In Venedig gefeiert, in Lagos zerstört
Oliver Pohlisch
16. Juni 2016
Die schwimmende Schule in Makoko. Bild: NLÉ
Auf der Architekturbiennale wurde sie gerade noch preisgekrönt. Doch am Dienstag vergangener Woche zerstörte ein schwerer Sturm die schwimmende Schule von NLÉ in Makoko. Nun ist sie zum Gegenstand einer kritischen Debatte geworden.
Das auf einem Floss errichtete Finnhaus überragte mit seinen drei Stockwerken alle Behausungen der vollständig auf Pfählen gebauten informellen Siedlung in der Lagune vor Nigerias Metropole Lagos. German-architects hatte berichtet, dass Kunlé Adeyemi, der Architekt der schwimmenden Schule, eine Kopie des Gebäudes in Venedig errichten liess, wofür er mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde.
Das Original hatte er schon 2013 realisiert – unter anderem in Partnerschaft mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Adeyemi verwendete für das Dach Holz und Bambus aus lokalen Quellen, ingesamt 250 Plastikfässer brauchte er, um das Floss zu bauen. Der Entwurf erhielt schnell internationale Aufmerksamkeit für seine Berücksichtigung lokaler Interessen, die Nutzung von recyceltem Material und die Anpassung an die Umweltbedingungen in seiner Umgebung. Nicht zuletzt sahen die Medien in der schwimmenden Schule eine Antwort der Architektur auf die Folgen des Klimawandels. Adeyemi wurde dafür 2013 mit «AR+D Award for Emerging Architecture» ausgezeichnet.
Ein Rückschlag für die Gemeinde
Letzte Woche jedoch zerstörte ein schwerer Sturm die schwimmende Schule in Makoko und eine Journalistin berichtete für die britische Tageszeitung The Guardian, dass Anwohner die Trümmer vom übriggebliebenen Floß beseitigten: Auf Booten wurden Türen, Fenster und Holz abtransportiert, um sie anderswo in der Siedlung einzusetzen.
Der Kollaps der Schule ist ein harter Rückschlag für Makoko. Sie galt als Hoffnungsschimmer in einer seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Gemeinde, die in jüngerer Vergangenheit ihre Zerstörung befürchten musste. 2012 erklärte die Regionalregierung des Bundesstaates Lagos Makoko für illegal. Sie versuchte, die Bewohner zu vertreiben, um die oft als «weltgrösster schwimmender Slum» bezeichnete Siedlung abzureissen. Begründet wurde dies mit den unhygienischen Lebensbedingungen. Und weiter: Die Existenz von Makoko verstosse gegen die Umweltgesetzgebung. Kritiker der Regionalregierung hoben jedoch hervor, dass Makoko mit seiner prominenten Uferlage vielmehr den Plänen im Wege stand, die Lagune mit Sand aufzuschütten, um so profitables Bauland zu gewinnen. Makoko sei eine lebendige Gemeinde mit bis zu 100'000 Einwohnern, die sich dem Leben auf dem Wasser mit einem Erfindergeist angepasst hätten, der gelobt und unterstützt werden müsse.
Es war der Bau der schwimmenden Schule, der massgeblich dafür sorgte, dass die Regionalregierung Abstand von ihrem Abrissvorhaben nahm. Stattdessen stimmte sie einer Verbesserung der bestehenden Strukturen zu. Die Schule wurde zu einem Symbol für eine «Entwicklung von unten», Nigerias Ministerium übernahm ihr Design sogar für eigene Pläne zur Errichtung neuer Siedlungen.
Für die Schüler zu gefährlich
Doch die Zerstörung der schwimmenden Schule sorgt für eine lebhafte Diskussion über ihren Sinn und Zweck. Die Schule wird nun sowohl von Architekturkritikern als auch in der Wassergemeinde selbst infragegestellt.
Insbesondere Noah Shemede, der Direktor der Whaniyinna Primary School, deren Schüler auf dem Floss unterrichtet wurden, bemängelte nach dem Kollaps Adeyemis Entwurf. Sowohl dem Guardian als auch dem Onlinemagazin Dezeen gegenüber erklärte er, dass dieses Unglück voraussehbar gewesen wäre. Er habe schon vor drei Monaten entschieden, die Kinder nicht mehr dorthin zu schicken, weil er die Plattform nicht mehr für sicher hielt. Bei Regenfällen hätte diese stark vibriert. Auch die Eltern hätten Druck gemacht, die Schüler von der schwimmenden Schule fernzuhalten. Hätte sie dieselbe Höhe wie die Häuser der Umgebung gehabt, wäre sie viel widerstandsfähiger gewesen, gibt sich Shemede überzeugt.
Damit widerspricht er einer Stellungnahme von NLÉ, dem Büro von Adeyemi. Es bestätigt zwar den abrupten Kollaps und zeigt sich erleichtert, dass dabei keine Menschen zu Schaden gekommen seien. Doch erklärt es zugleich, dass die Schule sowieso stillgelegt worden sei und es schon vor der Zerstörung den Plan gab, sie zu ersetzen. NLÉ verweist auf die MFS II, jene «neue, verbesserte» Version, die derzeit in Venedig zu sehen sei. Das Original habe seinen Zweck als Prototyp erfüllt und sei intensiv genutzt worden. Es habe der Gemeinde in der Lagune drei Jahre lang aussergewöhnliche Dienste geleistet.
Kunlé Adeyemis MFS II auf der Architekturbiennale Venedig 2016 (Bild. John Hill/World-Architects)
«Die Meinung eines Einzelnen»
Noah Shemede sagt jedoch, dass die Schule nur für einige Monate wirklich in Betrieb gewesen sei. Nach der Erbauung im Jahr 2013 habe sich die Schuleröffnung noch lange hinzogen. Erst ab Oktober 2015 wurde sie von Schülern benutzt. Der Schuldirektor spielt insgesamt die Bedeutung der Lehranstalt auf dem Floss herunter. Auf 220 Quadratmetern habe man nur 60 Kinder sicher beherbergen können, angesichts der zahlreichen Schulklassen mit Raumbedarf in Makoko sei das eine zu vernachlässigende Grösse.
Gegenüber Dezeen entgegnete Adeyemi, «es ist zu diesem Zeitpunkt unglücklich, dass die Medien die Meinung eines Einzelnen als repräsentativ für die ganze Gemeinde erachten». Er fügt hinzu, dass es in der Siedlung zufällig längst die Diskussion darüber gegeben habe, die Schule in der vergangenen Woche abzubauen und das wiederverwertbare Material zu bergen. «Nun denken wir – auf Anfrage der Gemeindevertreter – gemeinsame über Bedingungen für das zukünftige Vorgehen und die Etablierung eines verantwortliches Managements nach, unter dem eine neue Struktur entwickelt werden könnte.»
Adeyemis Schule wird inzwischen auch von Architekturkritikern hinterfragt. Im AR Magazin erklärte Tomà Berlanda, ein Architekturprofessor an der südafrikanischen University of Cape Town, dass Adeyemis Stellungnahme «irreführend» sei. «Tatsache ist, dass die tragende Struktur des Prototyps auseinanderfiel und damit auch die Hoffnung der Gemeinde». Zwar habe das fotogene Projekt weltweit die Vorstellungskraft von Architekten angeregt, aber nun frage er sich «inwieweit die Nützlichkeit dieses Gebäudes lediglich inszeniert worden ist».
Phineas Harper, Geschäftsführer der «Architecture Foundation» in London, kommentierte auf seiner Facebook-Seite, dass die Architekturmedien «in eine PR-Falle getappt sind» – aufgrund der ansprechenden Fotos von Iwan Baan und respektierter Publikationen, die dennoch nicht über das Budget verfügen, ihre Berichte gründlich durchzurecherchieren. Der Kollaps des Gebäudes habe Architekturjournalisten jedenfalls eine Lektion erteilt.
Crowdfunding-Kampagne gestartet
Schulleiter Shemede bleibt skeptisch gegenüber den Wiederaufbauplänen von NLÉ. Er glaubt, dass Eltern ihre Kinder angesichts des Vorfalls auch nicht zu einer neuen Version der schwimmenden Schule schicken werden. Die Schüler seiner Whanyinna Grundschule werden sie jedenfalls zukünftig nicht mehr nutzen.
Gerade eben wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, die Geld auftreiben soll für eine Erweiterung am eigentlichen Standort der Whaniyinna Primary Schook, damit künftig alle 200 Schüler dort unterrichtet werden können. Im Begleittext heisst es: «Es wäre eine Tragödie, wenn wir diesen Rückschlag für die Gemeinde nicht in etwas Sinnvolles umwandeln und die Aufmerksamkeit nicht dazu nutzen würden, etwas Nachhaltigeres zu bauen. Anstelle eines Architekturprojekts, dass die Gemeinschaftsinteressen nur an zweiter Stelle berücksichtigt, schlagen wir vor, etwas Einfacheres zu tun, was tatsächlich auch von Nutzen sein wird.»
Indirekt erfährt also doch auch die schwimmende Schule ihre Würdigung durch die Unterstützer von Direktor Shemede. Denn es mag sein, dass der Architekt sie für die eigenen Karrierezwecke operationalisiert hat, aber ohne die Publicity für dieses Projekt und sein vorläufiges Scheitern hätte die Crowdfunding-Kampagne für die Whaniyanna Grundschule wohl viel geringere Aussichten auf Erfolg. Und womöglich wäre es der Regierung von Lagos ohne die Ankunft der Lehranstalt längst gelungen, Makoko dem Wasserspiegel gleichzumachen.