Die BIM-Offensive
Manuel Pestalozzi
7. Januar 2016
Die 3D-Bildsymbolik ist ein visueller BIM-Aspekt. Bild: Granlund Oy and Progman Oy/MagiCAD
BIM bedient sich des digitalen 3D-Modells und verspricht eine markante Rationalisierung von Bau- und Bewirtschaftungsprozessen. Am Horizont taucht bereits der BIM-Zwang auf. Eine Auseinandersetzung mit der Methode ist unumgänglich.
Die Antwort auf die Frage, was BIM denn überhaupt sei, besteht häufig in Erläuterungen darüber, was BIM nicht ist. Es ist vor allem keine Software - kommt aber auch nicht ohne sie aus. BIM steht für Building Information Modelling (manche ziehen es vor, das letzte Wort mit nur einem l zu schreiben). Das ist ein Ordnungs- und Informationssystem, eine Organisationmethode, die auf einem digitalen 3D-Modell beruht. Wer sich heute mit BIM befasst, steht metaphorisch gesprochen vor einem grossen, unfertigen Puzzle. Man hört und spricht davon, doch es verbirgt sich unter einer Blache.
Je nachdem, an welcher Stelle man die Blache anhebt, sieht man einen bestimmten Bereich des Puzzles, dessen unfertige Ränder sich mit dem Berufsalltag verzahnen. BIM steht für einen Prozess, an dem sich viele Seiten beteiligen sollen und der sich selbst in einer Entstehungsphase befindet. Man kann dazu grundsätzlich bloss eine Weisheit von sich geben: «Irgendwo muss man anfangen» – und hoffen, dass man die Blache an der richtigen Stelle hochhebt. Dass man anfangen muss, daran besteht kein Zweifel. Denn BIM hat einflussreiche Anhänger, die den festen Willen haben, auf der Anwendung der Methode zu beharren.
Die richtige Position am Rand und die Blickhöhe sind der Schlüssel zur erfolgreichen BIM-Anwendung. Bild: Autodesk
Digitale Delegierung
Die Vision ist bestechend: Durch BIM entsteht ab der frühsten Planungsphase eines Projektes das digitale 3D-Modell. Alle beteiligten Gewerke arbeiten am Modell mit, die Bauherrschaft hält ebenfalls ein Auge drauf. Über Simulationsprogramme können Planungsentscheide auf ihre Tauglichkeit geprüft und bei Bedarf angepasst werden. Bei Ausschreibungen liefert BIM schnell und einfach die erforderlichen Informationen, auf der Baustelle hantiert der Bauführer mit dem Tablet und hält sich ans Modell auf seinem Bildschirm. Vielleicht ist sogar sein Nivelliergerät direkt mit diesem verbunden. Anpassungen und Korrekturen werden zuerst am digitalen Modell vorgenommen und anschliessend in der Realität nachvollzogen. Alle, die mit dem Projekt zu tun haben, bauen am gleichen Modell. Dadurch lassen sich Missverständnisse ausräumen, man spart Zeit und Geld.
Mit der Übergabe des reellen Baus findet auch jene des 3D-Modells statt. Die Betreiber erhalten mit ihm sämtliche Informationen, die für das Facility Management von Belang sind, Änderungen in den Grundrissen und im technischen Setup lassen sich im Modell nachtragen. BIM begleitet somit ein Bauprojekt ab der ersten Planungsidee und das realisierte Werk anschliessend über den Lebenszyklus hinweg. Die ganze Wertschöpfungskette beteiligt sich direkt oder indirekt an BIM und profitiert von den Segnungen, welche die digitale Delegierung von planerischen, vermittlungstechnischen und organisatorischen Aufgaben mit sich bringt.
Analysen in der dritten Dimension. Im Rahmen von BIM lassen sich bestimmte Detailaspekte isolieren und gemeinsam besprechen. Bild: bimtopics.civil.ubc.ca/research/
Begeisterte Anhänger
Komplexe digitale Modelle als unmittelbarer Informationsträger gibt es schon seit Längerem, die Bauindustrie gilt auf diesem Gebiet aus naheliegenden Gründen eher als Latecomer. Wie beim CAAD spielen Produktionsbetriebe, die ortsungebunden in geschützten Fabrikations- oder Laborbedingungen operieren, eine Vorreiterrolle. Die Softwareanbieter haben diese Konzepte den bauspezifischen Verhältnissen angepasst. Grundsätzlich stammt BIM aus ihrer Küche.
Die Methode kann mittlerweile auf eine ganze Reihe begeisterter Anhängerinnen und Anhänger zählen. Primär handelt es sich bei ihnen um institutionelle Bauherrschaften, Betreiberorganisationen und grosse Bauunternehmungen. Auch Behörden und staatliche Stellen mischen mit. In einigen Ländern ist BIM bei staatlichen Bauvorhaben bereits zwingend vorgeschrieben, so beispielsweise in Skandinavien und ab 2016 auch in Grossbritannien. Gerne würde man dazu etwas Konkretes, Verbindliches schreiben – Informationen mit Langzeitwert sind derzeit aber dünn gesät, da sich die Methode auch in den Ländern, in denen der BIM-Zwang schon existiert, in der Aufbauphase befindet. In Grossbritannien ist jetzt, um ein Beispiel zu nennen, bei staatlichen Bauaufträgen das gemeinschaftliche 3D-BIM Level 2 Pflicht. Das heisst, alle Beteiligten arbeiten an 3D CAD-Modellen, aber nicht unbedingt am selben zentralen Modell. Und sie sind in der Lage, untereinander Modelldaten auszutauschen. Irgendwann wird dann Level 3 folgen. Alle arbeiten dann, wie angedacht, am gleichen Modell. Bis dahin gilt es noch zahlreiche Schnittstellen-Probleme zu lösen. Die internationale Organisation «buildingSMART» hat sich dies zur Aufgabe gemacht.
BIM muss reifen, will man nachhaltige Früchte des Erfolgs kosten. Bild: perspectives.3ds.com
Nur für wenige?
Etwas böse könnte man im Zusammenhang mit dem aktuellen Stand von BIM innerhalb der firmen- und gewerkeübergreifenden Bauwirtschaft sagen: Das einzige, was klar ist, ist, dass noch nichts klar ist. Die digitalen Werkzeuge sind grundsätzlich vorhanden und einsatzbereit. Erste, vereinzelte Projekte hat man bereits erstellt oder aufgegleist Für die «Orchestrierung» der Protagonisten ist aber noch ein gewaltiger Aufwand in Sachen Bildung und Organisation zu leisten, soll die Methode allgemeinverbindlich und verständlich werden. Mit anderen Worten: Es besteht noch kein «Königsweg» für die Methode. Derzeit gibt es vor allem starke Akteure, welche den Takt, das Tempo und letztlich die Interpretation von BIM vorgeben.
Aktuell verwirrt, dass diese Akteure mit BIM unterschiedliche Ziele verfolgen. In der Schweiz haben sich in den letzten Monaten unter anderem folgende BIM-Fans geoutet: der internationale Chemiekonzern Roche, das Bauunternehmen Implenia und die Bauherrschaft des Felix Platter-Spitals. Roche möchte, dass für den Baubestand und die Projekte des Konzerns identische 3D-Modell-Regeln gelten. Sie nennt das Owner BIM: Wer für Roche plant und baut, muss in der Lage sein, Roche-kompatibles BIM zu verstehen und sich an den Modellen zu beteiligen – Roche macht die Regeln. Implenia benutzt BIM bei der Überbauung auf dem Labitzke-Areal in Zürich (der Entwurf stammt von Gigon/Guyer), und zwar primär für die Ausschreibungen. Die Bauherrschaft verlangte dies nicht, das Modell ist von Implenia und auf dessen Bedürfnisse zugeschnitten. Beim Felix Platter-Spital wurde ein Architekturwettbewerb veranstaltet, bei dem von den Planungsteams bereits ein BIM-Modell verlangt wurde, ohne die Festlegung eines bestimmten Standards – hier spricht man von Open BIM. Die 3D-Teilmodelle von drei Beiträgen liess die Ausloberin weiter präzisieren. Anschliessend prüfte sie Aspekte wie Statik, Flächenbedarf, Prozesswege oder die Kostenschätzung mit einem «BIM-Checker» (spezielle Software). Der Aufwand war für die Beteiligten beträchtlich, sie erhielten von der Ausloberin eine Entschädigung.
3D-Modell als Wettbewerbseingabe beim Felix Platter Spital in Basel. Bild: Allplan
Wer kann BIM?
Betrachtet man die Diversität der BIM-Anwendungen, so wäre der beste Ratschlag an betroffene Betriebe und Architekturbüros, sich an einen starken, engagierten Akteur zu halten, ihm gegenüber die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit deutlich zu machen und diesen dann mit Fragen zu löchern. Dazu sind eine Grundkompetenz und insbesondere die Kenntnisse der erforderlichen Werkzeuge erforderlich. Wohl nur grössere Architekturbüros können es sich leisten, Personal exklusiv für diese zeitaufwendige Spezialaufgabe zu beschäftigen. Herzog & de Meuron tun dies, die betreffenden Mitarbeiter müssen sich, nach den erhältlichen Informationen zu schliessen, als flexibel und aufmerksam erweisen. Denn aus der Perspektive des Architekturbüros weist derzeit jedes Projekt einen anderen BIM-Kontext auf.
BIM beruht auf einer Initiative von global tätigen Softwareunternehmen, die Methode bietet internationale Lösungen für eine Branche, die nach wie vor über weite Strecken national organisiert ist. Wie die genannten Beispiele andeuten mögen, ist die Gefahr beträchtlich, dass man sich bei BIM verzettelt. In der Schweiz sind deshalb verschiedene Organisationen, Verbände und Ämter mit der Erarbeitung von BIM-Richtlinien beschäftigt, unter anderem auch der SIA. Die Fachhochschule Nordwestschweiz veranstaltet einen MAS-Lehrgang für «Digitales Bauen». Es ist wichtig und dringend, dass verbindliche BIM-Standards bald einmal greifbar sind und einem unnötigen Kräfteverschleiss Vorschub geleistet werden kann.
Architektur oder Infrastruktur? BIM-Paradepferd Barts & London Hospital. Bild: group.skanska.com
Was bedeutet BIM für die Architekten?
Auf organisatorischer Ebene werden sie sich, so wie es den Anschein macht, nolens volens zum Mitmachen verpflichtet sehen. Optimalerweise obliegt ihnen die Oberaufsicht über das 3D-Gesamtmodell. Ansonsten dürfte ein Kontrollverlust drohen. Es ist gut möglich, dass sich Projektteams schon von Beginn weg stark mit den Bedürfnissen des Facility Managements auseinandersetzen und zu einem frühen Zeitpunkt in ungewohnte Bearbeitungstiefen vordringen müssen. Das Verhältnis zwischen dem Gesamten und dem Detail dürfte sich verändern und mitunter einer harten Probe unterworfen sein. Was all dies für personelle und zeitliche Aufwände bedeutet – und wie sich das in der Honorierung niederschlägt, ist noch offen.
Ohne Zweifel weist BIM auch architekturtheoretische Implikationen auf. Die 3D-Modell-Methode ist eine Neuauflage des Traums, dass sich Gebäude «wie Autos» produzieren lassen, also als Summe von standardisierten Teilen und Verbindungen, die ein kostenoptimiertes komplexes Gebilde mit kalkulierter Lebensdauer und maximaler Rendite ergibt. Die sich an Unikaten orientierende Baukultur, wie sie hierzulande aktuell verstanden wird, ist auf diese Vision schlecht vorbereitet und müsste gegebenenfalls angepasst werden. Somit darf man sich auf die Fortsetzung einer Debatte freuen, die in den frühen 1970er-Jahren anhand des Wettbewerbs für die ETH Lausanne zwischen «Tessin» und «Solothurn» lanciert wurde und an Brisanz zunimmt. Laurent Stalder hat ihr kürzlich in der NZZ einen lesenswerten Artikel gewidmet.
Aktueller Hinweis
An der kommenden Swissbau soll BIM breit diskutiert werden, auch die Organisation Bauen Digital Schweiz, welche die Einführung von BIM auf breiter Front koordinieren soll, wird in Basel mit einem offiziellen Gründungsakt auf sich aufmerksam machen.