Es braucht den Kontrast
Inge Beckel
14. Oktober 2014
vogtpartner waren die Lichtgestalter beim jüngst eröffneten Toni-Areal in Zürich. Bilder: vogtpartner
Wo fällt das Licht hin? Das ist die zentrale Frage, die einen Lichtgestalter beschäftigt. Christian Vogt vom Büro vogtpartner aus Winterthur antwortet auf Fragen rund um Licht und Schatten.
Du nennst Dich Lichtgestalter. Was ist das für ein Beruf – und wie erlerne ich ihn?
Für unsere Berufsgruppe gibt es leider keine klare Berufsbezeichnung. Auch haben wir in der Schweiz noch keine Möglichkeit, eine Ausbildung zu einem Master of Architectural Lightingdesign zu absolvieren. Einen solchen jedoch lässt sich etwa in Hildesheim oder in Wismar in Deutschland machen. In der Schweiz ist es in den Architekturausbildungen eher ein Randthema. Wobei ich sagen möchte, dass der Wissensstand über Licht derzeit nicht besonders hoch ist, vor allem, was die Nutzung des natürlichen Lichts, des Tageslichts, betrifft.
Was meinst Du damit?
Nun, nehmen wir das Beispiel eines Kellerfensters. Kellerfenster-Brüstungen wurden früher abgeschrägt ausgeführt. Im Vergleich zu rechtwinkligen Brüstungen lassen derlei Abschrägungen wesentlich mehr Licht ins Innere. Bei gleicher Fenstergrösse. Oder die weiss getünchten, schrägen Laibungen vieler alter Häuser. Sie begünstigen den Tageslichteinfall in den Raum enorm – lassen sie doch im Gegensatz zu geraden Fenstereinfassungen einen grösseren Anteil des Himmelslichts aktiv werden.
Wir kompensieren den Lichtverlust mit künstlichem Licht. Was ist Kunstlicht?
Grundsätzlich gibt es drei Prinzipien der künstlichen Lichterzeugung. Deren Hauptvertreter sind beim elektrischen Licht die Glühbirne, weiter das so genannte Neonlicht und die LED. Ihre natürlichen Pendants sind gewissermassen das Feuer – und natürlich die Sonne, dies bei Glühbirnen. Sie erzeugen Licht durch Verbrennung. Dann der Blitz: In «Neonröhren» finden konstant Tausende von kleinsten Gewitter-Entladungen statt. Das LED-Licht schliesslich lässt sich mit einem Glühwürmchen vergleichen. Oder mit Leuchtplankton.
Heute wird offenbar primär auf LED gesetzt.
Jede Art der Lichterzeugung hat ihre Vorteile und ihre Nachteile. Glühbirnen und Halogenglühlampen beispielsweise sind ineffizient, wie wir wissen, doch ist es bis heute die einzige Methode, um künstlich ein kontinuierliches und vollständiges Farbspektrum zu erzeugen. Derzeit aber steht die LED-Technik hoch im Kurs, die ist sehr effizient. LED-Lampen halten in der Regel lange und lassen sich sehr exakt ausrichten. Einer der Nachteile aber ist, dass diese Technik ein reduziertes Farbspektrum aufweist. Eine Tendenz zur Vereinfachung, ohne die Vielfalt des natürlichen Farbenraums.
Welche Rolle spielt Licht in der Architektur?
Licht gehört zwingend zu einer visuellen Raumwahrnehmung. Ob der Raum nun schummrig, punktuell oder hell, diffus erleuchtet ist. Konkret sind es die «Löcher» in der Raumhülle, welche die Räume erst visuell erlebbar machen. Wird es draussen dunkel, sind wir auf die verschiedenen Lampen angewiesen.
Licht unterstützt aber auch die Architektur oder negiert sie. Die Wahrnehmung der Raumgrösse zum Beispiel kann mit Licht wesentlich beeinflusst werden.
Licht wird oft gezielt eingesetzt. Etwa um Stimmung zu erzeugen oder aber den Verkauf anzukurbeln.
Ja, denken wir beispielsweise an Ronchamp oder generell an sakrale Räume, so kann uns das meist spärliche, aber sehr gezielt eingesetzte Licht durchaus in eine nachdenkliche, ja meditative Stimmung versetzen. Oder es manipuliert. So steht die Kanzel grundsätzlich gut im Licht, soll die Aufmerksamkeit der Zuhörer doch dorthin gelenkt werden. Auch im Flugzeug, einem ganz anderen Ort, wird die Lichtstimmung heute bewusst gesteuert. So wird der Blauanteil erhöht und die Lichtmenge massiv abgesenkt, wenn die Passagiere schlafen sollen. Oder im Verkauf. Zum Beispiel bei Lidl oder Aldi – da muss das Licht flach, diffus und günstig sein. Denn allzu stimmungsvolles Licht würde die Ware teurer erscheinen lassen. Flaches Licht hingegen assoziiert man mit günstigen Produkten.
Wieviel Tageslicht braucht der Mensch?
Ein Förster oder eine Gärtnerin zum Beispiel sind heute durchschnittlich rund sieben Stunden täglich draussen im vollen Tageslicht. Wir «Bürolisten» demgegenüber sind nur rund eine halbe Stunde derselben Tageslichtdosis ausgesetzt. Natürlich hat sich aber auch unser Körper über Tausende von Evolutionsjahren an die Lichtdosis in der freien Natur gewöhnt. Büro- oder Schulräume sind zum Beispiel gemäss Norm mit 500 Lux beleuchtet. Zuzüglich Tageslicht bei den Fensterplätzen. Dort sind es im Durchschnitt dann 2'000 Lux. Bei der innersten Bankreihe jedoch lediglich 600 Lux. Stellen wir diese Werte den 40'000 bis 50'000 Lux gegenüber, die einen durchschnittlichen Sommertag ausmachen, ist die Differenz eklatant. Auch an einem grauen Wintertag beträgt der Aussenwert noch immer 10'000 bis 15'000 Lux. Die bekannten Winter- oder Lichtdepressionen sind also durchaus verständlich. Genügend Licht ist zwingend für das Wohlbefinden von uns Menschen.
Was können wir dafür tun?
Primär müssen Architekten und Architektinnen wieder mehr Tageslicht in ihre Räume lassen. Und dieses präzis einsetzen. Dieses Wissen ist in den letzten Jahrzehnten leider stark zurückgegangen und hat eher technoide Auswüchse erfahren.
Dabei gibt es einfachste Wege. Die schräg gestellten Kellerfenster habe ich bereits erwähnt. Die Frage ist stets, an welchen Stellen im Raum ist der Lichtbedarf gross – und wo ist er gering? Zusätzlich – oder jedenfalls nach der Dämmerung – müssen Räume mit Kunstlicht ergänzt werden.
Als dritten Punkt möchte ich aber die Oberflächen erwähnen. Sie sind eminent wichtig für gutes Licht. Sie reflektieren oder schlucken es. Und sie verändern es – in jedem Fall. Mit gezielten Entscheiden bezüglich der Oberflächen kann die Helligkeit eines Raumes wesentlich gesteigert werden.
Wie garantieren wir, dass Räume gut erhellt sind?
Wie üblich sind da zum einen die Normen. Richtlinien, die rund 80% der Situationen in gebauten Räumen abdecken sollen. Sie basieren auf wissenschaftlichen Untersuchungen, die grundsätzlich die Bedürfnisse einer – interessanterweise männlichen – Mehrheit der Bevölkerung abdecken soll. Eine Basis ist damit gegeben. Für die restlichen 20% der Räume, welche auch wirklich attraktiv sein sollen, sind professionelle Lichtgestalter nötig. Für die Kür sozusagen, die räumlich spezifische Lichtatmosphären und -stimmungen schaffen soll.
Du sagst, Du seist auch Schattengestalter?
Ja, nochmals, als Lichtgestalter überlege ich mir, wohin das Licht in einem Raum fallen soll. Was soll erhellt sein, was will eher im Dunkeln liegen oder soll in gedämpftem Licht erscheinen? Um einen Ort oder ein Objekt in einem Raum mit Licht herauszuheben, muss das Umfeld gezielt abgedunkelt werden. Es braucht Schatten und Dunkel.
Wenn wir im Büro zum Beispiel mit einer Arbeit beginnen, nehmen wir dunkelgraues Skizzenpapier. Zuerst ist unsere Raumdarstellung also dunkel und dann kommt Schritt für Schritt das Licht dazu … Es braucht den Kontrast – ohne Dunkelheit kein Licht. ib