Blick nach Osten
Inge Beckel
6. März 2014
Zugang zum Chedi-Andermatt. Alle Bilder: ghmhotels.com
Von den Chedi-Hotels gibt's derzeit nur wenige weltweit, vor allem in Asien, Kleinasien und Nordafrika – und eines in Europa: Andermatt. Nicht verwunderlich, lassen sich darin Einflüsse aus Fernost aufspüren. Der Entwurf des Komplexes stammt vom Büro Denniston Architects aus Kuala Lumpur, Malaysia, vor Ort vertreten von Germann Achermann Architekten aus Altdorf.
Das Chedi Andermatt ist seit letztem Dezember geöffnet. Entwickelt von Orascom Development, wird es von GHM Hotels, einer Firma mit Sitz in Singapur, und The Chedi Residences Andermatt betrieben, letztere zuständig für die Appartements. Der Komplex liegt unmittelbar südlich des Bahnhofs von Andermatt. Der Zugang erfolgt von der Gotthardstrasse her, wobei man von dieser nicht direkt zum Haupteingang kommt; vielmehr biegt man auf eine Seitenstrasse, von wo man auf den Vorplatz gelangt. Keines der Doppelzimmer soll kleiner als 50, die Suiten oder Appartements bis zu 130 Quadratmetern gross sein. Im Endausbau soll das Chedi Andermatt über neun Gebäudeteile mit 50 Hotelzimmern, 106 so genannten Hotel-Residenzen und Appartement-Residenzen sowie 13 Penthouse-Residenzen verfügen. Die ergänzt werden durch Restaurants, Bars, eine Boutique sowie Fitness- und Wellnesseinrichtungen.
Geschützte Loggia.
Asiatische «Sprenkel»
Der Komplex besteht aus miteinander verbundenen Häusern, die bis zu fünf Geschosse hoch und mit ausladenden Satteldächern eingedeckt sind, die ihrerseits ausgebaut wurden. Die Bauten erscheinen im Sockelbereich gemauert, gefolgt von gelb verputzten Partien, die vor allem die seitlichen Teile bestimmen, während ein vorgeblendetes Holzwerk mittig die Fassaden prägt, das visuell im Dachstuhl verankert ist und sich Stalaktiten-artig nach unten entwickelt. Dieses Blendwerk nimmt die Loggien vor den Privaträumen auf und hat damit zwei weitere Funktionen, nämlich die des Sonnenschutzes, eine Art Brise Soleil also, und die des Sichtschutzes – fühlt man sich hinter dem Blendwerk doch mehr geborgen denn ausgestellt.
Auf den ersten Blick lässt sich das Holzwerk als sinngemäss der Chaletarchitektur angehöriges Architekturelement klassifizieren. Die feine, teils transparente Ziselierung sowie der Eindruck des Hängenden – verstärkt durch die Akzentuierung der Mitte – jedoch lassen auch Bilder von Bauten beispielsweise aus der Türkei, dem Norden Indiens oder anderen Ländern im asiatischen Raum assoziieren. Neben dem hölzernen Blendwerk im Aufriss finden sich auch im Grundriss Hinweise auf Einflüsse aus dem Osten. So sind die Achsen in der Regel nicht durchgängig, vielmehr gebrochen: Man kommt nicht direkt zum Haupteingang, sondern gelangt seitlich auf den Vorplatz, um dann nach einer 90-Grad-Drehung zum Eingang zu gelangen.
Auch im Inneren wiederholt sich das Motiv: So steht etwa mitten in einem grosszügig angelegten Korridor ein Kamin, womit man den eigenen Gang entweder mit einer Links- oder einer Rechtskurve fortsetzen muss. Oder ein rückwärtiger Ausgang in den Garten liegt nicht achsial in der Gebäudemitte, sondern es finden sich zwei Türen, die leicht aus der Achse verschoben links und rechts liegen. Es sind – für uns Westler? – kleine Irritationen, die beim Gang durchs Haus für Überraschungen sorgen. Man hat nicht sofort den Überblick über die Anordnung der Räume, vielmehr muss man deren Zusammenhänge beim Gang durchs Haus Schritt für Schritt erkunden. Es sind dies an die Lehre des Feng Shui erinnernde Elemente, die sich übrigens, zum Beispiel, auch in Bauten Frank Lloyd Wrights wiederholt finden.
Kamin mitten im Korridor.
International Style
Chedi Hotels sind so genannte «5 Star Luxury Hotel Resorts», sie sprechen eine internationale, vermögende Klientel an. Der Standard soll weltweit derselbe sein. Die Inneneinrichtung folgt gewissermassen einem internationalen, gehobenen, dennoch gemütlichen Stil mit viel Holz – und Kaminen –, mit Fellen, Stoffen und vielen Lichtern. Auch sind die öffentlichen Räume stets in Kompartimente unterteilt, es finden sich sogar fast intim wirkende Sitzgruppen, die ihrerseits mit einer Art Blendwerk vom umliegenden Raum abgetrennt sind. Im Weiteren hat es in Andermatt Sitzungszimmer, wo man nach abgehaltener Sitzung gleich zum Essen sitzen bleiben kann – bediente Sitzungszimmer sozusagen. Diese sind mit einem Fenster mit dem Umraum – noch stets Innenraum – verbunden: Man sieht sich, hört sich aber nicht.
Man sieht sich, kennt sich aber nicht, liesse sich als Kurzform vielleicht auch auf das Verhältnis des Chedi-Komplexes mit der Ortschaft Andermatt anwenden. Sicherlich gibt es Einwohner in Andermatt, die das Chedi als Symbol des Aufbruchs sehen. Zahlreiche andere aber sind kritisch. Zu Handen einer Studie der Hochschule Luzern sagte jemand beispielsweise: «Man ist als Einwohner eigentlich gar nicht mehr wichtig.»1 Ein anderer Befragter meinte: «Also für mich ist es kein Thema, in Andermatt zu bleiben. Ich muss nicht an einem Ort sein, wo ich durch das Dorf gehe und umzingelt bin von Geld und Möchtegerngeld und Schickimicki und Pelz- und Nerzmänteln, das interessiert mich nicht.»2 Früher war Andermatt geprägt durch das Militär, heute sind es das Chedi respektive die Entwicklungen von Orascom Development, die dem Ort den Stempel aufdrücken.
Diese Beziehung zwischen den international angereisten Gästen und den Einwohnern und Einwohnerinnen ist wohl eine der Herausforderungen hinsichtlich der Frage, ob das neue Gesicht Andermatts nachhaltig Bestand haben wird. Denn kann man in der virtuellen Welt gut ungestört in Parallelwelten leben, sind sich demgegenüber Bewohner und Angereiste in Andermatt vor Ort physisch sehr nah. Der gegenseitige Umgang miteinander trägt zur Atmosphäre bei und damit auch zur Zukunft des Chedi. Der Blick nach Osten aber, den dieses ebenso prägt, könnte durchaus in die Zukunft weisen, machte doch der Vordenker Rem Koolhaas – übrigens Kurator der diesjährigen Biennale – schon vor zehn Jahren in Content3 «Go east» zu einem seiner Leitthemen. Die schnell expandierende Chedi-Gruppe jedenfalls kommt aus dem Osten. Nun mögen die Welten sich begegnen.
Fassadenausschnitt. Bild: Inge Beckel
1), 2) Hochschule Luzern, Langzeit- und Begleitstudie BESTandermatt. «Soziokulturelle und sozioökonomische Auswirkungen des Tourismusresort Andermatt», Schlussbericht der zweiten Teilstudie, Februar 2014, S. 13 resp. S. 14.
3) Rem Koolhaas, Content, Köln 2004.