Neuer Beton mit altem Stein
Jenny Keller
30. Juni 2016
Detail der Fassade der Landesmuseumerweiterung aus Tuff-Beton. Bild: © Schnetzer Puskas Ingenieure AG
Für die Fassade der Landesmuseumserweiterung in Zürich ist ein eigener Tuff-Beton entwickelt worden. Was ist die Erfindung hinter diesem Beton?
Die Erweiterung des Landesmuseums in Zürich wird am 1. August 2016 offiziell eröffnet. Christ & Gantenbein haben neben Gustav Gulls historistisches Schlösschen von 1898 einen expliziten Neubau platziert, der mit seiner Beton-Fassade die Formensprache des Altbaus herausfordert und kontrastiert, das sieht man schon vor der Eröffnung. Die Architekten sprechen von einer technischen Architektur, wenn sie die Erweiterung des Landesmuseums beschreiben, und sehen in ihrer Architektur Analogien zu Schweizer Infrastrukturbauten wie beispielsweise einem Staudamm. Für den architektonischen Ausdruck liegt also eine Sichtbetonfassade auf der Hand. Doch der Beton ist nicht ein herkömmlicher Sichtbeton (Zement, Wasser und Zuschläge in Form eines Kies-, Sandgemisches), seine Zuschläge bestehen aus Tuffstein und Kalksand – den Steinarten, die Gull schon verwendet hat –, um ihn von der Oberflächenstruktur her und auch farblich an den Altbau anzupassen. Und: Er wurde fugenlos gegossen, weil das Museum ein Monolith sein sollte. Ein grosser Steinbrocken also, einer ohne Einschlüsse. Für die Fassade der Erweiterung sei ein eigener Tuff-Beton entwickelt worden, las man nicht nur einmal, seit die Erweiterung Anfang Jahr steht. Nur, was ist die Erfindung hinter diesem Beton?
Heinrich Schnetzer von Schnetzer Puskas Ingenieure AG hat den Beton zusammen mit Holcim entwickelt. Die Herausforderung, diese konzeptionelle Idee in Wirklichkeit umzusetzen, lag nach seiner Aussage darin, mit den für die Betonherstellung ungeeigneten Eigenschaften des Tuffsteins umzugehen. Weil der Tuffstein porös ist, nimmt er zum einen Wasser auf, und zum anderen werden die weichen Gesteinskörner beim Mischen geschliffen und verändern damit ihre Korngrössen. Doch eine Betonmischung soll möglichst wenig Wasser aufweisen, damit der Beton beim Trocknen nicht zu viel schwindet, und über ein gut abgestuftes Korngerüst verfügen, um ein kompaktes Volumen zu erreichen. Verschiedene Rezepturen mussten gemacht werden, bis das Experiment glückte, erklärt Heinrich Schnetzer. Eine Lösung bestand darin, den Tuffstein nass zu verarbeiten. Die gewünschte Farbe hingegen erreicht der Beton durch seine feinen Anteile. Um den Gullschen Farbton zu erhalten, dieses Grüngrau der Fassade des Altbaus, wurde dem Tuffstein, der beim Mischen teilweise zerrieben wurde, zur Hälfte normaler Flusssand und zur Hälfte Kalksand beigemischt.
Alt und Neu sind mit ihren Oberflächen aufeinander abgestimmt. Bild: Roman Keller
Wie an dieser Stelle zu Beginn des Jahres bereits geschrieben, besteht die eigentliche Erfindung des Entwurfs von Christ & Gantenbein darin, dass die Erweiterung als Flügel den Altbau von Gustav Gull zu einem Ganzen schliesst. Mit einem möglichst kleinen Fussabdruck wird auf den Park und seine Bäume Rücksicht genommen, und die expressive Form schafft auch aussen neue Räume, die «beinahe innerstädtisch anmuten», so die Architekten. Die bildhafte Zickzackform der Erweiterung war für das statische System der Fassade, die wie oben erwähnt fugenlos sein sollte, ein Vorteil; in der Fassadenabwicklung wurden die Ecken wie Scharniere behandelt, die nicht mit der inneren Schale verbunden sind und sich bei Kälte nach innen und bei Wärme nach aussen schieben können. Ein ähnliches System weist auch die Sunnibergbrücke von Christian Menn bei Klosters auf.
Das Museum ist ein Minergie-P-Museum, daraus folgte die logische Konsequenz, dass die 80 bis 100 Zentimeter dicke Fassade zweischalig konstruiert wurde, damit der Beton innen und aussen sichtbar gemacht werden konnte. Ein Dämmbeton müsste für den Minergie-Standard 60 Zentimeter dick sein, wobei man bei den Fensterleibungen, einer mit vier bis sechs Zentimeter viel dünneren Schicht in der Fassadenhülle, immer mit Kältebrücken zu rechnen hätte, die nur unter grossem Aufwand umgangen werden könnten, erklärt Heinrich Schnetzer. Die heutigen energetischen Anforderungen an eine Gebäudehülle seien nicht mehr kompatibel mit einem Dämmbeton.
Eine Entwurfsentscheidung zieht immer viele Konsequenzen nach sich. Der Tuff-Beton des Landesmuseums ist ein gutes und ein gelungenes Beispiel dafür. Heinrich Schnetzer findet den Entscheid für diese «Erfindung» richtig, auch wenn sie aufwendig war, und lobt die Fassade der Landesmuseum-Erweiterung, die hervorragend zum Bestand passe. Beton sei immer noch ein relativ günstiges Fassadenmaterial, wenn man es mit Stahl-Glas- oder Steinfassaden vergleiche. Dass der Tuffstein nicht heimisch ist, sondern aus der Eiffel herangefahren werden musste, ist der Geologie geschuldet.
Sichtbeton auch im Innenraum. Bild: Roman Keller
Das Neue Landesmuseum
Mit einem 26-Stunden-Programm wird das neue Landesmuseum am 31. Juli und 1. August eröffnet. Los geht es mit einer offiziellen Feier um 16 Uhr und um 18 Uhr öffnen sich Tür und Tor für Gross und Klein. Im Mittelpunkt der Eröffnung stehen der sanierte Museumsteil und der Neubau mit seinen ersten beiden Ausstellungen «Archäologie Schweiz» und «Europa in der Renaissance. Metamorphosen 1400 – 1600». Dazu gibt es einiges an Programm: Konzerte und Kino, Nachtführung mit Taschenlampe, Bau- und Ausstellungsführungen, einen Blick hinter die Museumsmauern, Renaissance-Tanzkurse, Nachtwächtergeschichten, Yoga-Stunden für Frühaufsteher, ein Frühschoppenkonzert mit 1.-August-Brunch, Armbrustschiessen, digitale Schnitzeljagden, Reisen mit dem Geschichtenkoffer, Postkutschenfahrten im Park und regionale Spezialitäten für das leibliche Wohl.
www.nationalmuseum.ch