Geldschöpfung und Bodenverbrauch
Nott Caviezel, Caspar Schärer
9. März 2011
(Bild: Caspar Schärer)
Hans Christoph Binswanger im Gespräch mit Nott Caviezel und Caspar Schärer.
Der Ökonom Hans Christoph Binswanger ist einer der profiliertesten Kritiker des masslosen Wachstums. Er setzt sich für den generellen Erhalt der vor 1920 erstellten Bausubstanz ein und hält den heutigen Bodenverbrauch mit einer nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar.
Hans Christoph Binswanger (hcb) Ich war zwölf Jahre lang für die FDP im Gemeinderat von St. Gallen. In jener Zeit habe ich mich insbesondere mit Baufragen befasst. Ich sass damals in der Baukommission und habe mich für die Unterschutzstellung von wertvollen Bauten eingesetzt.
hcb Konkret ging es vor allem um den Schutz der Altstadt sowie um ein Gebiet zwischen Altstadt und Bahnhof – die ehemalige Bleiche. Dieses Areal sollte neu überbaut werden. Ich war für den Erhalt dieser Quartiere mit den Bauten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, bin aber zuerst nicht durchgedrungen. Wie es in der Politik so läuft, wurde der revidierte Zonenplan vom Kanton jedoch zurückgewiesen und musste neu überarbeitet werden. Das Erste, das unter Schutz gestellt wurde, war dieses Quartier.
hcb Ich bin der Ansicht, dass ältere Bauten – nicht nur die ältesten – eine besondere Qualität haben. Diese Qualität kommt auch von der handwerklichen Arbeit, die darin steckt. Heute kann man solche Arbeit gar nicht mehr bezahlen. Der Arbeitswert in diesen Gebäuden wäre bei heutigen Preisen exorbitant hoch. Ausserdem besteht die Qualität in der Vielfalt der verschiedenen Bauten bei Einheitlichkeit des Stils, und diese Vielfalt in der Einheit wollte ich erhalten.
hcb Ja, durchaus. Es ist nicht sinnvoll, das Volkseinkommen zu erhöhen auf Kosten des Volksvermögens. Dieses Vermögen kann man nicht wieder herstellen. In meinem neuesten Buch Vorwärts zur Mässigung schlage ich vor, dass alle vor 1920 erstellten Bauten prinzipiell unter Schutz gestellt werden. Bauwillige müssten beweisen, dass das Haus wertlos ist oder dass die neue Bausubstanz tatsächlich einen höheren Wert hat.
Die Zäsur von 1920 lässt sich wie folgt begründen: Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Bauweise durch die Anwendung neuer Materialien und neuer Konstruktionsmethoden grundlegend. Hatten die bisher verwendeten Materialien Holz und Stein ein massives tragendes Sockelgeschoss erfordert und nur kleine Fensteröffnungen zugelassen, die den Bauten starken Mauercharakter verliehen, so ermöglichte die Stahlkonstruktion eine vollständige Auflösung der Mauerfassaden. Vor allem aber entstand durch Rationalisierung, Normierung und Serienproduktion eine weltumspannende Uniformität. Indem funktionale Aspekte immer stärker in den Vordergrund traten, verschwand das Dekorative und Ortstypische. Damit gewinnt heute die ungeheure Vielfalt an Formen, lokalen Ausprägungen und individuellen Variationen eines Motivs – bedingt durch Handarbeit – in der Architektur von vor 1920 unter dem Gesichtspunkt der Lebensqualität einen hohen Wert.
hcb In Bezug auf die nachhaltige Nutzung des Bodens ist es tatsächlich schwierig, dafür eindeutige Kriterien zu entwickeln. Der fundamentale Unterschied zwischen der industriellen Produktion und der Überbauung von Boden liegt im Gedanken der Effizienz. Wenn die Industrie pro Produkteinheit 10 Prozent Ressourcen einspart und darum effizienter produziert, kann sie mindestens 10 Prozent mehr Einheiten herstellen, also die Menge erhöhen, ohne dass es zu einem zusätzlichen Ressourcenverbrauch kommt. Beim Boden als Ressource geht das eben nicht. Sie können nicht Boden einsparen. Der Boden wird immer zusätzlich überbaut. Man kann also keine Nachhaltigkeitsstrategie vorschlagen, die ein Nullwachstum des Bodenverbrauchs vorsieht. Man kann nur eine Reduktion des Mehrverbrauchs postulieren.
hcb In erster Linie muss die ökonomische Motivation zum Mehrverbrauch von Boden durch Reduktion der Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes vermindert werden. Ich nenne das den Abbau des Wachstumsdrucks. Dies würde sich direkt auf das Bauen auswirken. Denn das Bauen gehört immer noch zu den einfacheren Arten, Geld zu verdienen. Bei einem neuen Produkt steckt oft ein grosser Forschungs- und Entwicklungsaufwand dahinter, während beim Bauen alles mehr oder weniger bekannt ist. Natürlich gibt es immer wieder neue Möglichkeiten und neue Materialien, aber im Wesentlichen ist der Prozess bekannt. Deshalb ist in diesem Bereich eine Mässigung ganz besonders notwendig.
hcb Ich finde die Initiative sympathisch, glaube aber nicht, dass die darin formulierten Ziele erfolgreich realisiert werden können, solange der Wachstumsdruck anhält. Die vorgesehene Rationierung des Bodenverbrauchs kann einem fortdauernden starken Druck nicht standhalten. Im Zusammenhang mit einer Reduktion des Wachstumsschubs ist die Initiative aber sinnvoll.
hcb Ich bin gegenüber dem Verdichtungs-Postulat insofern skeptisch, als dadurch tendenziell die Gärten in den Städten dezimiert werden. Die Gärten sind ja heute die wichtigsten ökologischen Nischen, über die wir angesichts der immer stärkeren Chemisierung der Landwirtschaft noch verfügen. Das schliesst natürlich nicht aus, dass eine Verdichtung vor allem in ehemaligen Industriezonen sinnvoll sein kann.
hcb In Tat und Wahrheit gibt es die Alternative nicht. Es wird sowohl als auch gebaut, es gewinnt immer beides: Verdichtung und Zersiedelung.
hcb In erster Linie sollte man nicht einen zusätzlichen Bodenverbrauch unterstützen, wie es heute mit der Subventionierung bestimmter erneuerbarer Energien der Fall ist. Dies gilt besonders für die Windenergie, die das Landschaftsbild weiträumig zerstört, ohne dass dadurch ein wesentlicher Beitrag zur CO2-Reduktion geleistet wird. Ebenso gilt es Zurückhaltung zu üben beim Ausbau des Strassennetzes in Zusammenhang mit einer stärkeren Förderung des öffentlichen Verkehrs.
hcb Das ist sicher richtig, auch wenn immer noch umstritten ist, welches die besten Methoden zur Wärmedämmung sind. Aber der Beitrag, den die Architektur zur Nachhaltigkeit auf diese Weise leisten kann, ist sehr bedeutend.
hcb Die Situation in der Schweiz ist eine andere als in Amerika, denn dort haftet der Hypothekarschuldner nur mit dem Haus, hier haftet er mit dem ganzen Vermögen. Das bedeutet, dass Banken und auch Schuldner etwas vorsichtiger sind. Dieses Beispiel zeigt, welche Rolle die Gesetzgebung spielen kann, obwohl sie eigentlich «unsichtbar» ist.
hcb Heute ist es so, dass die Banken mit jedem Kredit, den sie vergeben, Geld schöpfen, also Geld selber schaffen. Notengeld – das Geld der Nationalbank – macht nur ca. fünf Prozent der gesamten Geldmenge aus. Der grösste Teil ist das sogenannte Giralgeld. Das sind die Guthaben, die heute jeder auf einem Bankkonto hat, mit denen man durch Überweisungsauftrag oder mit Kreditkarten zahlen kann – die somit Geld sind.
Banken schaffen Giralgeld in dem Moment, in dem sie Kredite vergeben, weil der Kreditbetrag auf dem Girokonto des Kreditnehmers gutgeschrieben wird. In dem Ausmass, als man Giralgeld in Banknoten umwechseln will, kann die Zentralbank stets in beliebiger Menge Banknoten, also Papiergeld den Banken ausleihen, da sie das Papiergeld ja nicht mehr in Gold einlösen muss. Sie kann zwar die Geldschöpfung der Banken etwas lenken, indem sie das Zentralbankgeld den Banken nur gegen Zinsen ausleiht und diese etwas variieren kann. Im Wesentlichen muss sie aber die Banknoten – also das Zentralbankgeld – den Banken in dem Ausmass liefern, wie diese es benötigen, weil sonst das ganze Kredit- und Geldsystem zusammenbrechen würde.
Das heisst: Die Banken sind die aktiven Geldschöpfer, die Zentralbank hinkt mit ihrer Geldschöpfung hinterher. Meine Idee geht nun in die Richtung, dass Geschäftsbanken nur so viel Kredit geben können, wie sie Zentralbankgeld schon haben. Damit würde die Zentralbank zum aktiven Teil. Die Geschäftsbanken würden zu Händlern des Geldes, das sie von der Zentralbank erhalten haben. Die meisten Leute glauben, das sei heute schon so, aber das stimmt eben gerade nicht. Die Banken sind heute die eigentliche Geldquelle.
hcb Ohne eine gewisse Geldexpansion geht es nicht. Die Unternehmen müssen heute investieren, müssen heute ihre Produktionsmittel bezahlen, mit denen sie später Geld verdienen. Sie brauchen eine Vorfinanzierung, diese Vorfinanzierung wiederum ist ein Risiko, und für dieses Risiko braucht das Unternehmen ein gewisses Entgelt. Das ist der Gewinn. Wenn alle Unternehmen im Durchschnitt Gewinn machen sollen, wenn alle im Saldo mehr Einnahmen haben sollten als Ausgaben, funktioniert das nur, wenn neues Geld zufliesst, wenn neues Geld geschöpft wird. Aber es kommt sehr auf das Mass an. In letzter Zeit ist die Geldschöpfung ausgeufert, zum grossen Teil zu spekulativen Zwecken. Dies kann vermieden werden, wenn die Zentralbank das Heft in die Hand bekommt.
hcb Ja, und wenn der Kredit irgendwann einmal zurückbezahlt werden sollte, verringert sich die Geldmenge wieder. Deshalb sind die Banken darauf angewiesen, dass es immer mehr neue Kredite gibt als beglichene Kredite. Sie sehen das an den Bilanzen der Banken: Diese vergrössern sich Jahr für Jahr.
hcb Genau so ist es.
hcb Natürlich. Praktisch alles Geld, das heute zirkuliert, sind Kredite und damit Schulden. Früher war das Geld noch mit Gold gedeckt, aber heute ist das nicht mehr so. Als in den Siebzigerjahren der letzte Rest des Goldstandards fiel, veränderte sich das ganze Geschäft mit dem Geld fundamental.
hcb Die meisten Leute glauben noch, dass Investitionen mit Spargeldern bezahlt werden. Das ist jedoch ein grosser Irrtum. Investitionen werden, wie bereits dargelegt, mit neugeschöpftem Geld bezahlt. Die Ausdehnung des Geldes ist daher praktisch unendlich möglich, solange das Geld irgendwo investiert werden kann. Aber das Problem ist die Endlichkeit der Ressourcen, insbesondere des Bodens. Diese steht der Unendlichkeit der Geldschöpfung gegenüber.
hcb Schauen Sie, dieser Gegenwert beruht oft auf einer Illusion. Als im letzten Jahr die Aktienkurse zusammenbrachen, fragten sich alle, wo ihr Geld jetzt sei. Das Geld gab es aber gar nie, die Aktienkurse waren ein fiktiver Wert. Der Gegenwert, der hinter der Aktie vermutet wurde, war spekulativ. Beim Bauen verhält es sich ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. Ein Bau ist ökonomisch gesehen Raum, den ich verkaufen, vermieten oder selber nutzen kann. Welchen Preis ich dafür verlangen kann, bestimmt aber weniger der Bau selbst als andere Faktoren wie zum Beispiel der Landpreis und die Lage oder eben entweder wirtschaftlicher Aufschwung oder Krisen.
hcb Mit der Rio-Konferenz kam ein Prozess ins Rollen, der sehr wertvoll ist. Ich glaube, jetzt ist das Problem langsam in den Köpfen drin. Das Wachstum als alleiniges Ziel der Menschheit ist wenigstens diskussionswürdig geworden. Aber es braucht grosse Anstrengungen, um eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise zu verwirklichen.