Noch ein Urnengang?
Elias Baumgarten
16. Mai 2019
Muss noch einmal über das Projekt «Ensemble» abgestimmt werden? (Visualisierung © Nightnurse Images im Auftrag der HRS Real Estate AG, Boltshauser Architekten, pool Architekten und Caruso St John Architekten)
Im April dieses Jahres schien noch gewiss: Das geplante Stadion und zwei Wohnhochhäuser auf dem Zürcher Hardturm-Areal werden gebaut. Die Gegner*innen schienen klein beigegeben zu haben. Doch nun da im Stadtparlament die Debatte um den Gestaltungsplan ansteht, bringen einige eine zweite Volksabstimmung ins Spiel. Man täte besser daran, den Willen der Zürcher Wähler*innen zu akzeptieren.
Die Lage der beiden Zürcher Fussballclubs ist derzeit ziemlich niederschmetternd bis hoffnungslos: Der FC Zürich liegt nur an Tabellenplatz 4 – weit hinter den eigenen Erwartungen und Ansprüchen. Die Fühlung mit der Spitze ist längst verloren. Gerade 43 Punkte stehen zu Buche, Spitzenreiter Young Boys hingegen kommt auf deren 85. Die Grasshoppers sind gar das abgeschlagene Schlusslicht der Super League. Sie steigen ab. Und als ob die sportlichen Misserfolge der Hiobsbotschaften nicht genug wären, droht nun neues Ungemach um das geplante Stadion auf dem Hardturm-Areal an der Pfingstweidstrasse: Der Politiker der Grünen und Zürcher Gemeinderat Markus Knauss hält eine erneute Abstimmung für durchaus möglich. Als entschiedener Gegner würde er diese wohl willkommen heissen. Die Stimmberechtigten müssten dabei über den Gestaltungsplan befinden, der bald zur Verhandlung im Stadtparlament ansteht. Ob sie daran nach ihrem klaren Votum vom vorigen Herbst Freude hätten, sei dahingestellt.
Dabei sah es Anfang April noch aus als sei die letzte Hürde für das Grossprojekt genommen und der Widerstand der Gegner*innen gebrochen: Nachdem das Zürcher Verwaltungsgericht einen Stimmrechtsrekurs des «Komitees gegen den Höhenwahn» abgewiesen hatte, verzichteten die Kläger*innen auf den Gang vors Bundesgericht. Die Volksabstimmung vom 25. November 2018, an der 53,8 Prozent der Wähler*innen für die Verwirklichung des Projekts votierten, erlangte damit Rechtsgültigkeit. Der Weg schien frei, das «Ensemble» mit Stadion und zwei Wohnhochhäusern zu errichten, welches die Büros Boltshauser Architekten, Pool Architekten und Caruso St John gestaltet haben. Die Richter sahen als erwiesen an, dass, obschon eine Medienmitteilung des Stadtrates tatsächlich falsche Fakten enthielt, die freie Meinungsbildung nicht beeinträchtigt gewesen sei. Es war in dieser behauptet worden, 299 gemeinnützige Wohnungen entstünden in den beiden Hochhäusern der Anlage. Doch in Wahrheit werden es nur 174 sein. Die übrigen 125 wird die Credit Suisse der Stadt andernorts abtreten. In der Abstimmungszeitung wurde der Fehler korrigiert. Auch hatten die Medien achtgegeben und die falschen Angaben nicht übernommen. Seit seiner Niederlage vor Gericht findet beim «Komitee gegen den Höhenwahn» ein Erosionsprozess statt: Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vor einigen Tagen berichtete, hat sein Wortführer, der Architekt Marcel Knörr, die Gruppe verlassen. Der Druck auf den 70-Jährigen sei zu gross geworden. Auch weitere Mitglieder zogen sich zurück, so die NZZ weiter.
Ganz eingestellt haben ihre verbliebenen Mitstreiter*innen den Kampf allerdings noch nicht: Derzeit warte man die Veröffentlichung des Gestaltungsplans ab, hiess es. Danach werde man einen neuerlichen Rekurs erwägen. Gelassen sieht dem Hans Klaus von der HRS Real Estate AG entgegen. Diese hatte in 2016 den Zuschlag für den Stadionbau erhalten. Der Plan werde alle Rechtsgrundlagen erfüllen, liess er die Presse wissen. Gerade werde daran gearbeitet, dass der Gestaltungsplan möglichst nicht angreifbar sei, ist zu lesen. Die Qualität sei «einzigartig für ein Grossprojekt im Raum Zürich», gab er sich für den Fall einer Auseinandersetzung schon einmal siegesgewiss. Man habe aus den gescheiterten Planungen der Vergangenheit gelernt, etwa dem verlorenen Kampf um das Pentagon-Stadion anlässlich der Europameisterschaft 2008.
Denkbar wäre auch, dass andere Gruppen gegen den Gestaltungsplan rekurrieren. So wird von verschiedenen Medien der Tagespresse spekuliert, dass neuer Widerstand aus den Reihen der Anwohner*innen kommen könnte. Doch es ist ungewiss, ob dies geschehen wird. Seitens der IG Hardturmquartier, welche die Interessen der Quartierbevölkerung bündelt, gibt es bisher kein eindeutiges Statement.
174 gemeinnützige Wohnungen sollen in den beiden Türmen neben dem Stadion entstehen. (Visualisierung © Nightnurse Images im Auftrag der HRS Real Estate AG, Boltshauser Architekten, pool Architekten und Caruso St John Architekten)
Neue Abstimmung?Zustimmen muss dem Gestaltungsplan zunächst das Parlament der Limmatstadt. Grosser Widerstand ist dabei nicht zu erwarten. So hat selbst die SP, dem Projekt gegenüber bisher ablehnend eingestellt, verlautbaren lassen, diesem keine Steine in den Weg legen zu wollen. Vormals hatte die Partei vor allem auch Anstoss an der privaten Finanzierung des Vorhabens genommen und gefordert, die Stadt solle dies selbst bezahlen. Das Zustandekommen einer Mehrheit scheint somit wahrscheinlich. Doch Markus Knauss, einer der entschiedensten Gegner, glaubt, dass sich eine zweite Volksabstimmung lancieren liesse. Er ist dafür bekannt, dem Projekt jede städtebauliche Qualität abzusprechen. Während im November 2018 der Volkssouverän vornehmlich über die Finanzierung befunden habe, könne nun über die Gestaltung abgestimmt werden, sagte er der NZZ. Die Befürworter des Stadions halten ihm zu Recht entgegen, die Zürcher*innen hätten bereits ein klares Votum abgegeben. Sie wünschten eine Kombination aus bezahlbarem Wohnraum, Gewerbe und Sport auf dem Hardturm-Areal. Offen, ob die Bevölkerung eine neuerliche Abstimmung nach dem langen Hin und Her goutieren würde. Schliesslich war der Urnengang im vorigen Herbst eindeutig ausgefallen: 53,8 Prozent der Wähler*innen stimmten zu. In den Kreisen 7 und 8 waren es gar 57,9. Und selbst im Stimmkreis 3 sowie den links dominierten Kreisen 4 und 5 gab es ein deutliches Ja zu verzeichnen. Vielleicht ist zu akzeptieren, dass sich Entscheidungen nicht nach Belieben «herbeiwählen» lassen.