelt sich damit folglich um eine Art an den Hang gelegtes Hochhaus. Der Bau wird von zwei Seiten erschlossen, der Haupteingang liegt unten an der Alten Schanfiggerstrasse, die Anlieferung zuoberst. Die beiden unteren Trakte nehmen die Schüler- und Schülerinnenzimmer auf, im oberen Trakt finden sich der Essraum und die Aufenthaltsbereiche. (1)

Aussenansicht von Nahem im Winter (Bild: Andrea Badrutt)

Möglichst geringe Geländeverschiebungen
Zeitgenössische Bauten weisen oft eine eingeebnete, flach ausgestaltete Umgebung auf, auch wenn sie an Hängen liegen. Einerseits, so scheint es, wünscht man die Fernsicht – gleichzeitig gehören Pool mitsamt Liegewiese oft zum anvisierten Standard oder Prestige. Was zu den meterhohen, Bossenstein bewehrten Mauern führt, die heute so manches (Einfamilienhaus-) Viertel prägen. Ganz anders bei Glaus.

Seine Maxime war es, den Baugrund möglichst wenig zu verändern. Folglich liess Glaus seine länglichen Kuben den Boden sanft berühren und schob sie nur leicht ins Gelände. Dadurch lässt sich beim kaskadenartigen Aufstieg vom Haupteingang zu den Gemeinschaftsräumen der den Bau umgebende Wald unmittelbar erleben. Man wähnt sich, trotz schützender Gebäudehülle, zuweilen auf einem Waldspaziergang! Die Naturnähe wird durch die Materialisierung in Sichtbeton weiter unterstrichen. Die rohen Oberflächen in Beton brut lassen Rohlinge entstehen, die, Steinen vergleichbar, auf dem Waldboden liegen. Es war die Phase des Brutalismus im 20. Jahrhundert, als das Material brut oder eben roh belassen wurde – in keinem Fall sollte es veredelt oder «künstlich» wirken. Der Brutalismus gründet einerseits auf Arbeiten einer Architektengruppe der 1960er-Jahre um Alison und Peter Smithson. Andererseits lassen sich bereits frühere Bauten aus den späten 1940er- und 1950er-Jahren dieser das Rohe oder Naturnahe inszenierenden Architektur zurechnen, mitunter Le Corbusiers Unités, Notre Dame du Haut in Ronchamp oder La Tourette.
 

Essraum mit Weitblick (Bild: Andrea Badrutt)

Tagung zum weiteren Vorgehen
Angesichts der anstehenden Sanierung hat der Bündner Heimatschutz, anlässlich seiner diesjährigen Generalversammlung, eine Tagung im Churer Konvikt veranstaltet, das derzeit offiziell nicht geschützt ist. Nach der Vorstellung des Gebäudes durch den Kunsthistoriker Leza Dosch erläuterte Bernhard Furrer, Architekt und Denkmalpfleger, seine drei Grundsätze im Umgang mit Bauten der Moderne.

Während die architekturhistorisch herausragenden Werke der Zwischenkriegszeit in der Regel bekannt und inventarisiert sind, trifft dies für jene der Nachkriegszeit (noch) nicht zu. Gleichwohl stehen viele dieser Bauwerke vielerorts vor der Frage nach einer allfälligen Sanierung, einer Umnutzung, eines Um- oder Ausbaus oder gar eines Abbruchs. Um aber entscheiden zu können, ob ein Bau schützenswert ist, braucht es Inventare, die möglichst in die jüngste Zeit hineinreichen, zumindest aber bis in die frühe Nachkriegszeit. Als zweiten Grundsatz nannte Furrer die genaue Kenntnisnahme eines Gebäudes, will heissen, dass es vor Ort in Grund- und Aufriss sowie in Konstruktion und Materialisierung seriös erforscht werden muss, bevor Leitlinien für einen Neueingriff formuliert werden können – seien dies Sanierungen oder weiter reichende, die Ursprungssubstanz transformierende Eingriffe. Drittens, so Furrer, sollen bei einer Umnutzung deren Folgen auf die Bausubstanz sorgfältig analysiert und die dann definierten Eingriffe in der Haltung sowie in der Technik jenen aus der Bauzeit vergleichbar sein.

Konvikt zwischen Stadt und Wald (Bild: Andrea Badrutt)

Instandsetzung eines Schutzobjekts
Eugen Brühwiler, Ingenieur und EPFL-Professor, schliesslich plädierte für ein generell sorgfältiges Sanieren von Sichtbetonbauten – dies insofern, als schadhafte Stellen nur punktuell und damit lokal instand gestellt werden sollten. Fachtechnisch gesagt, sollte dies etwa über Tiefenhydrophobierungen oder Korrosionsinhibitoren geschehen. Dabei bleibe nicht nur die Gesamtwirkung von Betonfassaden bestmöglich erhalten, so Brühwiler, es seien auch kostendämpfende Methoden. Am abschliessenden, von der Kunsthistorikerin Cordula Seger moderierten Podium nahmen neben Brühwiler Graubündens Kantonsbaumeister Markus Dünner und Denkmalpfleger Giovanni Menghini sowie der Churer Stadtrat Tom Leibundgut teil. Fazit war, dass das Konvikt schützenswert ist und sorgfältig instand gestellt werden soll. Nur gelte es, so der Politiker, diese rohe, auf den ersten Blick schroffe Architektur mittels Information und auf Führungen auch dem breiten Publikum zu erklären und näherzubringen. Denn zuguterletzt wirkten sich derlei Sensibilisierungen positiv auf die politischen Entscheide und mit ihnen die notwendigen Kredite aus.

Anmerkung
1) Vgl. etwa: Bündner Heimatschutz (Hrsg.), Architekturrundgänge in Graubünden, Nachkriegsmoderne in Chur, Chur 2013, Objekt-Nr. 17

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