Urlaubsarchitektur

César Manrique auf Lanzarote

Jenny Keller
15. Dezember 2016
Mirador del Río auf Lanzarote. Bild: Von Frank Vincentz - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

César Manrique war studierter Künstler (Malerei und Bildhauerei) und autodidaktischer Architekt mit einem abgebrochenen Bauingenieurstudium, der seine organischen Bauten in Harmonie mit der Natur plante. Es lag ihm viel «am Gleichgewicht des Raums, in dem wir leben.»1 Er, der früh in die USA auswanderte, mit Andi Warhol, Helmut Kohl oder Juan Miro an einem Tisch gesessen hat, war auch ein Globalisierungsgegner der ersten Stunde und sagte in einem Interview 1971: «Ich glaube, die Eigenheiten jedes Orts auf dem Planeten müssen unbedingt gefördert werden, sonst leben wir in absehbarer Zukunft in einer langweiligen Standardkultur ohne jede schöpferische Phantasie.»

Innenraum der Fundación César Manrique. Bild: fcmanrique.org

Manrique ist auf Lanzarote, Spanien, geboren und hat dort sein Lebenswerk errichtet. Als die Kanarischen Inseln vom Massentourismus entdeckt und die ersten Fischerdörfer durch Hotelkomplexe ersetzt wurden, erreichte Manrique 1968 beim Präsidenten der Inselverwaltung, seinem langjährigen Freund Pepin Ramírez, dass kein Gebäude auf der Insel höher als drei Stockwerke – der Höhe einer ausgewachsenen Palme, so will es die Legende – gebaut werden durfte. Er demonstrierte mit seinem eigenen Haus, der heutigen Fundación César Manrique in Tahíche, dass die vulkanische Vergangenheit der Insel nicht als karg, schroff und düster erlebt werden muss, sondern dass man mit dem und im Vulkangestein leben kann. Im Erdgeschoss nutzte Manrique fünf natürliche Vulkanblasen, die durch in die Lava gehauene Tunnel verbunden sind. Sie bilden einen organischen, einzigartigen Wohnraum. Die Architektur des Oberstocks ist inspiriert vom traditionellen Baustil Lanzarotes (einfache Kuben, weiss verputzt, blaue oder weisse Holzarbeiten), ergänzt mit funktionalen Elementen wie grossen Fenstern und in die Decke eingelassener Beleuchtung.
 
Das natürliche Licht inszenierend, in die Topographie eingelassen, mit einem Mid-Century-Charme, eingebauten Möbeln und natürlichen Materialien wie Lava-Stein, weiss getünchten Mauern und dunklem Holz, sucht Manriques organische Architektur vergebens nach Referenzen, es scheint als hätte Rudolph Steiner in New Mexico gebaut.

Weinanbau im Landesinneren. Die Reben werden in kleinen Kratern vor dem Passatwind geschützt. Bild: jk

Eine Insel, zwei Gesichter
Lanzarote sei nicht Primärziel klassischer Bildungsreisender, schreibt der Baedeker diplomatisch. Bedeutende Bauwerke gäbe es ebenso wenig wie Kunstwerke von Weltgeltung. Dass die Bautätigkeit aber nicht ausuferte und sich an den Uferregionen konzentriert, ist das Verdienst von César Manrique, der paradoxerweise die Schönheit der Insel auch Gästen vor Augen führen wollte und damit einen Fremdenverkehr ins Rollen gebracht hat, der das Gegenteil von dem bewirkte, was ihm in Sinne stand. Ihm schwebte ein Paradies der Wenigen vor, er sah gebildete, kulturell interessierte Menschen seine Heimatinsel besuchen.
 
Dieser Wunsch ging nicht ganz in Erfüllung. Der Tourismus ist seit Ende der 1970er-Jahre die Haupteinnahmequelle der Inselbewohner, der Umsatz wird in den grossen, hässlichen Touristenzentren am Meer gemacht, in den ländlichen Gebieten im Landesinneren ist es erstaunlich menschenleer.
 
In der Antike hielt man die kanarischen Inseln für Überreste des versunkenen Atlantis und für ein irdisches Paradies, in dem immer angenehm warmes und trockenes Kima herrschte. In der Tat herrscht hier das ganze Jahr ein beständiges Klima, denn der Passatwind macht die gleissende Sonne erträglich. Im Westen, wo der Wind unerbittlich vom Meer her bläst, wird auf alle Arten gesurft, im Süden hingegen findet man türkise Strände vor. Das rund ums Jahr angenehme Klima ist mit ein Grund, weshalb Urlauber in Scharen auf die spanische Insel vor Afrika fliegen, um dann – das gilt für den Grossteil – für eine Woche oder zwei mit einem farbigen Band ums Handgelenk in einem Hotelbunker zu verschwinden und den Alltag mit viel Bier und ohne Sonnencrème hinter sich zu lassen. Vor den Touristen überrollten Lavamassen im 18. Jahrhundert einen Grossteil von Lanzarote. So hat die schwarze, teils rote Insel mit ihren 300 Vulkankegeln einen eigentümlichen Charme, sie wirkt beinahe extraterrestrisch.

Kreisel-Kunst von Manrique. Bild via wikimedia commons

Wenn man also die Touristenzentern Costa Teguise, Playa Blanca oder Puerto del Carmen umgeht, findet man eine einmalige Insel vor, einheitliche Architektur (Manriques Gestaltungsplan sah eine kubische Bauweise vor, Fensterläden sind blau oder grün gestrichen) und stösst immer wieder auf Bau- oder Kunstwerke von César Manrique – fast kein Kreisel, der nicht mit einem seiner Kunstwerke versehen wurde. Ist die Kreiselkunst eine Kunstgattung, die sonst nicht viel Anerkennung erhält, eher Spott, hat sie etwas auf Lanzarote, wo man unweigerlich mit dem Auto unterwegs ist (ausser man trainiert auf einen Ironman und fährt Rennvelo): Die sich im ständigen Wind drehenden und surrenden Gebilde dienen der Orientierung. Die kinetische Kunst, die Manrique in New York kennengelernt hat, soll dafür Pate gestanden haben.

Lanzarote – New York – Lanzarote
1924 auf Lanzarote geboren, hatte Manrique bereits mit 24 Jahren seine erste Einzelausstellung als Künstler, obwohl er damals auf Wunsch des Vaters noch Bauingenieurwesen auf Teneriffa studierte. 1945 wechselte er nach Madrid an die Hochschule der schönen Künste, wo er als Maler erste Erfolge feierte und dann an der 28. und 30. Biennale in Venedig von 1955 und 1960 teilnahm. Den Wohnsitz verlegt er 1965 nach New York, dank eines Stipendiums des International Institute of Art Education zum Studium der amerikanischen Kunst. Nelson Rockefeller besass damals schon mehrere Bilder von Manrique, und bald war er bei der Galerie vertreten, die auch Joan Miró und Max Beckmann unter Vertrag hatte.
 
Parallel zu den internationalen Erfolgen als Künstler wurde 1966 der erste Abschnitt der Jameos del Agua auf Lanzarote eröffnet. Das Höhlensystem im Norden der Insel, mit sieben Kilometern Länge eine der grössten Vulkanblasenketten der Welt, war zur Müllhalde verkommen. Manrique liess sie frei räumen und schuf einen Erlebnisraum mit Museum, Restaurant, kleinem Pool und Auditorium für Konzertbesuche. Ein faszinierender Ort in einer James-Bond-Ästhetik, dessen organische Erscheinung nicht entworfen, sondern von der Natur gezeichnet worden ist.

Ein von Manrique angelegter Pool in den Jameos del Agua, Lanzarote. Bild: jk

1968 kehrte er definitiv auf seine Insel zurück. Weitere Ausstellungen in Spanien und Europa als Künstler folgten, daneben setzte er sich für die Integrität von Lanzarote ein, sowohl in städtebaulicher, ökologischer und auch ästhetischer Hinsicht. Er soll sogar ein Reklameverbot auf der Insel durchgesetzt haben. Mit Kultur und Kunst kämpfte Manrique gegen die «vorherrschende Vulgarität des täglichen Lebens» und fand im organischen System der Natur die schöpferische und wohl auch philosophische Wahrheit.
 
Als erste vollständige Insel wurde Lanzarote 1993 von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt, das ein Jahr nach Manriques Tod durch einen Verkehrsunfall  – ausgerechnet in einem der zahlreichen Kreisel der Insel. Der Baedeker schreibt dazu emotionslos: «Sein Name wird immer mit Lanzarote verbunden sein, in der internationalen Kunstszene hat er sich dagegen weniger halten können.»

Bar auf dem Mirador del Río. Bild: jk

Anmerkungen
1) Die direkten Zitate stammen aus dem Buch «César Manrique – in seinen Worten», Fernando Gómez Aguilera, Teguise Lanzarote

Von Manriques Bauwerken sind unbedingt zu besuchen: Mirador del Río – die Aussichtsplattform mit Restaurant an Stelle einer ehemaligen Geschützstellung – das eigene Wohnhaus und die Jameos del Agua.

Der Film «Abrazos Rotos» von Pedro Almodóvar spielt zum Teil auf Lanzarote.

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